Kommunikationsnorm IEC 61850 schafft Standard in der Automatisierung

In der Vergangenheit wurden die Schaltanlagen mit einer autonomen Gerätetechnik ausgestattet – eine Kommunikation zwischen den einzelnen Komponenten war nicht möglich. Dies änderte sich auch Mitte des 20. Jahrhunderts mit der Master-Slave-Kommunikation in zentral aufgebauten Systemen nicht.

Ende der 1990er Jahre hielten dezentrale Lösungen mit einer hierarchisch organisierten Kommunikationsstruktur Einzug in die Automatisierungstechnik. Sie wurden Anfang des neuen Jahrtausends von verteilten Systemen abgelöst, die untereinander mittels Peer-to-Peer-Strukturen verbunden sind.

Allen Entwicklungsschritten ist dabei die herstellerspezifische Gerätetechnik mit proprietären Schnittstellen und Protokollen gemein. Die Datenstrukturen und -formate der verschiedenen Hersteller sind dabei nicht kompatibel.

Abhängigkeit vom Hersteller wird vermieden

Mit der neuen Norm IEC 61850 werden Kommunikation und Engineering-Prozess standardisiert, um die Abhängigkeit der Anwender von einem Hersteller zu vermeiden und die Schnittstellenvielfalt zu reduzieren. Aufgrund der Nutzung von Internet-Techniken sind die Informationen darüber hinaus jederzeit und überall für alle berechtigten Personen verfügbar.

Dazu werden intelligente elektronische Geräte – auch als IED (Intelligent Electronic Device) bezeichnet – eingesetzt, die über Ethernet miteinander kommunizieren. Mit den hohen Übertragungsraten stehen dem Anwender mehr Echtzeitdaten und Funktionen zur Verfügung. Interoperabilität, Kompatibilität und Zuverlässigkeit der IEC-61850-konformen Geräte schützen die getätigten Investitionen und machen die Schaltanlagen zukunftssicher. Wird die Norm von allen Komponenten unterstützt, ist eine durchgängige Kommunikation von der Prozess- über die Feld- und Stations- bis zur Netzleitebene möglich.

IEC 61850 definiert Anforderungen in der Automatisierung

Die von der International Electrotechnical Commission (IEC) erarbeitete Norm IEC 61850, die sich in zehn Teile gliedert, beschreibt die Anforderungen an die Geräte und die Kommunikation, die in Systemen der Schutz- und Leittechnik elektrischer Schaltanlagen eingesetzt werden. Die Norm definiert vor allem allgemeine Festlegungen für Schaltanlagen, die wichtigsten Informationen für Funktionen und Geräte, den Informationsaustausch zum Schutz sowie zur Überwachung, Steuerung und Messung der Schaltanlagen, die Kommunikationsschnittstelle sowie die Konfigurationssprache (siehe Tabelle – zum Vergrößern anklicken).

Die IEC 61850 will sämtliche Funktionseinheiten innerhalb einer standardisierten Schaltanlage mit Hilfe herstellerunabhängiger Objektmodelle beschreiben. Darin liegt der wesentliche Unterschied zum Datenmodell der IEC 60870-5-104, die signalorientiert aufgebaut ist. Zur Identifikation nutzt die IEC 61850 den Namen des Objekts im Klartext. Die Objekte sind selbstbeschreibend, ihre Struktur wird mit dem Objekt im Telegramm übertragen.

Norm IEC 61850 erfüllt fast alle Automatisierungs-Bedürfnisse

Die Norm erfüllt alle Bedürfnisse der Stationsautomatisierung. Das betrifft sowohl die Kommunikationsstrukturen als auch das streng objektbezogene Datenmodell. Die IEC 61850 ist so allgemein ausgelegt, dass sie auf viele andere Automatisierungsanwendungen übertragen werden kann. Die grundsätzlichen Prinzipien werden beibehalten und können durch branchenspezifische Datenmodelle ergänzt werden.

Zur Datenübertragung werden in der IEC 61850 im Wesentlichen TCP/IP sowie MMS (Manufacturing Messaging Specification) für die Client-Server-Kommunikation genutzt. Müssen zeitkritische Daten ausgetauscht werden, ist dies über Goose-Nachrichten (Generic Object Oriented Substation Events) möglich. Um den Echtzeit-Anforderungen zu genügen, werden die generischen Ereignisse systemweit per Broad- oder Multicast zyklisch in festgelegten Zeitintervallen (2 s) versendet.

Eine Wertänderung wird dabei sofort mit einem steigenden Zeitintervall (1 ms, 10 ms, 20 ms … 2 s) weitergeleitet. Obwohl es sich dabei um eine unbestätigte Kommunikation handelt, wird durch die zyklische Übertragung eine hohe Kommunikationssicherheit erreicht, und der jeweils aktuelle Zustand eines Gerätes ist dem System bekannt.

Aufbau der Geräte ist streng hierarchisch

Der Aufbau der intelligenten elektronischen Geräte (IED) ist streng hierarchisch. Das Datenmodell beginnt mit einem physikalischen Gerät (Physical Device – PD), das mit dem Netzwerk verbunden ist und durch die Netzwerkadresse bestimmt wird.

Im PD können ein oder mehrere logische Geräte (Logical Device – LD) implementiert sein. Die LD fassen Funktionen zusammen, die Gemeinsamkeiten in der Datenidentifikation und Zustandsbehandlung haben. Die Namen der logischen Geräte sind nicht genormt und werden nach der Funktion vergeben – beispielsweise „Trenner 1“. Jedes LD hat mehrere logische Knoten (Logical Node – LN), die alle Informationen über Teilfunktionen der logischen Geräte enthalten.

Norm IEC 61850 definiert etwa 90 logische Knoten

Insgesamt sind in der IEC 61850 etwa 90 logische Knoten definiert. Jeder LN umfasst wiederum ein oder mehrere eindeutig bezeichnete Datenobjekte, die den anwendungsspezifischen Inhalt der logischen Knoten beschreiben. Die Datennamen sind durch die Norm festgelegt und stehen jeweils in Beziehung zu ihrer funktionalen Verwendung im Netzwerk.

Das objektorientierte, hierarchisch aufgebaute Datenmodell ist die Grundlage für ein vereinfachtes Anlagen-Engineering. Weil auf vordefinierte Funktionseinheiten zurückgegriffen wird, ist eine aufwändige Anlagendokumentation nicht erforderlich. Durch die Klartextbeschreibung der Mess- und Statuswerte einschließlich Einheit und Multiplikator lässt sich der aktuelle Zustand der Anlage sofort klar erkennen.

Erhöhte Produktivität der Schaltanlagen

Phoenix Contact bietet schon seit vielen Jahren E/A-Systeme für die Installation in Schaltschrank und Feld an. Zur Kommunikation untereinander sowie mit der überlagerten Steuerung dienen netzwerkbasierte Protokolle wie Profinet, Modbus oder Ethernet/IP. Das Automationworx-System, das auf dem Konzept der IT-powered Automation (siehe Kasten) basiert, umfasst darüber hinaus Steuerungs- und Antriebstechnik, Geräte zum Bedienen und Beobachten, Industrie-PC, funkbasierte Lösungen sowie industrietaugliche Infrastrukturkomponenten wie Switches.

Die Automatisierungslösungen des Blomberger Unternehmens werden weltweit in zahlreichen Branchen eingesetzt. Als langjähriger Partner vieler Energieversorgungs-Unternehmen setzt Phoenix Contact die Anforderungen der IEC 61850 in entsprechende Komponenten um. Die Kombination aus umfassenden Branchenkenntnissen und einem tief greifenden Know-how in puncto Kommunikationstechniken wird zu ausgereiften Geräten führen, die zur Erhöhung der Produktivität der Schaltanlagen beitragen.

Die Einführung der IEC 61850 ermöglicht es erstmals, dass innerhalb einer Schaltanlage Geräte verschiedener Hersteller mit definierten Funktionen, Schnittstellen und einem einheitlichen Kommunikationsprofil zum Einsatz kommen. Die durch die Interoperabilität erzielte Herstellerunabhängigkeit bewirkt nicht nur einen erhöhten Wettbewerb und günstigere Preise, sondern ist auch die Voraussetzung für eine Vereinfachung von Projektierung, Inbetriebnahme, Betrieb und Wartung.

Dipl.-Ing. Harald Grewe ist Produktmanager IP67-I/O-Systeme bei der Phoenix Contact Electronics GmbH, Bad Pyrmont.

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