Ein Gigant in Aufruhr

Künstlerische Darstellung von Beteigeuze im Sternbild Orion. Das Bild zeigt, wie eine gewaltige Menge von Material von der Oberfläche des Sterns in den umgebenden Raum hinausgeschleudert wird. Der Durchmesser des Riesensterns übersteigt die Dimensionen des inneren Sonnensystems. Bild: ESO/L. Calcada

Einem internationalen Team von Astronomen unter der Leitung von Keiichi Ohnaka vom Max-Planck-Institut für Radioastronomie in Bonn ist die bisher schärfste Darstellung eines sterbenden Riesensterns gelungen. Danach bewegt sich das Gas in der Atmosphäre von Beteigeuze in gewaltigen Blasen heftig auf und ab, und diese erreichen fast die Größe des Sterns selbst, der einst als Supernova explodieren wird. (Astronomy & Astrophysics, 2009, im Druck)

In einer klaren Winternacht steht das Sternbild Orion in unseren Breiten hoch im Süden. An der linken Schulter des mythologischen Himmelsjägers funkelt ein heller, orangefarbener Stern: Beteigeuze, ein sogenannter roter Überriese mit gewaltigem Durchmesser. An die Stelle unserer Sonne versetzt, würde er die inneren Planeten Merkur, Venus, Erde und Mars verschlucken und sich fast bis zur Umlaufbahn von Jupiter erstrecken. Dieser Stern strahlt extrem hell, sendet er doch über 100000-mal mehr Licht aus als die Sonne.

Beteigeuze befindet sich in der letzten Phase seines – für Sterne – ohnehin recht kurzen Lebens von nur einigen Millionen Jahren. Er ist unruhig und bläst in Form eines heftigen „Sternwinds“ eine riesige Menge an Molekülen und Staub ins freie Weltall. Dieses Material fließt in den Kreislauf der Elemente und dient als Baustoff für die nächste Generation von Sternen, vielleicht auch für Planeten ähnlich der Erde. Tatsächlich büßt Beteigeuze jährlich ungefähr eine Erdmasse an Substanz ein.

Wie genau verliert dieser Stern einen Teil seiner Materie, die normalerweise durch die Gravitation an ihn gebunden wäre? Am besten, man könnte diesen Prozess unmittelbar am Ort seiner Entstehung beobachten – also dort, wo die Materie von der Oberfläche herausgeschleudert wird. Das stellt hohe Anforderungen an die Beobachtungstechnik. Obwohl Beteigeuze einen Durchmesser von 1,3 Milliarden Kilometern besitzt (Sonne: 1,39 Millionen), erscheint der Stern aufgrund seiner Entfernung von 640 Lichtjahren selbst in den größten Teleskopen lediglich als verwaschener rötlicher Fleck unter einem Winkel von nicht mehr als 43 Milli-Bogensekunden.

Daher nutzen die Astronomen eine spezielle Beobachtungstechnik: die Interferometrie. Bei dieser Methode werden zwei oder mehr Einzelteleskope zusammengeschaltet und liefern so eine wesentlich höhere Winkelauflösung als ein einziges Fernrohr. Das Very Large Telescope Interferometer (VLTI) auf dem Cerro Paranal in Chile, das von der Europäischen Südsternwarte (ESO) betrieben wird, ist eines der größten Interferometer der Erde. Ein Team von Astronomen aus Instituten in Deutschland, Frankreich und Italien hat Beteigeuze nun mit dem AMBER-Instrument zur Interferometrie im Nahinfrarot beobachtet. Das erreichte Auflösungsvermögen würde ausreichen, um eine 1-Euro-Münze auf dem Brandenburger Tor in Berlin von Bonn aus zu erkennen.

„Unsere Messungen ermöglichen den bisher schärfsten Blick auf Beteigeuze“, sagt Keiichi Ohnaka vom Max-Planck-Institut für Radioastronomie und Erstautor des Artikels in Astronomy & Astrophysics. „Es ist uns gelungen, zum ersten Mal die Gasbewegungen in der Atmosphäre eines anderen Sterns als der Sonne räumlich aufzulösen. So können wir diese Bewegungen in unterschiedlichen Bereichen der Sternoberfläche studieren.“

Die AMBER-Beobachtungen zeigen, dass sich das Gas in der Atmosphäre von Beteigeuze mit Geschwindigkeiten von 40000 Kilometern pro Stunde auf- und abbewegt. Der Durchmesser der beobachteten Gasblasen entspricht etwa dem der Marsbahn in unserem Planetensystem und erreicht damit die Dimensionen des Sterns selbst. Während die Astronomen über die exakte Ursache dieser heftigen Aktivität noch rätseln, zeigen die Messungen bereits jetzt, wie der Masseverlust bei dem roten Überriesen funktioniert: Die gewaltigen Gasblasen stoßen Materie von der Sternoberfläche in den umgebenden Raum aus. Das bedeutet auch, dass die Materie nicht ruhig und gleichförmig als Sternwind abfließt, sondern eher explosiv in Form von Materiebögen oder Klumpen.

Der Tod dieses gewaltigen Sterns steht unmittelbar bevor: In einigen Tausend bis Hunderttausend Jahren wird Beteigeuze als kosmisches Feuerwerk aufflammen – als Supernova. Da der Gigant der Erde vergleichsweise nahesteht, wird man ihn mit bloßem Auge sogar am Taghimmel sehen können.

Originalveröffentlichung:

K. Ohnaka, K.-H. Hofmann, M. Benisty, A. Chelli, T. Driebe, F. Millour, R. Petrov, D. Schertl, Ph. Stee, F. Vakili, G. Weigelt
Spatially resolving the inhomogeneous structure of the dynamical atmosphere of Betelgeuse with VLTI/AMBER

Astronomy & Astrophysics, 2009 (im Druck)

Weitere Informationen erhalten Sie von:

Dr. Keiichi Ohnaka
Max-Planck-Institut für Radioastronomie, Bonn
Tel.: +49 228 525-353
Fax: +49 228 525-229
E-Mail: kohnaka@mpifr.de
Prof. Dr. Gerd Weigelt
Max-Planck-Institut für Radioastronomie, Bonn
Tel.: +49 228 525-243
Fax: +49 228 525-229
E-Mail: weigelt@mpifr.de
Dr. Norbert Junkes, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Max-Planck-Institut für Radioastronomie, Bonn
Tel.: +49 228 525-399
E-Mail: njunkes@mpifr.de

Media Contact

Dr. Felicitas von Aretin Max-Planck-Gesellschaft

Weitere Informationen:

http://www.mpg.de

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