Essentieller Tremor: Genetische Variante des Gens LINGO1erhöht das Erkrankungsrisiko

Die Ergebnisse dieser ersten genomweiten Assoziationsstudie bei Essentiellem Tremor (ET) wurden in der aktuellen Online-Ausgabe des Journals „Nature Genetics“ veröffentlicht und beruhen auf Untersuchungen an 752 Patienten und über 15.000 Kontrollen aus vier Ländern (Island, Österreich, Deutschland und USA).

Essentieller Tremor ist die häufigste neurologische Bewegungsstörung und betrifft etwa 5% der Bevölkerung. Die Störung äußert sich in einem Zittern, meist der Hände beim Halten von Gegenständen oder bei Bewegungen. Essentieller Tremor kann sich bereits bei Jugendlichen zeigen, die meisten Patienten entwickeln die Erkrankung jedoch mit zunehmendem Alter vor allem jenseits des 50. Lebensjahres. Die Schwere der Erkrankung ist von Patient zu Patient unterschiedlich. Nicht selten treten schwere Beeinträchtigungen im Alltag auf: zum Beispiel aufgrund des Zitterns der Hände die Unfähigkeit aus einem Glas zu trinken oder mit Besteck zu essen. Essentieller Tremor tritt typischerweise bei mehreren Familienangehörigen auf und wird in vielen Tremorfamilien mit 50%igem Risiko auf die Kinder vererbt.

Die genetische Untersuchungstechnik der genomweiten Assoziationsstudie basiert auf der Annahme, dass Variationen der Erbsubstanz die Entstehung einer Erkrankung begünstigen können, aber nicht alleine verursachen. Bei derartigen Studien werden genomweit mehrere hunderttausend Genvarianten von ET-Patienten mit gesunden, nicht an Tremor erkrankten Kontrollpersonen verglichen. Bei Patienten aus allen vier Ländern konnte eine bestimmte Variante des Gens LINGO1 auf Chromosom 15 signifikant häufiger gefunden werden als bei Kontrollpersonen. Da man diese Risikovarianten allerdings auch bei vielen gesunden Personen findet, steigt das individuelle Risiko bei Vorhandensein der Varianten nur geringfügig. Eine genetische Diagnostik für den einzelnen Patienten oder eine Risikoabschätzung, ob man in Zukunft an Essentiellem Tremor erkrankt, falls andere Familienangehörige die Erkrankung bereits haben, ist somit im Augenblick noch nicht möglich.

Da jedoch nicht nur die entdeckte genetische Variante von LINGO1 sondern auch das Vorkommen von Essentiellem Tremor häufig ist, errechneten die Studienleiter eine sogenannte „population attributable fraction“ von 20%. Dies bedeutet, dass es statistisch ohne das Vorkommen von LINGO1 Varianten 20% weniger ET-Fälle gäbe.

Grundlagenforscher hatten sich bereits früher mit dem Gen LINGO1 beschäftigt. Sie entdeckten, dass es ein wichtiger Regulator ist für das Zellüberleben und die Zellregeneration, insbesondere der Axonfunktion (Aufrechterhaltung der Verbindung und Signalübertragungen zwischen Nervenzellen) im Zentralnervensystem. Dass LINGO1 nun eine Rolle bei der Entstehung von Essentiellem Tremor zu spielen scheint, passt gut zu der Annahme, dass bei ET-Patienten eine sehr langsam fortschreitende Degeneration von Nervenzellen stattfindet. Möglicherweise ergeben sich durch die Entdeckung von LINGO1 in Zukunft auch neue therapeutische Ansätze für ET-Patienten.

Die nun veröffentlichte Studie war nur durch die sehr große Zahl an Tremor-Patienten aus Island, USA, Österreich und Deutschland möglich. Neurogenetiker des Hertie-Instituts für klinische Hirnforschung um Dr. Friedrich Asmus und Professor Dr. Ludger Schöls kooperierten mit den isländischen Studienleitern (deCODE genetics) sowie mit Forschern der Medizinischen Universität Wien und der Emory Universität, Atlanta, USA.

Die Tübinger Forscher haben sich als nächstes Ziel gesetzt, weitere genetische Varianten bei Tremor zu identifizieren. Für diese Untersuchungen suchen Dr. Asmus und Professor Schöls neue Familien mit Tremor, in der zur Zeit zwei und mehr Betroffene leben, um durch sogenannte Kopplungsanalysen weitere Tremor-Gene identifizieren zu können (Kontakt: friedrich.asmus@uni-tuebingen.de,

Tel. 07071 2985165)

Titel der Originalarbeit
Variant in the sequence of the LINGO1 gene confers risk of essential tremor
Hreinn Stefansson, Stacy Steinberg, Hjorvar Petursson, Omar Gustafsson, Iris H Gudjonsdottir, Gudrun A Jonsdottir, Stefan T Palsson, Thorlakur Jonsson, Jona Saemundsdottir, Gyda Bjornsdottir, Yvonne Böttcher, Theodora Thorlacius, Dietrich Haubenberger, Alexander Zimprich, Eduard Auff, Christoph Hotzy, Claudia M Testa, Lisa A Miyatake, Ami R Rosen, Kristleifur Kristleifsson, David Rye, Friedrich Asmus, Ludger Schöls, Martin Dichgans, Finnbogi Jakobsson, John Benedikz, Unnur Thorsteinsdottir, Jeffrey Gulcher, Augustine Kong & Kari Stefansson
Nature Genetics | doi:10.1038/ng.299
http://www.nature.com/ng/journal/vaop/ncurrent/index.html
Ansprechpartner für nähere Informationen:
Universitätsklinikum Tübingen
Zentrum für Neurologie, Hertie-Institut für klinische Hirnforschung
Dr. Friedrich Asmus
Telefon: 07071-29-8 21 41 (Zentrale Crona Kliniken)
Fax: 07071-29-52 60
Mail: friedrich.asmus@uni-tuebingen.de

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Dr. Ellen Katz idw

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