Erdbebenforschung: Immense Datenmengen mit Künstlicher Intelligenz auswerten

Die Störungsfläche (hell) ist durch das Zerbrechen eines Gesteinspakets während eines Erdbebens entstanden. Foto: Joachim Ritter, KIT

Die Struktur des Erdinneren abbilden und selbst Mikrobeben sichtbar machen: Das können Erdbebenforscherinnen und -forscher dank entsprechender physikalischer Methoden.

Dabei werden allein am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) pro Jahr etwa 500 bis 1000 Milliarden Datenwerte erzeugt, doch dies ist nur ein kleiner Bruchteil der weltweit gewonnenen und archivierten Daten.

Forscherinnen und Forscher suchen daher schon seit Jahren nach besseren und effizienteren Methoden, die Datenflut vollständig auszuwerten. Für den Einsatz von KI in der Geophysik erhält das KIT aktuell eine Projektförderung des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg sowie eine weitere der Helmholtz-Gemeinschaft.

Die Geophysik hat eine hohe gesamtgesellschaftliche Relevanz mit Blick auf Infrastrukturen, Rohstoffversorgung und die Einschätzung sowie Abwehr von Naturgefahren.

Die am Geophysikalischen Institut des KIT geförderten Projekte beschäftigen sich in der Erdbebenforschung mit neuen Wegen bei der Vorsorge gegen Naturgefahren. Dabei entwickeln die Forscherinnen und Forscher physikalische Methoden, um das Erdinnere strukturell abzubilden und die Prozesse im Erdinneren zu verstehen.

Land unterstützt KI-Projekt KISS in „Kleinen Fächern“

Im Projekt „KI-basierte seismologische Signalklassifizierung“ (KISS) sollen mit KI-basierten Systemen nun zum einen aktive seismische Störungen durch ihre Mikrobebentätigkeit in Südbaden sichtbar gemacht werden.

Zudem wollen die Forscherinnen und Forscher vulkan-seismologische Phänomene in der Eifel mit bisher unerreichter Genauigkeit und Vollständigkeit beobachten. In Baden-Württemberg ereignen sich Schadensbeben relativ selten, zuletzt 2004 bei Waldkirch in Südbaden.

Aus Beobachtungen ist bekannt, dass sehr schwache Mikrobeben viel häufiger vorkommen als bisher gemessen, da sie im Hintergrundrauschen der Bodenbewegungen oft nicht erkennbar sind.

Ein weiteres Ziel des Projektes ist es, mit selbstlernenden KI-Systemen schwächste Erdbeben zu identifizieren und potentielle Bruchflächen zu lokalisieren.

„Dabei operieren die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit enormen Datenmengen, die mit konventionellen Analysemethoden nicht mehr ausreichend ausgewertet werden können“, erläutert Projektleiter Professor Joachim Ritter.

In der Eifel arbeiten aktuell die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an der Erkennung tieffrequenter Schwingungen, die im Zusammenhang mit einem Magmaaufstieg unter dem Laacher See stehen. Erstmals sollen nun KI-basierte Detektionen in diesem Frequenzbereich erfolgen.

Geophysik wird in Baden-Württemberg nur am KIT als Bachelor- und Masterstudiengang angeboten. Der Schwerpunkt in Forschung und Lehre liegt auf seismischen Abbildungsverfahren und der Erdbebenforschung. Die circa 150 betriebenen Erdbebenmessstationen erzeugen pro Sekunde meist 100 Datenpunkte, bei Experimenten mit 50 oder 100 Messstationen fallen so in einem Jahr etwa 500 bis 1000 Milliarden Datenwerte an, die gespeichert werden.

Hier setzen die KI-basierten Systeme zur seismologischen Signalklassifizierung an, dabei werden Erdbebensignale detektiert, ihre Ankunftszeit bestimmt und gegebenenfalls ihre Herkunft lokalisiert.

Einschränkungen und Probleme ergeben sich durch Bodenunruhe, zum Beispiel wegen Störsignalen aus Verkehr oder Industrie in dicht besiedelten Regionen, durch die das gesuchte Signal verrauscht wird.

„Ebenso erschweren nicht eindeutig zuordenbare Signale unterschiedlicher Dauer und Frequenz die Signalerkennung, wie unsere Untersuchungen an Vulkanen wie dem Laacher See in der Eifel zeigen“, führt Joachim Ritter aus.

Das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg fördert das Projekt KISS in den nächsten beiden Jahren mit 100.000 Euro im Förderprogramm „Gesamtgesellschaftlich bedeutsame Beiträge ‚Kleiner Fächer‘ im Bereich Künstliche Intelligenz“.

KI-Initiative der Helmholtz-Gemeinschaft fördert REPORT-DL-Projekt

Das Verständnis von Erdbebengefährdung weltweit zu verbessern, ist Ziel eines weiteren Projektes am Geophysikalischen Institut des KIT. Im Projekt REPORT-DL (Rapid Earthquake Phase analysis of Ocean-bottom, Regional and Teleseismic events with Deep Learning) soll der globale Datenschatz, der in den vergangenen Jahrzehnten in seismologischen Datenzentren archiviert wurde, verwendet werden, um kleinste Beben und ungewöhnliche Signale der Erde zu detektieren. Die Verteilung dieser Mikrobeben erlaubt Rückschlüsse auf den Spannungszustand der Erdkruste und somit einer besseren Gefährdungsabschätzung. Hierzu adaptieren die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler moderne Verfahren der KI, die im Bereich der Bild- und Sprachverarbeitung eingesetzt werden.

„Bisher eingesetzte Verfahren sind lediglich für große Signal-Rausch-Verhältnisse geeignet und verpassen Millionen von kleinsten Erdbeben, die wichtig sind, um aktive Bruchflächen in der Erdkruste zu detektieren“, sagt Professor Andreas Rietbrock, Institutsleiter am Geophysikalischen Institut, „deshalb entwickeln wir KI-basierte Algorithmen, mit denen wir die großen Datenmengen in Archiven oder auch Echtzeit-Datenströme nach schwachen seismischen Signalen automatisch, schnell und systematisch durchsuchen können.“

REPORT-DL ist Teil der Helmholtz KI Initiative, in dem 19 Projekte mit hohem Risiko und hohem Nutzen gefördert werden, um Probleme mit hoher gesellschaftlicher Relevanz zu lösen. Die Helmholtz-Gemeinschaft fördert das Projekt für zwei Jahre mit 360.000 Euro.

Details zum KIT-Zentrum Klima und Umwelt: http://www.klima-umwelt.kit.edu

Weiterer Kontakt:

Dr. Sabine Fodi, Redakteurin/Pressereferentin, Tel.: +49 721 608-21154, E-Mail: sabine.fodi@kit.edu

Als „Die Forschungsuniversität in der Helmholtz-Gemeinschaft“ schafft und vermittelt das KIT Wissen für Gesellschaft und Umwelt. Ziel ist es, zu den globalen Herausforderungen maßgebliche Beiträge in den Feldern Energie, Mobilität und Information zu leisten. Dazu arbeiten rund 9.300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf einer breiten disziplinären Basis in Natur-, Ingenieur-, Wirtschafts- sowie Geistes- und Sozialwissenschaften zusammen. Seine 24.400 Studierenden bereitet das KIT durch ein forschungsorientiertes universitäres Studium auf verantwortungsvolle Aufgaben in Gesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft vor. Die Innovationstätigkeit am KIT schlägt die Brücke zwischen Erkenntnis und Anwendung zum gesellschaftlichen Nutzen, wirtschaftlichen Wohlstand und Erhalt unserer natürlichen Lebensgrundlagen. Das KIT ist eine der deutschen Exzellenzuniversitäten.

Diese Presseinformation ist im Internet abrufbar unter: http://www.sek.kit.edu/presse.php

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Monika Landgraf Karlsruher Institut für Technologie

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