Biodegradierbar, osteo-induktiv und maßgeschneidert: Eine neue Generation von Implantaten auf dem Vormarsch

Das generative Fertigungsverfahren ermöglicht die Anpassung des Implantats an den individuellen Defekt. Das interkonnektive Porensystem sorgt für ein verbessertes Einwachsverhalten von Gefäßen und Bindegewebszellen in das Implantat und somit für seine gute Biodegradierbarkeit.

Die Regenerationsfähigkeit von Knochen ist begrenzt. Sind sie durch eine Krankheit wie zum Beispiel einen Tumor oder einen Unfall zu stark geschädigt, müssen sie durch Implantate ersetzt werden. Derzeit arbeiten Chirurgen hauptsächlich mit permanenten Titan-Implantaten. Um ihr Einwachsverhalten und ihre Verträglichkeit zu verbessern, entwickelten Forscher des Fraunhofer ILT ein Verfahren zur Herstellung poröser Implantate aus einer Titan-Legierung. Gefertigt werden diese Implantate mit dem Selective Laser Melting (SLM), einem generativen Laserverfahren, das bereits Anfang der Neunziger Jahre von den Aachener Forschern entwickelt und für den medizinischen Bereich weiter spezifiziert wurde. Im Duisburger St. Johannes Hospital wurde 2008 erstmals einer Patientin eine mit SLM gefertigte Hüftpfanne erfolgreich eingesetzt. Die 35-Jährige benötigte aufgrund einer extremen Hüftverformung eine Sonderanfertigung, die dank des innovativen Fertigungsverfahrens realisiert werden konnte. Mittlerweile werden von dem beteiligten Projektpartner jährlich 30-40 Implantate mit dem SLM-Verfahren hergestellt.

Häufig ist es gar nicht nötig oder sogar hinderlich, dass Implantate langfristig in ihrer Ursprungsform im Körper des Patienten verbleiben. Besonders im Bereich der Kinderchirurgie sind permanente Implantate problematisch, da sie durch das Wachstum der Kinder schon nach kurzer Zeit zu klein sein können und operativ entfernt beziehungsweise ausgetauscht werden müssen. Mediziner fordern daher biodegradierbare Implantate mit osteo-induktiven Eigenschaften: Implantate, die sich mit der Geschwindigkeit des Knochenwachstums abbauen und dieses gleichzeitig gezielt anregen. Nach einiger Zeit sollen sie komplett durch körpereigenes Material ersetzt werden und den Heilungsprozess auf diese Weise beschleunigen. Zudem soll das Implantat dem Defekt individuell angepasst werden und eine bestmögliche Verträglichkeit im Körper aufweisen. Ein großer Vorteil beim Einsatz von degradierbaren Implantaten besteht darin, dass es im Falle eines krankheitsbedingten Defekts nur noch eines einzigen operativen Eingriffs am Patienten bedarf.

Feinste Kanäle sorgen für verbesserte Degradierbarkeit

Gemeinsam mit dem Universitätsklinikum Aachen, dem Lehrstuhl für Gesteinshüttenkunde der RWTH Aachen und dem Lehr- und Forschungsgebiet Zahnärztliche Werkstoffkunde und Biomaterialforschung (ZWBF) der RWTH Aachen haben sich Forscher des Fraunhofer ILT dieser Aufgabe gestellt. Im Rahmen des Projekts RESOBONE haben sie auf Basis ihrer Erfahrungen mit SLM-gefertigten permanenten Implantaten ein Verfahren zur Herstellung biodegradierbarer Implantate entwickelt. Dieses Fertigungsverfahren ermöglicht es, biodegradierbare Implantate vor der Operation hinsichtlich ihrer Makrostruktur individuell an den Defekt des Patienten anzupassen. Die präzise definierte Mikrostruktur des Implantats sorgt schließlich für seine Porösität. Sie ist die Voraussetzung dafür, dass das Implantat mit der Zeit vom Körper resorbiert werden kann. Dazu bedarf es durchgehender Kanäle, so dass Blut und Zellen das Implantat vollständig durchdringen können. „Diese schwammartige Gitterstruktur zu schaffen, stellte die große Herausforderung während der Verfahrensentwicklung dar“, so Simon Höges, Projektleiter am Fraunhofer ILT. „Bislang war die Durchdringung des Implantats durch Körperzellen nur sehr beschränkt möglich. Das neue Verfahren versetzt uns in die Lage, mit einer Genauigkeit von 100 µm Porenkanäle von 500 bis 1000 µm Durchmesser zu generieren. In diesem Zusammenhang spielt auch der Werkstoff, aus dem das Implantat gefertigt wird, eine entscheidende Rolle.“ β-Tricalciumphosphat (β-TCP) bietet sich als Material zur Herstellung biodegradierbarer Implantate an, da es als Bestandteil des menschlichen Knochens für ein optimales Einwachsverhalten im Körper sorgt. Allerdings lässt sich β-TCP aufgrund seiner chemischen Struktur nicht direkt durch Schmelzen verarbeiten. Somit eignet es sich nur bedingt für die Verarbeitung mit dem SLM-Verfahren. „Es galt also, einen Zusatzstoff zu finden, der dem pulverisierten β-TCP beigemischt wird und dessen Vorteile mit einer besseren Schmelzbarkeit vereint. In dem degradierbaren Polymer Polyactid (PLA) haben wir diesen Stoff schließlich gefunden“, erklärt Höges. PLA schmilzt bereits unter 200 °C und eignet sich hervorragend für die Verarbeitung durch SLM. Mit diesem Verbundwerkstoff konnte schließlich die Fertigung des biodegradierbaren Implantats realisiert werden. Seine Basis bildet weiterhin das β-TCP, während das beigemischte PLA für die Formgebung sorgt.

Schicht für Schicht zum persönlichen Implantat

Für die Herstellung des degradierbaren Implantats wird zunächst eine Computertomografie-Aufnahme des bestehenden Knochens angefertigt. Basierend auf den Daten des Defekts werden die Konturen des Implantats virtuell konstruiert. Zusätzlich wird auf Grundlage eines Softwaremodells eine definierte Porenstruktur in das virtuelle Implantat eingebracht. So entsteht eine präzise Vorlage für die Mikro- und die Makrostruktur des zu fertigenden Implantats. Nun kann der eigentliche Fertigungsprozess beginnen: Ein Laserstrahl schmilzt eine hauchdünne Pulverschicht des Werkstoffs durch lokalen Wärmeeintrag gemäß der im Modell vorgegebenen Struktur. Anschließend wird eine weitere Pulverschicht aufgetragen, die ebenfalls mikrometergenau eingeschmolzen wird. Auf diese Weise wird das maßgeschneiderte Implantat schichtweise aus dem Pulverwerkstoff generiert. Materialverluste gibt es dabei nicht, überschüssiges Pulver kann wiederverwendet werden. Das Resultat ist ein biodegradierbares Implantat mit poröser Struktur aus einem Guss.

Auf Basis der in diesem Projekt gewonnenen Erkenntnisse steht mit SLM nun ein reproduzierbares, formgebendes Verfahren zur Verfügung, das das Potenzial zur Fertigung maßgeschneiderter biodegradierbarer Implantate mit definierter Porenstruktur besitzt. Für die Herstellung von Einzelstücken eignet sich das Verfahren ebenso wie für die Kleinserienfertigung. Dabei sind die Anwendungsbereiche vielfältig: Mit SLM lassen sich neben nicht lasttragenden Knochenimplantaten auch biomedizinische Produkte wie biodegradierbare Stents fertigen, die nach Erfüllung ihrer Aufgabe völlig vom Körper resorbiert werden. Auch in der Kieferchirurgie lässt sich das Verfahren zur Rekonstruktion von Defekten im Kieferknochen einsetzen. Derzeit testen Höges und sein Team in Zusammenarbeit mit den Kooperationspartnern vom Lehr- und Forschungsgebiet Zahnärztliche Werkstoffkunde und Biomaterialforschung (ZWBF) weitere Materialien für die Fertigung von Implantaten, um deren Einwachsverhalten zu optimieren.

Die abschließenden Ergebnisse des Verbundprojekts RESOBONE stellt Simon Höges am 14. Juli 2010 im Rahmen eines Seminars im Universitätsklinikum Aachen vor. Des Weiteren sind Vorträge von Projektpartnern zu diesem Thema geplant. Nähere Informationen zu dieser Veranstaltung können Interessenten unter www.ilt.fraunhofer.de im Bereich Messen & Veranstaltungen finden.

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Simon Höges
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simon.hoeges@ilt.fraunhofer.de
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Rapid Manufacturing
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