Berufsbildungs-PISA ist möglich – und birgt Überraschungen

Es ist unter Experten der Berufsbildungsforschung strittig, ob vergleichende Methoden der Kompetenzdiagnostik, wie sie bei PISA im großen Stil und zum großen Nutzen aller Beteiligten im Bereich der Allgemeinbildung angewendet werden, auch für die berufliche Bildung entwickelt werden können. In der beruflichen Bildung geht es um hunderte verschiedene Berufe, für die in höchst verschiedenen Berufsbildungssystemen ausgebildet wird.

Schulische Formen der Berufsausbildung konkurrieren international zum Beispiel mit der Tradition der dualen Berufsausbildung. Die Forschungsgruppe Berufsbildungsforschung der Universität Bremen hat in den vergangenen zwei Jahren im Auftrag der Bildungsressorts der Bundesländer Hessen und Bremen am Beispiel eines handwerklichen und eines industriellen Elektronikerberufs ein Testverfahren entwickelt und erprobt, das seine Bewährungsprobe bestanden hat. Unter dem Kürzel „KOMET“ wurden gerade die ersten Testergebnisse veröffentlicht.

Die Untersuchungsergebnisse überraschen in ihrer Qualität und Tiefe selbst Fachleute. „Erstmals sind wir in der Lage, in der beruflichen Bildung, die weitgesteckten Bildungsziele und Leitideen mit den Ausbildungsergebnissen zu vergleichen“, kommentiert Reinhard Platter aus dem Haus der Bremer Senatorin für Bildung und Wissenschaft die Ergebnisse. Es sind vor allem fünf Punkte, zu denen die Untersuchungsergebnisse der Berufsbildungspraxis, der Berufsbildungsplanung und -politik wertvolle Daten liefern.

1. Die in den Fachklassen der Berufsschulen zusammengefassten Auszubildenden aus den unterschiedlichen Ausbildungsbetrieben zeichnen sich durch ein Höchstmaß an Heterogenität ihrer Kompetenzen aus. Die unteren und oberen zehn Prozent der leistungsschwachen und leistungsstarken Auszubildenden liegen im dritten Ausbildungsjahr in ihrer Kompetenzentwicklung um bis zu zwei Ausbildungsjahre auseinander. Das heißt, dass ein Teil der Auszubildenden gegen Ende der Ausbildung kaum über Anfängerqualifikationen hinausgelangt ist.

2. Erfreulich ist, dass die PISA-Prognose, nach der der große Anteil an Risikoschülern einer Berufsausbildung nicht gewachsen ist, nicht in vollem Umfang zutrifft. Ein beachtlicher Teil der Risikoschüler, die sich im Elektrikerberuf (Handwerk) konzentrieren, erreicht durchaus das Ausbildungsziel. Trotzdem wird die PISA-Prognose in der Tendenz bestätigt.

3. Überraschend ist das Ergebnis, dass es zwischen dem zweiten und dritten Ausbildungsjahr bei einer dreieinhalbjährigen Ausbildungszeit zu einer Stagnation der Kompetenzentwicklung kommt. In der prüfungsfreien Zeit nach der Zwischenprüfung kommt es ganz offenbar, so die begründete Hypothese, zu einer „Durchhängerphase“, bei der eine große Zahl von Auszubildenden erst einmal die Zügel schleifen lässt, bevor sie sich dann, kurz vor der Abschlussprüfung, wieder anstrengen. In dem als Längsschnittsuntersuchung angelegten Projekt wird diese begründete Vermutung noch im Einzelnen untersucht werden. Dies ist schon deswegen notwendig, da die sich daraus ergebenen Konsequenzen weitreichende Reformen des Prüfungswesens nahelegen.

4. Hervorgehoben wird in der Studie auch, dass die anfängliche Begeisterung für den gewählten Beruf und das damit verbundene berufliche Engagement während der Ausbildung stagniert und in der Tendenz eher abnimmt. Die Auszubildenden fühlen sich in der Anfangsphase ihrer Ausbildung mehrheitlich unterfordert und zu sehr in die Rolle von Hilfskräften gedrängt. Immer dann, wenn Betriebe Auszubildende als neue Mitarbeiter behandeln, und sie, so wie es die Ausbildungsordnungen vorsehen, von Anfang an in Arbeitsaufträge einbeziehen, die sie auch als eingebettet in die betrieblichen Geschäftsprozesse erleben, wirkt sich dies sehr positiv auf die Entwicklung beruflicher Kompetenz und beruflichen Engagements aus. Der für die berufliche Bildung zuständige Abteilungsleiter des hessischen Kultusministeriums, Wolfgang Kreher, sieht daher die Notwendigkeit, in der Zusammenarbeit zwischen Berufsschulen und den Ausbildungsbetrieben eine neue Qualität zu erreichen.

Die Studie wird vom Bremer Bildungsressort sowie vom hessischen Kultusministerium in seiner bildungsplanerischen Bedeutung sehr hoch eingeschätzt. Daher wird die Studie fortgesetzt und ausgeweitet. Seit Beginn des Jahres beteiligt sich eine Gruppe von 800 chinesischen Auszubildenden an diesem Projekt. Die Wissenschaftler der Forschungsgruppe Berufsbildungsforschung hoffen, die Hürden für eine international vergleichende Kompetenzdiagnostik zu überwinden. „Wenn dies gelingt“, so Professor Felix Rauner, „sind Ende 2009 aufs Neue außerordentlich interessante Ergebnisse aus diesem neuen Feld der Kompetenzdiagnostik zu erwarten“.

Weitere Informationen:
Universität Bremen
Forschungsgruppe Berufsbildungsforschung
Prof. Dr. Felix Rauner
Tel. 0421-218 4634
Fax 0421 218 7612
E-Mail: rauner@uni-bremen.de

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Eberhard Scholz idw

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http://www.ibb.uni-bremen.de

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