Asymmetrie im Embryo: Neues Forschungsprojekt untersucht, wie das Herz an den rechten Fleck gelangt

Sie arbeiten mit Tapetenkleister, Bioinformatik und viel Fingerspitzengefühl. Seit mehreren Jahren betreiben Entwicklungsbiologen der Universität Hohenheim High-Tech-Grundlagenforschung mit Potential für medizinische Anwendung. An wenige Tage alten Froschkaulquappen untersuchen sie, wie sich Organe von Wirbeltieren asymmetrisch in die rechte oder linke Körperhälfte sortieren – während Augen, Ohren, Arme und Beine einer strengen Rechts-Links-Symmetrie folgen. Gestern veröffentlichten die Biologen um Prof. Dr. Martin Blum ihre neuesten Ergebnisse im Fachjournal Current Biology. Jetzt stärkt die DFG die Asymmetrie-Forschung mit 325.000€ und macht das Projekt zu einem der Schwergewichte der Forschung in Hohenheim.

Ob Frosch oder Vogel, Mensch oder Maus: von außen sehen Wirbeltiere auf der rechten Körperhälfte genauso aus wie auf der linken. Doch in ihrem Inneren ist Schluss mit der Symmetrie: Das Herz schlägt links, der Blinddarm entzündet sich rechts, auch Lunge, Leber und Milz ordnen sich nicht in ein spiegelsymmetrisches Rechts-Links-Schema ein.

Zum Glück, denn wenn die innere Ordnung gestört ist, können zum Teil schwere Krankheiten die Folge sein: „Statistisch treten solche Fälle bei ca. einer von 1.000 Personen auf. „Die Folgen reichen von Herzfehlern bis zum Fehlen der Milz. Auch eine häufige Nierenerkrankung des Menschen, das Zystennierensyndrom, lässt sich auf Defekte in der Cilien-Funktion eines Gens zurückführen, das im frühen Embryo die Asymmetrie steuert“, erklärt Prof. Dr. Martin Blum, Entwicklungsbiologe an der Universität Hohenheim.

Mehrjährige Vorarbeiten

Die neuesten Erkenntnisse der Entwicklungsbiologen um Prof. Dr. Blum bauen auf langjähriger Forschung in Hohenheim auf. Vor wenigen Jahren entdeckten die Entwicklungsbiologen in Frosch-Embryonen ein Areal, in dem die Zellen eine Art Wimpern – sogenannte Cilien – trugen.

Die Wimpern schlagen synchron im Kreis und erzeugen dabei einen nach links gerichteten Flüssigkeitsstrom innerhalb des Embryos. Diese Strömung aktiviert eine kleine Gruppe von nur drei Genen in den Zellen der linken Körperhälfte, die daraufhin als erstes Organ das Herz asymmetrisch links anlegen. In der rechten Körperhälfte bleiben die gleichen Gene inaktiv.

Repressor ist Schlüssel zur Gen-Aktivierung

Jetzt sind die Hohenheimer Forscher dem Mechanismus der Gen-Aktivierung ein Stück näher gekommen und veröffentlichten die Ergebnisse ihrer Studie in der aktuellen Ausgabe von Current Biology. Nach den jüngsten Ergebnissen hebt der Flüssigkeitsstrom einen Repressor gezielt auf der linken Seite auf. Vor Einsetzen dieser Strömung hält dieser Repressor auf beiden Seiten einen Aktivator der asymmetrischen Gene in Schach. Dank dieses Repressors ist Symmetrie im Äußeren darum der Normalzustand. Wird der Repressor durch die Flüssigkeitsströmung auf der linken Seite ausgeschaltet, setzt er in der linken Körperhälfte den Aktivator in Gang und gibt damit den genetischen Befehl, der für die asymmetrischen Gene und für Organ-Asymmetrie im Bauchraum verantwortlich ist.

Kleister und Fingerspitzengefühl

Bereits für diese Ergebnisse war viel Fingerspitzengefühl nötig, wie Prof. Dr. Blum beweist. Der Entwicklungsbiologe fischt eine winzige Kaulquappe aus einer Petrischale und betäubt das wenige Tage alte Froschbaby, damit es ihm sein transparentes Bäuchlein zustreckt. Unter dem Mikroskop zeigt sich schnell, wie herum das Herz oder der Darm gewunden sind. In einer anderen Schale sind junge Kaulquappen so eingefärbt, dass man die asymmetrischen Gene sieht: eine blau eingefärbte Linie in der linken Körperhälfte des Froschembryos zeigt an, dass das rechts-links-Gen korrekt aktiviert ist. Sieht man keine blaue Linie, wurde das Gen nicht korrekt angeschaltet.

Zwei bis vier Tage früher lagen die Froschembryonen schon einmal auf Blums Experimentiertisch. Mit einem wenige Zellen großen Embryo, der mit bloßem Auge nur als schwarzer Punkt zu erkennen ist, spielten die Biologen der Universität Hohenheim verschiedene Fälle durch. „Stoppt man den Flüssigkeitsstrom mit Tapetenkleister auf dem Cilienfeld, ordnen sich die Organe komplett durcheinander an“, erklärt Prof. Dr. Blum.

Heben die Biologen den Repressor durch Injektion einer Chemikalie gezielt auf, erscheint die blaue Linie wieder. Die Organe orientieren sich nach links. „Mit statistischer Bioinformatik konnten wir dann unsere Hypothese, dass der Flüssigkeitsstrom nicht direkt, sondern nur über einen Repressor das Gen aktiviert, verifizieren“, meint Prof. Dr. Blum.

DFG-Projekt sichert weitere Forschung

Welche Vorgänge an der Schnittstelle zwischen Flüssigkeitsstrom und Repressor wirken, wollen die Biologen jetzt genauer erforschen. Durch welchen Mechanismus wird der Repressor abgestellt, und von welcher Beschaffenheit ist der Flüssigkeitsstrom, der den mysteriösen Abschalter transportiert?

„Wir suchen Mister X“, sagt Prof. Dr. Blum und hat sich für die Suche zwei Doktoranden mit ins Boot geholt. Das Forschungsprojekt wird von der deutschen Forschergemeinschaft (DFG) für die kommenden drei Jahre mit 325.000€ gefördert.

Biologische Signale: Ein Forschungsschwerpunkt der Universität Hohenheim

In den Lebenswissenschaften gehört die Erforschung von biologischen Signalen derzeit zu den attraktivsten und innovativsten Forschungsfeldern. Im Fokus stehen fundamentale Lebensprozesse: von den elementaren Vorgängen in der Zelle und den komplexen Regelprozessen über multizelluläre Lebewesen bis hin zur Kommunikation von Organismen in und mit ihrer Umwelt. Das Grundlagenthema hat einen Anwendungsbezug, der aktuelle biomedizinische Probleme; ökologisch relevante Fragestellungen sowie neue Verfahrens- und Produktionstechnologien einschließt. Weitere Forschungsschwerpunkte der Universität Hohenheim sind die Agrar- und Ernährungsforschung im Rahmen der Food-Chain, Beiträge der Landwirtschaft zur Energie- und Rohstoffversorgung und der Forschungsschwerpunkt Innovation und Dienstleistung.

Hintergrund: Schwergewichte der Forschung

Rund 26 Millionen Euro an Drittmitteln akquirierten Forscher der Universität Hohenheim allein im vergangenen Jahr – gut 20% mehr als im Vorjahr. In loser Folge präsentiert die Reihe „Schwergewichte der Forschung“ herausragende Forschungsprojekte mit einem Drittmittelvolumen von mindestens einer viertel Million Euro bzw. 125.000 Euro in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften.

Ansprechperson:
Prof. Dr. Martin Blum, Universität Hohenheim, Lehrstuhl für Zoologie
Tel.: 0711 459-22255, E-Mail: martin.blum@uni-hohenheim.de

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Florian Klebs idw

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