Tourismusindustrie braucht innovative Konzepte

Wie kann die europäische Tourismuswirtschaft angesichts des Klimawandels, der Finanzkrise und des demographischen Wandels wettbewerbsfähig bleiben? Experten sehen in der Umsetzung eines barrierefreien Tourismus für alle sowohl einen ökologischen als auch einen ökonomischen Nutzen.

Bedingt durch die Finanzkrise werden Reiseaufkommen und Aufenthaltsdauer zurückgehen, die Erschließung neuer Zielgruppen kann das Defizit der Tourismusbranche aber langfristig wettmachen.

Barrierefreier Tourismus für alle ist kein Randgruppenthema im Sinne eines reinen „Behindertentourismus“. Nach Berechnungen der University of Surrey gibt es in Europa rund 127 Mio. Menschen mit Behinderung, von denen etwa 70 Prozent physisch und ökonomisch in der Lage wären zu verreisen. Aber nur 1,5 Prozent der Gastronomiebetriebe, 6,5 Prozent der Unterkünfte und 11,3 Prozent der Sehenswürdigkeiten im EU-Raum sind zumindest für RollstuhlfahrerInnen zugänglich. Den wenigen barrierefreien Angeboten und Dienstleistungen steht EU-weit eine kaum zu sättigende Nachfrage gegenüber. Dazu kommen rückläufige Bevölkerungszahlen bei einem stetigen Wachstum der Gruppe 60plus. Damit steigt auch kontinuierlich der Bedarf an barrierefreien Produkten und Dienstleistungen.

Sieben Erfolgsfaktoren

Bei der vierten Fachtagung der Infoplattform Barrierefreier Tourismus in Österreich (IBFT) am 20. November 2008 in Linz präsentierten international anerkannte ExpertInnen aktuelle Trends und Erfolg versprechende Konzepte zum Thema „Barrierefreiheit und Nachhaltigkeit im Tourismus“. Peter Neumann von der Universität Münster zeigte 2003 in einer Studie das enorme Potenzial einer barrierefreien Tourismuskette auf. Jetzt stellte er in Linz die Ergebnisse einer topaktuellen neuen Studie vor, in der er die Chancen und Herausforderungen eines Barrierefreien Tourismus in Deutschland analysiert und Maßnahmen zur Qualitätssteigerung touristischer Produkte präsentiert, die auch auf österreichische Verhältnisse umgelegt werden können.

Neumann identifiziert in seiner Studie sieben voneinander abhängige, international gültige Erfolgsfaktoren für die Entwicklung eines Barrierefreien Tourismus für Alle. Wesentlich ist u. a. das Engagement von politischen und administrativen Entscheidungsträgern. „Barrierefreiheit muss ein Kriterium für die Vergabe von Förderungen und Aufträgen der öffentlichen Hand werden“, fordert Neumann. Eine Vernetzung der Anbieter unter Einbeziehung aller Beteiligten ist ebenfalls von Bedeutung, genauso wie strategische Planung. Dass diese Erfolgsfaktoren tatsächlich greifen, beweisen die bei der IBFT-Fachtagung präsentierten Best-Practice-Beispiele.

Erfolgreiche Projekte in EU-Raum

Im Rahmen der IBFT-Fachtagung wurden interessante Projekte aus dem EU-Raum vorgestellt. Mike Broeders von ENTER, dem Flämischen Expertisezentrum für Barrierefreiheit in Hasselt (Belgien), referierte über den nationalen Plan zur Umsetzung von Barrierefreiheit in Flandern, wo Subventionen an die Tourismuswirtschaft ausschließlich für barrierefreie Projekte vergeben werden. Auch in Ungarn existiert bereits ein nationaler Plan zur Förderung Barrierefreier Tourismusangebote. Eva Caesar vom Landesverband der Körperbehindertenvereine in Ungarn (MEOSZ) stellte barrierefreie Reiseziele in Budapest vor, darunter auch einige beliebte Heilbäder. Ernst Birnmeyer vom Amt für Landwirtschaft und Forsten in Weißenburg (D) präsentierte das ökonomisch überaus erfolgreiche barrierefreie Landtourismusangebot im Fränkischen Seenland.

Wiederholt wurde darauf hingewiesen, dass man in erster Linie auf mobilitätseingeschränkte Personen eingestellt sei, jedoch bei der großen Gruppe der sinnesbehinderten Gäste noch einen enormen Aufholbedarf habe. Diesem Defizit begegnete Jürgen Trinkus, Tourismusbeauftragter des Blinden- und Sehbehindertenvereins Schleswig-Holstein (D). Er sprach über die Erschließung der Hallig Hooge für Blinde und Sehbehinderte. Innerhalb eines Jahres wurden hier ein Audioguide und taktile Landkarten entwickelt und in das bestehende Tourismusangebot integriert. „Die Kooperation von sehenden und blinden Experten mit administrativen Entscheidungsträgern sowie die Schulung der Gastgeber hat sich als sehr erfolgreich erwiesen“, stellte Trinkus fest. Finanziell unterstützt wurde das Projekt „Ich höre und fühle, was Du siehst!“ vom Sozialministerium von Schleswig-Holstein.

Nachhaltigkeit in Österreich

Die Plattform football 4 all engagierte sich bei der EURO 2008 für mobilitätseingeschränkte und sehbehinderte Fans in Österreich. Projektkoordinatorin Britta Wagner von der Hilfsgemeinschaft der Blinden und Sehschwachen Österreichs blickt auf ein äußerst erfolgreiches Fußballfest für Alle zurück. Mit dem Wissen um ein Nachhaltigkeitskonzept der UEFA, das auch Fans mit Behinderung den Zugang sichern sollte, startete die Plattform, die sich aus verschiedenen Behindertenorganisationen und der IBFT zusammensetzt. Die barrierefreie Information der Fans ermöglichte die vom Sozialministerium geförderte Website http://www.football4all.eu , die während der EURO 10.000 Zugriffe verzeichnete. 4.144 Fans im Rollstuhl und 310 sehbehinderte und blinde Fans, die über Kopfhörer professionelle Kommentare der Matches verfolgen konnten, erlebten die EURO 2008 live im Stadion. „Wesentlich für den Erfolg waren der Wille des Veranstalters und der ausgezeichnete Kontakt zur UEFA. Wenn die drittgrößte Sportveranstaltung der Welt weitgehend barrierefrei sein kann, dann kann das jede andere auch“, macht Wagner allen Verantwortlichen Mut. Erfreulicherweise setzt auch der ÖFB auf Barrierefreiheit und kooperiert mit der Plattform football 4 all.

Unter dem Motto „No Handicap in Oberösterreich“ stellte Georg Bachleitner von Oberösterreich Tourismus die Aktivitäten des Bundeslandes für Menschen mit Behinderung vor: „In Oberösterreich gibt es nur wenige touristische Großbetriebe, die Pauschalreisen anbieten können, aber viele kleine Betriebe, für die Individualreisende wichtig sind.“ Mobilitätseingeschränkte Gäste machen überdurchschnittlich oft außerhalb der Hauptreisezeit Urlaub und sie bleiben länger, was eine bessere Auslastung garantiert. Die barrierearme Internetplattform http://www.nohandicap.at liefert Infos über mehr als 70 Betriebe, die auf ihre Rollstuhltauglichkeit getestet wurden. Andreas Pangerl präsentierte das Dachstein Welterbe, bei dessen kürzlich erfolgtem Umbau größter Wert auf Barrierefreiheit gelegt wurde. „Soweit das im hochalpinen Raum möglich ist“, schränkt der Geschäftsführer der Dachstein & Eishöhlen GmbH ein und verweist auf die Naturschutzbestimmungen. Zu den Kosten sagt Pangerl: „Die Investitionen haben sich um ein bis zwei Prozent erhöht, um dort barrierefrei zu werden, wo es möglich ist.“

Herbert Minarik, ÖBB-Konzernkoordinator für Umwelt und Nachhaltigkeit, erläuterte die Maßnahmen der ÖBB zugunsten mobilitätseingeschränkter Fahrgäste. Gerlinde Weilinger vom Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit, das die Veranstaltung finanziell unterstützte, zeigte die Möglichkeiten und Grenzen des Bundes-Behindertengleichstellungsgesetztes auf und legte ein klares Bekenntnis zur Förderung des Barrierefreien Tourismus in Österreich ab.

Fazit der IBFT-Fachtagung

„Die meisten Aktivitäten im Barrierefreien Tourismus sind auf einzelne Pilotprojekte beschränkt, nur selten wird das Thema bundes- oder landesweit auf Basis einer nachhaltigen Planung verfolgt“, resümiert Neumann. Interessant für den heimischen Tourismus sind die abgefragten Reiseziele für die nächsten drei Jahre: Österreich liegt bei den deutschen Gästen mit Beeinträchtigungen noch vor Spanien und Italien auf Platz 1. Weil sie sich in ihrem Reiseverhalten kaum von anderen Urlaubern unterscheiden, aber besonderes Interesse an Themen wie Natur und Gesundheit zeigen, rät Peter Neumann davon ab, sich auf bestimmte Zielgruppen zu konzentrieren, stattdessen sollten TouristikerInnen den Focus auf Themenmarketing richten.

„International gesehen ist Barrierefreier Tourismus für Alle ein boomendes Thema“, weiß Experte Peter Neumann. Überall dort, wo man neue Strukturen entwickelt, wird Barrierefreiheit von Anfang an realisiert. Auch die osteuropäischen Länder greifen das Thema bereits auf. „Gerade in wirtschaftlich schlechten Zeiten sollte investiert werden“, rät Neumann angesichts der Finanzkrise. „Die Tourismusindustrie kann sich den Herausforderungen erfolgreich stellen, wenn sie Barrierefreiheit als Qualitätsmerkmal für alle Gäste begreift und entsprechende Angebote entwickelt und vermarktet“, ist er vom nachhaltigen Erfolg des innovativen Konzeptes überzeugt.

IBFT – Infoplattform Barrierefreier Tourismus in Österreich

Die Infoplattform Barrierefreier Tourismus – IBFT, eine Initiative des ÖHTB (Österreichisches Hilfswerk für Taubblinde und hochgradig Hör- und Sehbehinderte), existiert seit 2003. IBFT versteht sich als Service- und Informationsstelle für sämtliche Belange des Barrierefreien Tourismus für Alle. Die Datenbank http://www.ibft.at listet barrierefreie Angebote in Österreich auf, die u. a. nach Regionen selektierbar sind. Darüber hinaus finden sich auf der Website Planungshilfen und Ratgeber zum Thema, sowie Studien, Literatur und Links. Finanziert wird das Projekt überwiegend vom Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit. Eine intensive Zusammenarbeit besteht auch mit dem Deutschen Reiseportal Barrierefreie Tourismus-Info – BTI. Auf europäischer Ebene fungiert IBFT für Österreich als nationaler Koordinator des European Network for Accessible Tourism – ENAT (http://www.accessibletourism.org). Das ENAT-Netzwerk umfasst bereits mehr als 450 Mitglieder in Europa und Übersee.

Kontakt IBFT:
Dr.in Angelika S. Laburda
Mobil: +43 (0)676 54 27 313
E-Mail: a.laburda@ibft.at
Projektleiterin Infoplattform
Barrierefreier Tourismus (IBFT)

Media Contact

Mag. Dr. Gabriele Frisch pressetext.austria

Weitere Informationen:

http://www.ibft.at

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