Sparkurs im Euroraum trifft deutsche Wirtschaft – 2012 nur Wachstum um 0,3 Prozent

Die Krise im Euroraum, die strikte Sparpolitik und der damit verbundene wirtschaftliche Einbruch in zahlreichen EU-Ländern machen der deutschen Wirtschaft in diesem und im kommenden Jahr schwer zu schaffen. 2012 durchläuft Deutschland eine konjunkturelle Stagnation.

Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) wird minimal wachsen – um 0,3 Prozent im Jahresdurchschnitt. 2013 verbessert sich die Situation nur geringfügig – das BIP wird um 0,7 Prozent zunehmen. Frankreich, der wichtigste deutsche Handels- und Währungspartner, erlebt mit Wachstumsraten von 0,2 bzw. 0,7 Prozent ebenfalls eine stagnative Entwicklung.

Da in den südeuropäischen Ländern, aber auch in den Niederlanden oder Belgien das BIP schrumpft, steckt der Euroraum als Ganzes in einer hartnäckigen Rezession: Das BIP in der Währungszone sinkt um 0,8 Prozent im Jahresdurchschnitt 2012. 2013 geht es erneut um 0,5 Prozent zurück.

Der Nachfragerückgang aus den Nachbarländern bremst sowohl die deutschen Exporte als auch die Investitionen. Hinzu kommt, dass auch weltweit die konjunkturelle Dynamik abnimmt: In vielen Ländern Asiens und Lateinamerikas sinken die Wachstumsraten merklich – nicht zuletzt wegen der geringeren Nachfrage aus Europa. Der vergleichsweise kräftige inländische Konsum in Deutschland stellt daher in diesem Jahr die tragende Säule der Wirtschaftsentwicklung dar.

Die schwache Konjunktur setzt auch der kräftigen Erholung am deutschen Arbeitsmarkt ein Ende, allerdings ohne dass es zu einer Trendumkehr kommt: Die Arbeitslosigkeit sinkt im Jahresdurchschnitt 2012 noch einmal geringfügig. 2013 bleiben die Zahlen bei Beschäftigung und Arbeitslosigkeit stabil. Zu diesem Ergebnis kommen das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in der Hans-Böckler-Stiftung, das Observatoire Français des Conjonctures Économiques (OFCE) und das Österreichische Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO) in ihrer neuen Konjunkturprognose.*

Die drei Institute aus Düsseldorf, Paris und Wien legen heute auf einer Pressekonferenz in Berlin ihre Konjunkturprognose und Analyse der Wirtschaftspolitik vor (mehr Informationen zu den Partner-Instituten am Ende der PM). Sie wird als IMK Report 71 veröffentlicht. Gegenüber der IMK-Prognose vom Dezember 2011 setzen die Forscher des „Makro-Konsortiums“ die Erwartung für die deutsche BIP-Entwicklung 2012 geringfügig um 0,4 Prozentpunkte herauf. Für 2013 hatte das IMK noch keine Prognose abgegeben.

„Alle Hoffnungen, dass sich Deutschland durch seine Exporte nach Übersee von der Entwicklung im Euroraum abkoppeln könnte, sind Illusionen“, sagt Prof. Dr. Gustav A. Horn, der Wissenschaftliche Direktor des IMK. „Europa ist und bleibt unser zentraler wirtschaftlicher Bezugsraum. Und die übertrieben harte Sparpolitik bei vielen unserer Handelspartner, die durch den Fiskalpakt auf fast die gesamte EU übertragen wird, trifft uns schwer.“ Natürlich müssten die Euro-Krisen-Staaten ihre Haushalte konsolidieren, betont Horn. „Aber synchrone, EU-weite Austeritätspolitik, die das Wachstum erstickt, wird den Konsolidierungserfolg sogar in Frage stellen. Um einen Ausweg aus der Krise zu finden, muss auch eine expansive Nachfragepolitik wieder Teil der wirtschaftspolitischen Agenda in Europa werden. Alles andere dürfte auch die Finanzmärkte eher verunsichern als beruhigen.“
– Warnung vor Kurswechsel der EZB –
IMK, OFCE und WIFO gehen in ihrer Prognose gleichwohl davon aus, dass sich die Staatsschuldenkrise im Euroraum nicht weiter zuspitzen wird. Diese Erwartung ist vor allem an die Annahme geknüpft, dass die Europäische Zentralbank (EZB) ihre erfolgreiche Strategie fortsetzen kann, durch Bereitstellung günstiger Liquidität für Banken und durch Käufe auf den Sekundärmärkten die Zinsentwicklung für Staatsanleihen zu dämpfen. Die Wissenschaftler warnen daher ausdrücklich vor einen Kurswechsel: „Vor diesem Hintergrund sind jüngste Versuche, die EZB an einer möglichen Fortsetzung der hohen Liquiditätsbereitstellung zu hindern, sehr gefährlich.“
– Wachstumsverluste durch Austeritätspolitik –
Die Folgen der harten Sparpolitik berechnen die Institute des Makro-Konsortiums in ihrer mittelfristigen Projektion. Im Vierjahreszeitraum zwischen 2010 und 2013 werden die Staaten des Euroraums negative fiskalische Impulse setzen, die im Durchschnitt 6,7 Prozent des BIPs ausmachen. In den Krisenstaaten Irland, Spanien, Portugal und Griechenland sind diese Impulse mit 12 bis gut 24 Prozent enorm. Sie verursachen über den gesamten Zeitraum kumulierte Wachstumsverluste, die von knapp zehn Prozent des BIPs in Irland bis zu minus 25,3 Prozent in Griechenland reichen – „de facto ein Kollaps der griechischen Wirtschaft“, schreiben die Forscher.

Auch Italien, Frankreich und selbst die Niederlande bremsen die Wirtschaftsentwicklung mit Negativ-Impulsen zwischen knapp neun und gut fünf Prozent kräftig. Die prognostizierten Wachstumsverluste reichen für den Vierjahreszeitraum von insgesamt 4,6 Prozent in den Niederlanden über acht Prozent in Frankreich bis zu 9,6 Prozent in Italien. In Deutschland sind die negativen fiskalischen Impulse mit insgesamt 1,5 Prozent vergleichsweise gering. Durch die enge wirtschaftliche Verflechtung verringert sich das Wachstum zwischen 2010 und 2013 aber um immerhin 2,7 Prozent des BIP. Vor allem in den Krisenstaaten dürften die Wachstumsverluste dazu führen, dass die Sparanstrengungen durch niedrigere Staatseinnahmen und höhere Ausgaben, etwa für die deutlich steigende Arbeitslosigkeit, beträchtlich konterkariert werden. Insgesamt werde eine „synchrone Sparpolitik entsprechend dem EU-Fiskalpakt die Kluft innerhalb des Euroraums zwischen den Mitgliedsländern in Südeuropa und Deutschland sowie den übrigen Ländern in Mittel- und Nordeuropa vertiefen. Die Hauptursache der Eurokrise wird so nicht überwunden, sondern verschärft“, warnen die Institute.

Als Alternative simulieren die Forscher die Wirkungen einer Niedrigzinsstrategie. Das Szenario basiert darauf, dass die Finanzierung von Krediten der Euro-Staaten auf Eurobonds mit einem Zinssatz von zwei Prozent umgestellt werden kann, was einen Verzicht auf die harten Auflagen des Fiskalpakts möglich macht. In der Modellberechnung schneidet das alternative Szenario mit Niedrigzinsen sowohl beim gesamtwirtschaftlichen Wachstum als auch bei der Arbeitslosigkeit merklich besser ab als das vom Fiskalpakt vorgegebene Sparszenario. Das gilt sowohl für Deutschland als auch für den gesamten Euroraum. Der Finanzierungssaldo der Staaten verbessert sich zwar im Fiskalpakt-Szenario stärker als im Szenario mit Eurobonds. Die Entwicklung der Staatsschuldenquote ist im Niedrigzins-Szenario hingegen günstiger, weil sich das höhere Wachstum positiv auswirkt (weitere Informationen und Grafiken im Anhang II der pdf-Version dieser PM; Link unten).

Weitere Kerndaten der Prognose für Deutschland (siehe auch Tabelle 9 Gesamtwirtschaftliche Entwicklung im IMK Report und als Anhang I in der pdf-Version dieser PM):

– Arbeitsmarkt –
Die Entwicklung bei Beschäftigung und Arbeitslosigkeit verliert mit der konjunkturellen Abschwächung spürbar an Dynamik, bleibt aber positiv. Die Zahl der Erwerbstätigen im Inland nimmt 2012 um durchschnittlich 350.000 Personen zu, wobei allerdings ein statistischer Überhang aus 2011 eine große Rolle spielt. Im Jahresverlauf stellt sich der Wert für 2012 ungünstiger dar als im Jahresdurchschnitt: In der zweiten Jahreshälfte dürfte die Zahl der Erwerbstätigen zeitweilig saisonbereinigt sinken. 2013 legt die Erwerbstätigkeit im Jahresmittel nur noch um weitere 40.000 zu. Die Zahl der Arbeitslosen geht im Jahresdurchschnitt 2012 um gut 90.000 auf rund 2,88 Millionen Menschen zurück. Das entspricht einer Arbeitslosenquote von 6,8 Prozent. 2012 stagniert die Arbeitslosigkeit im Jahresdurchschnitt, die Quote bleibt bei 6,8 Prozent.
– Außenhandel –
Der deutsche Export expandiert im Verlauf von 2012 relativ schwach. Im Jahresdurchschnitt nehmen die Ausfuhren um 3 Prozent zu. 2013 wachsen die Exporte geringfügig stärker – um durchschnittlich 3,5 Prozent. Die Importe steigen 2012 im Jahresmittel um 3,9 Prozent, 2012 um 3,8 Prozent.
– Investitionen –

Die Ausrüstungsinvestitionen geraten in diesem Jahr in eine ausgeprägte Flaute. Im Jahresdurchschnitt 2012 wachsen sie nur um 0,4 Prozent. 2013 legen sie wieder stärker zu – um 2,5 Prozent.
– Einkommen und Konsum –
Die real verfügbaren Einkommen steigen 2012 moderat um 0,6 Prozent, ebenso hoch fällt das Wachstum der realen privaten Konsumausgaben aus. 2013 werden die real verfügbaren Einkommen um 0,8 Prozent zunehmen, die privaten Konsumausgaben um 0,7 Prozent. Trotz dieser relativ schwachen Entwicklung werden die privaten Konsumausgaben vor allem 2012 mit ihrem Wachstumsbeitrag die Konjunktur wesentlich stützen, so die Forscher – im Vergleich zu Exporten und Investitionen bleiben sie relativ stabil.

– Inflation und öffentliche Defizite –
Die starken Preisausschläge bei (Energie-)Rohstoffen und Lebensmitteln bleiben auch in diesem Jahr spürbar. Durch die schwächere konjunkturelle Entwicklung kommt es aber zu einer Beruhigung bei der allgemeinen Preisentwicklung in Deutschland. Im Jahresdurchschnitt 2012 liegt die Inflationsrate bei 1,8 Prozent – und damit wieder unter dem Inflationsziel der EZB. Für 2012 rechnet das Makro-Konsortium mit einem weiteren Rückgang der Inflation auf 1,3 Prozent im Jahresmittel. Die deutschen Staatsfinanzen entwickeln sich infolge geringerer bzw. stagnierender Arbeitslosigkeit und stabiler Steuereinnahmen weiterhin leicht positiv. Das Staatsdefizit beträgt 2012 -0,7 Prozent des BIP. 2013 sinkt es weiter auf -0,2 Prozent des BIP.

– Die Partner: OFCE und WIFO –
Das Observatoire Français des Conjonctures Économiques (OFCE) ist eines der wichtigsten französischen Wirtschaftsforschungsinstitute. Es wurde 1981 gegründet und ist Teil der Fondation Nationale des Sciences Politiques, zu der auch das Institut d'Études Politiques de Paris gehört. Diese Grande Ecole, besser bekannt als „Sciences Po“, zählt zu den bedeutendsten Hochschulen in Frankreich.
Das Österreichische Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO) wurde 1927 gegründet. Mit mehr als 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ist es eines der wichtigsten Wirtschaftsforschungsinstitute in Österreich.

*IMK (Düsseldorf), OFCE (Paris) und WIFO (Wien): Fiskalpakt belastet Euroraum. Gemeinsame Diagnose des Makro-Konsortiums. IMK Report 71, März 2012. Download: http://www.boeckler.de/pdf/p_imk_report_71_2012.pdf

Die PM mit Tabelle (pdf): http://www.boeckler.de/pdf/pm_imk_2012_03_29.pdf

Kontakt in der Hans-Böckler-Stiftung

Prof. Dr. Gustav A. Horn
Wissenschaftlicher Direktor IMK
Tel.: 0211-7778-331
E-Mail: Gustav-Horn@boeckler.de

Peter Hohlfeld
IMK, Experte für Konjunkturprognosen
Tel.: 0211-7778-338
E-Mail: Peter-Hohlfeld@boeckler.de

Dr. Silke Tober
IMK, Expertin für Geldpolitik
Tel.: 0211-7778-336
E-Mail: Silke-Tober@boeckler.de

Rainer Jung
Leiter Pressestelle
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