Wie vertragen sich Moral und Profit?

Was haben Blutkonserven, Walfleisch, Zigaretten, Maschinenpistolen, AIDS-Medikamente und Milchpulver gemeinsam? Sie gelten als so genannte „sensible Güter“. Ein Themenbündel für Moralphilosophen und missionarische Gutmenschen? Oder für Wirtschaftswissenschaftler und kühl kalkulierende Manager?

„Die Ökonomie sensibler Güter“, so der Titel der gerade fertig gestellten und mit „magna cum laude“ bewerteten Dissertation von Dr. Kay Schlenkrich (32). „Sensible Güter“? „Der Fokus dieser Arbeit soll daher auf Produkte und Dienstleistungen gerichtet werden, die aufgrund von Wertvorstellungen aus der relevanten Unternehmensumwelt gesellschaftlichen Handlungszwängen oder auch Handlungserweiterungen ausgesetzt sind.“

Soweit die Definition in der Arbeit, die von Prof. Dr. Winfried Hamel betreut wurde (Lehrstuhl für BWL, insbesondere Unternehmensführung, Organisation und Personal). Schlenkrich ergänzt in einer Fußnote: „Grundsätzlich lassen sich hierunter vielfältige medizinische Leistungen, aber auch Nahrungsmittel oder Waffen subsumieren. Das Beispiel der Firma Nestlé, die nach langer Auseinandersetzung einen Kodex zur Vermarktung von Substitutionsprodukten für Muttermilch institutionalisiert hat, illustriert die besondere gesellschaftliche Relevanz eines solchen Produkts.“

Hintergrund: Der Nahrungsmittelmulti hatte über Jahrzehnte in Drittweltländern massiv für sein Milchpulver geworben. Und so Abhängigkeiten erzeugt. Die Zahl stillender Mütter ging rapide zurück, vielfach wurde das teure Pulver stark verdünnt (oft mit verkeimtem Wasser), es kam zu Unterernährung, zu Todesfällen. Erst internationale Proteste nötigten den Konzern 1984 zu einer Selbstverpflichtung, die sich an Vorgaben der WHO und von UNICEF aus dem Jahr 1981 orientierte.

Anderes Beispiel: Blutprodukte wie Plasma oder Serum. Schlenkrich recherchierte selbst in der Blutspendezentrale der HHU und führte ausgiebige Gespräche mit deren Leiter, Prof. Rüdiger Scharf. Blut: das große Geschäft? „Der Markt umfasst hierzulande sicherlich mehrere Milliarden“, resümiert Schlenkrich. Er konzentrierte sich in seiner Doktorarbeit, schon aus Gründen der Überschaubarkeit und der gut dokumentierten Quellenlage, dann auch auf medizinische Blutkomponentenprodukte, die in Deutschland von den staatlichen und kommunalen Spendeeinrichtungen (sie sind hier insbesondere den Universitätsklinika angegliedert), dem Deutschen Roten Kreuz als gemeinnützige G.m.b.H. – die keine Gewinne machen darf, aber sich in einem ökonomischen Gestaltungsspielraum bewegt – , und den Einrichtungen der pharmazeutischen Industrie hergestellt und vertrieben werden.

Keine Frage, hier geht es um Geld, viel Geld. Aber eben auch um eine ethisch-moralische Diskussion. „Die wiederum ist gesellschaftsabhängig.“ Schlenkrich führt im Gespräch die Leichenschau „Körperwelten“ des umstrittenen Plastinators Gunther von Hagens an, „in China gibt es darüber keine gesellschaftliche Diskussion! Es kommt immer darauf an, in welchem Kulturkreis sich die 'sensiblen Güter' bewegen. In Südamerika findet zum Beispiel kaum eine Diskussion über Organspenden statt.“ Es sind öffentliche, zum Teil stark emotionalisierte Auseinandersetzungen, die auch zeitgebunden sein können, „etwa hierzulande im Augenblick um Tabak. Und die Anti-Baby-Pille ist in Irland immer noch ein hochsensibles Gut!“ Weitere medienpräsente „sensible Güter“: preiswerte AIDS-Medikamente für die Dritte Welt, Waffen (das deutsche Sturmgewehr G3 ist seit Jahrzehnten ein international gefragter Exportartikel) oder auch Autos. Wie „unanständig“ ist es, sich eine schwäbische Luxuskarosse zu kaufen? Wie kalkuliert das Unternehmen das Image eines Produktes gezielt mit ein?

Fest steht auf jeden Fall, dass moralische Urteile, die wirtschaftliche relevante Tatbestände betreffen, wirtschaftliche Konsequenzen nach sich ziehen. Verblüffend, dass die Brisanz des Themas bislang so gut wie keinen Niederschlag in der Fachdiskussion fand. Schlenkrich im Abstract seiner Dissertation: „Die Systematisierung ökonomischer und ethischer Beziehungen und der Weg der Ökonomisierung sensibler Güter werden in der betriebswirtschaftlichen Literatur vergleichsweise wenig beachtet. Dies erstaunt umso mehr, wenn man sich vor Augen hält, welche beachtlichen monetären Dimensionen alleine sensible Güter im bundesrepublikanischen Gesundheitswesen begründen.“

Schlenkrich, der mittlerweile bei einer renommierten Wirtschaftsprüfungsgesellschaft beschäftigt ist, plädiert in seiner Doktorarbeit dafür, die Produktion und den Vertrieb „sensibler Güter“ nicht losgelöst von der gesellschaftlichen Diskussion zu sehen, nicht nur die ökonomische Bewertung im Blick zu haben. Andererseits bedürfen auch Güter, die einer ethischen Relevanz unterliegen, zwingend einer ökonomischen Gestaltung: „Die ökonomische Handlungsfreiheit ist von der Intensität der Sensibilität abhängig.“

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Rolf Willhardt idw

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