IMK: Stabilitätspakt verursacht Wachstumsverluste

Die deutsche Wirtschaft hätte in den vergangenen Jahren stärker wachsen können, wenn die Finanzpolitik nicht durch die starren Defizitkriterien des Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakts (SWP) zu einem unangemessen restriktiven Kurs gezwungen gewesen wäre. Der Wachstumsverlust für die Jahre 2001 bis 2005 summiert sich in Deutschland auf insgesamt mindestens 1,1 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt (BIP). Das BIP im gesamten Euroraum hätte um mindestens 0,5 Prozent stärker zulegen können. Das zeigt eine Studie des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in der Hans-Böckler-Stiftung. Die Forscher empfehlen deshalb, den Stabilitätspakt grundlegend zu reformieren. Ein Konzept verbindlicher nationaler Ausgabenpfade sei geeignet, um Haushalte und Konjunktur zu stabilisieren. Die „ökonomisch willkürliche Drei-Prozent-Defizitquote“ erschwere es dagegen, die Ziele des Pakts zu erreichen. Die Studie erscheint am heutigen Mittwoch im neuen IMK-Report.

Das IMK untersuchte den Einfluss der Finanzpolitik auf das längerfristige Wachstum in Europa und den USA. Vor allem seit dem Wachstumseinbruch der Jahre 2000 und 2001 entwickelt sich die US-Wirtschaft besser als die Europas. Parallel lässt sich ein wesentlicher Unterschied in der Finanzpolitik beobachten: Während die Amerikaner den Abschwung mit zusätzlichen Staatsausgaben bekämpften, sparten viele europäische Länder auch in der Krise – und verstärkten damit den Konjunktureinbruch.

Der Stabilitäts- und Wachstumspakt spiele dabei eine große Rolle, analysiert das IMK. Seit dem Beginn der Währungsunion 1999 haben sechs der zwölf Mitgliedstaaten die Drei-Prozent-Grenze überschritten. Sie müssen also sparen, um Strafzahlungen an die EU zu entgehen. „Auch wenn die Finanzpolitik sicherlich nur einer von mehreren relevanten Faktoren ist, so fällt doch auf, dass alle vier Staaten mit unterdurchschnittlichem BIP-Wachstum (Deutschland, Italien, die Niederlande und Portugal) unter einer unangemessen restriktiven Finanzpolitik litten“, stellen die Konjunkturforscher fest.

Dagegen gibt es für einen positiven Einfluss von Ausgabenkürzungen auf die Konjunktur, wie ihn die Europäische Zentralbank (EZB) kürzlich attestiert hat, nach der IMK-Analyse keinerlei Anhaltspunkte. Die von der EZB angeführte Entwicklung in Irland und Spanien vernachlässige völlig die Sonderrolle der beiden Länder. Dort seien im Zuge des Konvergenzprozesses zur Währungsunion die Realzinsen sehr stark gesunken. Dies habe das binnenwirtschaftliche Wachstum stimuliert und erst die Voraussetzungen für die Konsolidierung geschaffen, so die Forscher. Die in Spanien und Irland gegenwärtig beispiellos niedrigen Realzinsen gingen zudem auf weit überdurchschnittliche Inflationsraten von mehr als drei Prozent zurück – für die EZB eigentlich ein Grund zur Kritik.

Das vom IMK empfohlene Ausgabenpfad-Konzept greift auf Erfahrungen zurück, die bei der erfolgreichen Konsolidierung des US-Haushalts während der Clinton-Präsidentschaft in den neunziger Jahren gewonnen wurden. Es schreibt den öffentlichen Haushalten verbindliche Ausgabenpfade für konjunkturunabhängige Staatsausgaben vor. Das sind im wesentlichen Staatskonsum, Subventionen und öffentliche Investitionen. Die konjunkturabhängigen Ausgaben – in der Hauptsache die Sozialtransfers – sollten dagegen ohne Defizitvorgaben um den Ausgabenpfad schwanken können. Für Euro-Staaten mit einem Schuldenstand oberhalb von 60 Prozent des BIP sollte der Pfad leicht unterhalb des nominalen, also nicht preisbereinigten Trends des Wirtschaftswachstums angesetzt werden, empfehlen die Wissenschaftler.

Neben der Reform des Stabilitätspakts sind nach IMK-Analyse aber noch weitere Veränderungen nötig, um die massive Wachstums- und Beschäftigungsschwäche im Euroraum zu überwinden. Dazu zählen die Forscher insbesondere eine stärker wachstumsorientierte Geldpolitik der EZB. Die Lohnentwicklung solle sich in allen Euro-Ländern einheitlich orientieren an der Summe aus dem jeweiligen langfristigen nationalen Produktivitätswachstum plus der Zielinflationsrate der EZB. Zudem plädieren die Experten dafür, Fiskal-, Geld- und Lohnpolitik stärker als bisher zu koordinieren.

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