Weiterhin kein kräftiger Aufschwung

Im internationalen Vergleich der Industrieländer war das deutsche Wirtschaftswachstum in den letzten Jahren außerordentlich schwach. Auch in den vergangenen Monaten zeigte sich eine schwache Grundtendenz, immer wieder überlagert von Sonderfaktoren. Die Zeichen stehen allerdings bislang nicht schlecht, dass sich die Konjunktur in der zweiten Hälfte 2005 belebt und sich die moderate Aufwärtsbewegung im kommenden Jahr fortsetzt. Jedoch gibt es derzeit zwei besondere Risiken:

  • Das erste Risiko liegt in den unklaren Mehrheiten im Bundestag nach der Wahl. Zieht sich die Regierungsbildung lange hin oder stützt sich die neue Bundesregierung auf brüchige oder gar wechselnde Mehrheiten, so dürfte dies zu einer weiteren erheblichen Verunsicherung der Verbraucher und vor allem der Investoren führen. Es ist absehbar, dass im Parlament nur dann eine regierungsfähige Mehrheit zu Stande kommt, wenn die sie tragenden Parteien zu weit gehenden Kompromissen bereit sind. Die Chancen für einen eindeutigen, wachstumsorientierten Kurs der Wirtschaftspolitik sind dadurch nicht besser geworden, und dies dürfte die Erwartungen vieler Wirtschaftssubjekte zusätzlich verschlechtern. Unsere Prognose geht davon aus, dass es in absehbarer Zeit gelingt, eine handlungsfähige Regierung zu bilden. Andererseits unterstellt sie keine Reformen, die bereits im kommenden Jahr durchgreifende Wirkungen entfalten.
  • Das zweite Risiko resultiert aus den Unwägbarkeiten des Mineralölmarkts. Die Auswirkungen des Anstiegs der Rohöl- und Rohstoffpreise auf die deutsche Wirtschaft sind bisher aber erstaunlich gering geblieben. Für den Prognosezeitraum unterstellen wir zudem keinen weiteren Anstieg des Ölpreises; wir gehen von 55 $/b (Jahresdurchschnitt 2005) bzw. 60 $/b (2006) aus.

Damit dürfte die von uns prognostizierte mäßige Aufwärtsbewegung weiterhin vorwiegend von der Außenwirtschaft getragen werden, aufgrund der guten Finanzierungsbedingungen und des teilweise hohen Alters des Kapitalstocks zunehmend auch von den Investitionen, sofern die Wirtschaftspolitik einem verlässlichen Kurs folgt. Im Bausektor dürfte der Tiefpunkt im kommenden Jahr wohl durchschritten werden. Dies alles lässt erwarten, dass die Beschäftigung zunimmt und damit auch die Einkommen und die privaten Konsumausgaben. Wir erwarten einen Zuwachs des BIP um 0,9 % in diesem und um 1,4 % im nächsten Jahr.

Die Inflation dürfte sich (ölpreisbedingt) bis in das kommende Jahr hinein verstärken. Ein Rückgang der registrierten Arbeitslosigkeit resultiert zunächst wohl überwiegend daraus, dass Erwerbslose vermehrt in „Ein-Euro-Jobs“ vermittelt werden und die Anspruchsberechtigung der Hilfeempfänger kritischer überprüft wird. Erst für 2006 ist ein Anstieg der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung zu erwarten. Die Arbeitslosenquote dürfte dann auf 10,5 % sinken nach 11,0 % 2005. Der Fehlbetrag der öffentlichen Haushalte wird sich 2005 voraussichtlich nur wenig, auf 3,5 % des nominalen BIP, vermindern, 2006 auf voraussichtlich 3,1 %, wobei der derzeitige Gesetzesstand unterstellt ist.

Angesichts des hohen und weiter steigenden Schuldenstands muss die neue Bundesregierung – wie immer sie aussehen wird – in der Finanzpolitik der Haushaltskonsolidierung hohe Priorität einräumen. Daneben erscheint mit Blick auf das niedrige Trendwachstum vordringlich, zum einen die Reform der sozialen Sicherungssysteme voranzutreiben, um auf die Herausforderungen einer alternden Bevölkerung zu reagieren und die Kostenbelastung des Faktors Arbeit zu verringern, zum anderen das Steuersystem umzugestalten, damit die Investitions- und Sparentscheidungen nicht verzerrt und die steuerliche Wettbewerbsfähigkeit erhöht werden.

Weltwirtschaftliche Rahmenbedingungen bleiben günstig

Diese Einschätzung der deutschen Konjunktur basiert auf der Erwartung, dass die Wirtschaft in den Industrieländern trotz steigender Belastungen aufgrund der erhöhten Energie- und Rohstoffpreise mit gegenüber dem ersten Halbjahr 2005 nur wenig veränderten Raten wachsen wird. Dabei beschleunigt sich die Expansion im Euro-Raum voraussichtlich etwas, während sie sich in den USA leicht verlangsamt. In Japan werden die Deflationstendenzen wohl überwunden. Die Schwellenländer in Asien und Lateinamerika dürften 2006 ähnlich stark wie in diesem Jahr expandieren, und in den neuen EU-Ländern wird sich der Zuwachs wohl etwas erhöhen. Daraus ergibt sich für das Welt-Sozialprodukt in diesem und im kommenden Jahr eine Expansion um etwa 3 %. Für den Welthandel errechnet sich daraus erfahrungsgemäß eine Zunahme um etwa 7 % in beiden Jahren nach 11 % 2004.
(veröffentlicht in „RWI : Konjunkturberichte“, 2005)

Ihre Ansprechpartner dazu:
Dr. Roland Döhrn, Tel.: (0201) 81 49-262
Joachim Schmidt (Pressestelle), Tel.: (0201) 81 49-292

Weitere Informationen:
http://www.rwi-essen.de/pls/portal30/PORTAL30.wwv_main.main?p_language=us&p_cornerid=112093&p_currcornerid=112093&p_siteid=75 – Pressemitteilung inclusive Tabellen

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