Russland ist besser als sein Ruf

Pressebericht zur Handelsblatt Konferenz „Russland“ (29. Juni bis 1. Juli 2005, Berlin)

Berlin, Juni 2005. „Deutschlands Engagement wird in Russland als Chefsache betrachtet“, betonte der Außerordentliche und Bevollmächtigte Botschafter der Russischen Föderation in der Bundesrepublik Deutschland, Wladimir W. Kotenjow, in seinem Grußwort an die rund 120 Teilnehmer der Handelsblatt Konferenz „Russland“ (29. Juni bis 1. Juli 2005, Berlin). Dies führe zu einer privilegierten Behandlung deutscher Vertreter durch die politisch Verantwortlichen in Russland. Als Beispiel führte er die Zusammenarbeit deutscher Unternehmen mit Gazprom an. „Diese günstigen politischen Rahmenbedingungen sind eine einmalige Chance, die wir nicht verpassen dürfen“, stellte der Botschafter weiter fest. Die dynamische Entwicklung in Russland würde in der deutschen Öffentlichkeit seiner Ansicht nach nicht genug wahrgenommen und darum lobte er das Engagement des Handelsblatt, mit dieser Konferenz die Chance zu nutzen, das Bild Russlands zu verbessern.

Der Vorsitzende des Ostausschusses der Deutschen Wirtschaft, Dr. Klaus Mangold (DaimlerChrysler AG), verwies auf die zunehmende Bedeutung des wirtschaftlichen Wachstums in Russland, China, Brasilien und Indien. Diese Länder würden schon bald fünfzig Prozent des wirtschaftlichen Wachstums auf sich vereinen. Russland zeichne sich innerhalb dieser Staaten durch die größten Rohstoffvorkommen aus. „Derjenige, der sich heute nicht mit den Chancen in den BRIC’S beschäftigt, verschläft eine Chance“, sagte Mangold und stellte fest: „Ich bin sicher, Russland wird eine bedeutende Rolle bekommen.“

Wie schon Kotenjow beklagte der Vorsitzende des Ostausschusses das deutsche Bild von Russland. Das vorherrschende schlechte Russland-Bild entspräche nicht den Tatsachen. Russland habe für sich entschieden, ein Mitglied Europas zu sein: „Wir müssen uns in den deutsch-russischen Beziehungen um Kontinuität bemühen.“ Mangold lobte das ausgewogene Russland-Bild des Bundeskanzlers und ermahnte, mit Blick auf die eventuellen Neuwahlen, auch eine neue Bundesregierung diese Kontinuität beizubehalten. Mangold zeigt sich aber optimistisch, dass auch eine neue Regierung Russland als unverzichtbaren Partner anerkenne, allein schon wegen der engen Beziehungen in der Energiewirtschaft. Die Frage für die Zukunft sei, ob die Verbindung durch eine industrielle Partnerschaft weiter gestärkt werden könne. Schon heute bestünde ein starkes mittelständisches Engagement.

Die Reformen des russischen Präsidenten Wladimir Putins lobte Mangold, räumte allerdings Probleme bei der Umsetzung ein. Mit Blick auf die sogenannte „Yukos-Affäre“ stellte er fest, dass man hier die Firma vom Inhaber trennen müsse. Die Firma Yukos habe in der Tat Steuern hinterzogen und Regeln der Privatisierung verletzt. Kritikwürdig allerdings der Umgang mit dem Unternehmer selbst. Mangold betonte aber: „Solange es ein Einzelfall bleibt, sollte man das auch als Einzelfall belassen.“ Weiter räumte der Vorsitzende des Ostausschusses Probleme mit der Rechtssicherheit, mit Korruption und der Steuerberechenbarkeit ein, zeigte sich insgesamt aber optimistisch für die weiteren Entwicklungen in Russland.

Gegenüber Europa habe die russische Industrie einen technologischen Aufholbedarf von etwa zehn bis zwanzig Jahren. Dies eröffne der deutschen Wirtschaft die Chance, ein exzellenter Partner Russlands zu werden. Mangold zeigte sich überzeugt, dass die russische Industrie stark wachsen werde und die großen russischen Sympathien für die deutsche Industrie eine große Chance für den technologischen Approach seien. Die strategische Partnerschaft im Energiebereich gelte es auf die Industrie zu übertragen. Als zukünftiges Mitglied in der WTO und als europäischer Partner komme Russland eine besondere Rolle zu. „Wir müssen Russland helfen auf dem Weg zur Steuersicherheit, Rechtssicherheit und zum Bürokratieabbau“, schloss Mangold.

Von einer „Wiedergeburt Russlands“ sprach der ehemalige russische Wirtschaftsminister und heutige wissenschaftliche Leiter der Higher School of Economics, Prof. Dr. Jewgenij G. Jassin. Russlands Potenziale würden sich immer weiter verbessern. Gehälter, Handelsumsatz und Investitionen stiegen an und das Wachstum verlaufe sehr schnell. Auch wenn die sowjetische Planwirtschaft mit der heutigen Marktwirtschaft nur schwer zu vergleichen sei, sei Russland nahe dran, die Produktion von 1990 zu erreichen und sogar zu überschreiten. Seiner Einschätzung nach habe man schon heute die Parameter von 1990 überschritten. Die Außenverschuldung sei geringer und das Pro-Kopf-Einkommen gestiegen. „Russland ist ein normales Land“, stellte Jassin fest. Die Zeiten der großen Erschütterungen seien vorbei und seit fünf Jahren streite man sich in Russland über ganz normale Dinge. Die Entwicklungen in Russland seit 1989 beschrieb der ehemalige Wirtschaftsminister als einen Transformationsprozess in drei Stufen. Zunächst die Transformationskrise von 1989 bis 1998, dann folgte bis 2001 ein langsames Wachstum durch die Nutzung vorhandener Kapazitäten und seit dem befände sich die Wirtschaft im Stadium der Modernisierung.

Jassin verwies weiter auf die besondere Situation in Russland durch die großen Öl-Gewinne in den letzten Jahren. Einerseits schufen diese Gewinne große Potenziale für die Wirtschaft, anderseits förderten sie die Monetarisierung der Wirtschaft. Diese Entwicklung führe entweder zu Investitionen in die Wirtschaft oder aber die Ressourcen würden nicht genutzt. In Russland würden die Mittel zwar eingesetzt, aber in der direkten Variante führe dies zur Erhöhung der Inflation. Die Geldnachfrage in der Wirtschaft sei zurückgegangen, da die Gelder nicht ganz neutralisiert würden. „Die Gewinne aus dem Öl sind jetzt ein Übel“, sagte Jassin. Wenn das Geld nicht investiert würde, erhöhe sich die Inflation. Darum fordere er auch die Einrichtung eines Stabilisierungsfonds. Die Gewinne seien zwar auch über den Energiebereich hinaus investiert worden, dennoch sei die Nachfrage nach Geld gefallen. Jassin wünschte sich ein höheres Tempo bei den Reformen, um die Inflationsgefahr besser kontrollieren zu können.

Über die erfolgreiche Zusammenarbeit mit russischen Partnern im Energie-Sektor sprach der Wintershall-Vorstand Bernhard Schmidt. Schmidt verwies zunächst auf das große Wachstum der Öl- und Gasmärkte und betonte, dass das Gasgeschäft noch stärker wachse als das Ölgeschäft. Der europäische Gasbedarf würde zu fünfzig Prozent über Importe abgedeckt. Die strategisch günstige Lage Russlands zu Europa sowie die enormen russischen Gasvorkommen seien somit eine große Chance. Man dürfe aber nicht vergessen, dass man im Wettbewerb um die großen Gasreserven in Russland nicht alleine da stehe: „Der Wettlauf um das russische Gas hat begonnen.“ Schmidt zeigte sich irritiert, dass man immer wieder die Abhängigkeit in der Gasversorgung von Russland beklagen würden: „Über die letzten Jahre war Russland in der Gasversorgung immer ein verlässlicher Partner, die USA wäre glücklich, so einen Nachbarn zu haben.“

Zufrieden zeigte sich Schmidt mit der seit 13 Jahren bestehenden Zusammenarbeit mit Russland. Gemeinsam mit dem russischen Partner Gazprom habe Wintershall nun das Projekt Achimgaz aufgenommen. Mit der gemeinsamen Erschließung des zweitgrößten Gasfeldes der Welt habe man sich in eine Region der Extreme aufgemacht. Achimgaz liegt fast am Polarkreis und ist eine der kältesten Regionen der Welt. Das Engagement von Wintershall in Achimgaz konzentriere sich auf die tiefer gelegenen Gasvorkommen des Gasfeldes. Zur Erschließung dieser tiefen Vorkommen bringe Wintershall viel Erfahrung ein, da man hier ähnliche Verhältnisse vorfände, wie bei den deutschen Gasvorkommen. Allerdings stellten die klimatischen und logistischen Bedingungen eine große Herausforderung dar. Die körperlichen und technischen Leistungen der russischen Kollegen vor Ort seien bewundernswert, lobte Schmidt

Das Rechts- und Vertragssystem bezeichnete der Wintershall-Vorstand als schwierig, aber es habe sich auch schon viel verändert Für die Verträge mit Gazprom habe man drei Jahre gebraucht, um wirklich Rechtssicherheit zu bekommen. Viel wichtiger als Verträge sei allerdings das „Beziehungsmanagement“. Zeitpläne seien in Russland nur schwer einzuhalten, dafür seien die Russen aber sehr flexibel. In Bezug auf die Organisation stellte Schmidt fest, dass es vielschichtige Genehmigungsverfahren zu berücksichtigen gelte und die Einführung eines westlichen Beschaffungsmanagements wünschenswert sei.

Als Erfolgskonzept für ein Engagement in Russland nannte Schmidt die Formulierung klarer Ziele und die Zielkongruenz zwischen den Partnern. Beharrlichkeit und Flexibilität seien weitere wichtige Erfolgsfaktoren. Auch sollte das „Bring etwas mit“-Prinzip gelten, technische Kompetenz und lange Erfahrung würden gerne gesehen. Wegen langer Vorlaufzeiten müsse man auch über genügend finanzielle Ressourcen verfügen. Ein soziales Engagement wie für Kindergärten oder Schulen würde die Zusammenarbeit immer erleichtern. „Die lokale Präsens ist durch nichts zu ersetzen“, betonte Schmidt. „Nur so lassen sich die Beziehungen aufbauen.“

Der Russland-Experte Mikhail Tsarev (KPMG, Moskau) ging auf die Chancen und Risiken für Investitionen in Russland ein. Auch er verwies auf das oft falsche Bild von Russland und das Dilemma, das sich dadurch für Investitionen in Russland ergeben würde. Dennoch würde der Markt für Unternehmensübernahmen in Russland immer größer. Ohne Zweifel verfüge Russland über viele Vorteile. Die Steuerbelastung sei nicht sehr hoch, auch wenn es bei der Anwendung der Steuergesetze noch einige Probleme gäbe. Das Verhältnis von Lohn und Produktivität sei gut und es gäbe große Freiheiten bei der Flexibilität der Arbeitsverträge und der Löhne. Als Nachteil für Investitionen in Russland nannte Tsarev lokale Verwaltungshürden, weitere administrative Probleme sowie die schlechte Infrastruktur. Die uneinheitliche Anwendung und Interpretation von Gesetzen sowie Korruption nannte er als weitere negative Rahmenbedingungen.

Als Beweis für das positive Investitionsklima in Russland zitierte der KPMG-Berater eine Studie, nach der neun von zehn der befragten Unternehmen ein Umsatzwachstum von mehr als zehn Prozent erzielten. Bei drei von vier Unternehmen betrug die Gewinnsteigerung mehr als zehn Prozent. Rund achtzig Prozent der Unternehmen erreichten in den letzten zwei Jahren ihre Unternehmensziele.

Auf die großen Möglichkeiten des russischen Immobiliensektors, insbesondere in Moskau, ging Michael Lange (Jones Lang LaSalle, Moskau) ein. Er erinnerte daran, dass Moskau die größte Stadt Europas sei und ein konstantes Wirtschaftswachstum habe. Der Immobiliensektor zeichne sich durch ein geringes Angebot und eine stetig wachsende Nachfrage aus. Schon jetzt seien Großprojekte im Bau und die Infrastruktur würde sich zunehmend verbessern. Insgesamt beobachte er eine positive Einstellung von Investoren und immer stärker käme es zu einem Großeinstieg von institutionellen Investoren. Der Immobilien-Boom würde wegen der starken Nachfrage auch in Zukunft weiter anhalten.

Die Möglichkeiten für private Banken in Russland stellten Peter O. Kölle (HypoVereinsbank AG) und Peter Tils (Deutsche Bank AG) vor. Der Vorsitzende des Aufsichtsrates der International Moscow Bank, Kölle, verwies zunächst auf die verhältnismäßig großen Aktivitäten der HypoVereinsbank in Russland. Russland sei der größte Markt in Osteuropa und sei nicht mit anderen Osteuropa-Strategien vergleichbar. Der russische Markt sei eine eigene Sache, betonte er.

Zum Russlandgeschäft der HVB verwies Kölle darauf, dass die HypoVereinsbank Mehrheitsaktionär der International Moskow Bank sei. Diese sei die siebtgrößte Bank in Moskau, allerdings gäbe es auch nur zwei weitere private Banken. Wegen ihres starken Russlands-Engagements sei die HypoVereinsbank letztendlich auch so attraktiv für die Übernahme durch die Unicredito geworden.

Deutlich könne man einen Aufschwung im Bankkreditgeschäft verzeichnen. Für größere Finanzierungen ginge man ins Ausland, kleiner wickele man in Russland selbst ab. Als Hauptgefahr für Finanzierungen nannte Kölle politische Abhängigkeiten: „Viele Russen wollen sich nicht abhängig machen und finanzieren sich darum selbst.“

Da es viele Vorschriften zu erfüllen gäbe, würden besonders die Anforderungen an die Beratung steigen. Die Erfüllung der Vorschriften sei ein Hauptproblem im operativen Geschäft. Als weitere Hemmnisse nannte er das instabile Devisenrecht und die Absatzfinanzierung. Steuern seien dagegen weniger ein Problem, da es geradezu Mode geworden sei, Steuern zu zahlen. Das Problem bei den Steuern sei vielmehr, dass jeder Geld von einem haben wolle, sobald man zeige, dass man Geld verdient. Um sich zu schützen, produziere man so lieber Zahlen, die zeigen, dass man kein Geld verdiene.

Als ein schwieriges Geschäft bezeichnete Kölle die Forderungsportfolio-Refinanzierung. Das Weiterverkaufen von Außenständen würde in Russland nicht gerne gesehen, sondern gelte als unfreundlicher Akt. Meistens werte man es als Zeichen für eine feindliche Übernahme. Als eine „ideale Sache“ wertet er das Leasing-Geschäft, auch wenn es hier noch Probleme mit der Mehrwertsteuer gäbe.

Peter Tils verwies darauf, dass die Diversifikation in Russland für umfangreiche Investitionen von Auslandsbanken noch nicht gegeben sei. Der zukünftige Erfolg sei abhängig von der Investitionsquote und der Diversifikation. Zur- zeit würden 20 Prozent in Russland re-investiert. Ein funktionierender Bankensektor würde die Sparquoten mobilisieren und damit auch Investitionen. Wegen des mangelnden Vertrauens in die russischen Banken würden allerdings nur fünf Prozent der inländischen russischen Investitionen von Banken getätigt. Die großen Investitionen kämen zurzeit noch aus den großen Gewinnen im Energiebereich.

Die Frage sei, ob die russische Regierung eine Internationalisierung des Bankenmarktes wolle, stellte Tils fest. Die Deutsche Bank glaube aber, dass es sich lohnen werde zu investieren, wenn auch nicht in einem so großen Stil. Tils prognostizierte, dass es Bewegung geben und es auch zu Übernahmen durch westliche Banken kommen werde. Langfristig würde es Chancen für Finanzdienstleistungen geben. Tils nannte hier das Privatkundengeschäft, das Geschäft mit kleinen und mittelständischen Unternehmen sowie dasKreditkartengeschäft. „Das Russland-Geschäft hat für die deutsche Bank strategischen Charakter und wird weiter ausgebaut“, stellte Tils abschließend fest.

Dr. Hans Janus (Euler Hermes Kreditversicherungs-AG) informierte über den aktuellen Stand bei den Exportkreditgarantien im Russland-Geschäft. Insgesamt zog Janus eine positive Bilanz für langfristig finanzierte Exporte. Hermesdeckungen seien in einem großen Umfang verfügbar und die Vergabe von Export-Garantien sowie die Nachfrage danach sei gestiegen.

Russland habe sich im Länderrisiko-Rating auf die Kategorie vier verbessern können und damit sei auch eine Reduzierung des Preises für Hermesdeckungen möglich geworden. Zur Verbesserung des Ratings trage auch die geplante vorzeitige Rückzahlung von 15 Milliarden US-Dollar an den Pariser Club bei.

Als aktuelle Herausforderungen für die Hermesdeckungen nannte Janus, dass Staatsgarantien nur noch in Ausnahmenfällen gewährt würden und der Bankensektor noch mit strukturellen Defiziten zu kämpfen habe. Das Geschäft mit russischen Banken würde aber immer wichtiger und die Deckung erfolge auf Corporate Risk-Basis. Dies zöge eine erhöhte Komplexität der Prüfung der Kreditwürdigkeit nach sich. Projektfinanzierungen und strukturierte Finanzierungen stellten zurzeit die größten Herausforderungen dar. Die Einbindung von Regionen und Kommunen sei nicht ausgeschlossen, aber zurzeit noch nicht relevant. Die Finanzierung größerer Infrastrukturprojekte nannte der Experte weiter schwierig. Janus stellte fest, dass die deutsche Bundesregierung auch weiterhin bereit sei, Exporte nach Russland abzusichern und sich offen für neue Finanzierungswege zeige. Damit stünde das Tor für Export-Kredite weiter offen.

Über die Möglichkeiten und Probleme der Logistik in Russland sprach Frank-Uwe Ungerer (DHL International Moskau). Der neue Zollkodex habe bereits eine Verbesserung gebracht, aber nach wie vor stellen der Zoll und die Mehrwertsteuer ein großes Problem dar. Insgesamt sei der Logistik-Markt noch zehn bis zwanzig Jahre hinter dem Westen. Besonders habe man mit nur geringen Lagerkapazitäten zu kämpfen und entsprechend mit hohen Lagerkosten.

Die guten Voraussetzungen für Russlands Weg zu einem Hochtechnologie-Standort beschrieb der Präsident von Siemens OOO Russia Dr. Henryk Frystacki. Besonders in der Softwareentwicklung und in der Luft- und Raumfahrtforschung verfüge Russland über hervorragende Kapazitäten. Durch den Beitritt Russlands zum Kyoto-Protokoll entwickele sich zunehmend auch ein Schub für High-Tech im Umweltschutz. Ebenso spannend seien die Bemühungen in der Telekommunikations- sowie in der Transporttechnologie. Stark seien die russischen Forscher besonders in der Grundlagenforschung. Man verfüge unter anderem über etwa 4000 Forschungs- und Entwicklungsinstitute und 50 Business-Inkubatoren. Probleme bestünden allerdings bei der Finanzierung der Projekte sowie durch die Abwanderung der Wissenschaftler. Durch den Ausbau der Wirtschaft und das zunehmende Engagement privater Investoren würde das Umfeld für Innovationen aber immer besser, betonte Frystacki. Die Auswirkungen der Hochtechnologie auf die gesamte russische Wirtschaftsentwicklung könne man besonders in der Kommunikationstechnologie beobachten. In Russland habe schon heute die Mobil-Kommunikation das Festnetz überholt.

Siemens arbeite besonders erfolgreich mit den russischen Partnern bei der Entwicklung privater Sicherheitstools sowie bei der Weiterentwicklung von Linux zusammen. Erfolgversprechend sei auch die Zusammenarbeit im Bereich der Minimierung von CO2-Emissionen und in der Automobilindustrie. Der traditionell sehr abgeschirmte Bereich der Rüstung öffne sich allerdings nur langsam. Der Siemens-Russia-Chef merkte an, dass die Umsetzung von Forschung in Wertschöpfung noch zu verbessern sei. Dazu seien noch politische Barrieren aus dem Weg zu räumen, wie zum Beispiel die Reform des Patentwesens und eine Anpassung an internationale Standards. Eigentlich bestünden in Russland aber keine unüberwindbaren Hindernisse, sondern nur große Aufgaben.

Wie erfolgreich russische Unternehmen arbeiten können, zeigte der Bericht des Vorsitzenden des Direktorenrates von OAO Wimm-Bill-Dann Produkty Pitanija, David Michaijlowitsch Jakobaschwilli. Das erfolgreiche Milch- und Saftunternehmen prägte die erste postsowjetische Marke. Die Gesellschaft besteht aus 25 Unternehmen in den ehemaligen Sowjetländern. Jakobschwilli verwies darauf, dass sein Unternehmen in Russland bereits vergleichbar wäre mit den westlichen Lebensmittel-Konzernen Campione oder Parmalat. Ebenso könne man bei der Qualität mit den westeuropäischen Konzernen mithalten. Danone halte bereits einen großen Anteil der Aktien des russischen Lebensmittelskonzerns. Er lobte das Engagement von Ehrmann, Onken und Hochland, die bereits in Russland produzieren würden und damit einen großen Beitrag zur russischen Entwicklung des Lebensmittelmarktes leisteten. Noch bis vor kurzem habe man in Russland weder eine Saftkultur noch Joghurt gekannt.

Ein Problem für die Lebensmittelindustrie sei allerdings die schlechte Infrastruktur. Darum wünsche er sich, dass die russische Regierung mehr Geld in Straßen investieren würde. An einigen Beispielen wie der Brot- oder Milchproduktion zeigte Jakobschwilli wie lohnenswert es sei, in die russische Landwirtschaft zu investieren. Große Flächen in der ehemaligen Sowjetzone lägen brach. Dies zeige sich nicht zuletzt an dem starken Rückgang der Vieh- und Milchproduktion. In Russland könnte man Unternehmen kaufen, dann in sie investieren und schon wenig später für viel mehr Geld verkaufen. Auch wenn man ein solches Unternehmen nicht sofort verkaufen würde, lägen hier „Wertzuwächse in einer Riesenordnung“. In den letzten fünfzehn Jahren sei bereits eine Menge aufgebaut worden und die Entwicklungen gingen schnell weiter. Er räumte jedoch ein, dass es nach wie vor steuerliche Probleme zu bewältigen gäbe.

Auf die Bedeutung von Kontaktnetzwerken verwies Jaroslav Piálek, Leiter der Moskauer Repräsentanz der Gapgemini Deutschland Holding GmbH. Er erläuterte die Folgen der Zentralismus-Politik von Waldimir Putin. Diese Politik habe das Verhältnis zwischen regionalen Chefs und Moskau dramatisch verändert. Unter Jelzin hätten die regionalen Gouverneure eine große Macht gehabt und damit die Entstehung der russischen Oligarchien gefördert. Putins Zentralismus beabsichtige eine Schwächung dieser regionalen Eliten. Die Ereignisse in Beslan und weitere Terrorismusattacken hätten dazu geführt, dass Putin die Macht noch stärker auf Moskau zentrieren würde, führte Piálek weiter aus. Die Kenntnis dieser politischen Strukturen sei sehr wichtig, um Netzwerke in Russland aufzubauen, betonte er.

Putin distanziere sich von den Regionen und träte für einen ebenbürtigen Dialog mit der Industrie ein. Seine Politik zeige deutlich, dass er einen starken Staat mit einem starken Präsidenten wünsche und die Zersplitterung beendet werde müsse. Piálek hob hervor, dass die Positionierung von Russland europäisch geprägt sei und sich Russland bereits heute Europa überlegen fühle. Russland verstünde sich zwar als Brücke zwischen Asien und Europa, gleichzeitig würde Russland aber auch „russischer“. Piálek stellt abschließend fest: „Wir sollten dankbar sein, dass Russland unser Partner ist. Das Deutsche hat einen positiven Wert in Russland. Das sollte man nutzen.“

Ein positives Bild von Russland zeichnete auch Nikolaus W. Knauf, der bereits seit zwölf Jahren in Russland aktiv ist. Die Gipswerke Knauf sind bislang die größten Russland-Investoren. Gegenüber dem Mehrwertsteuer-Problemen zeigte sich der Unternehmer optimistisch: „Das kriegt man schon wieder hin“, sagte er. Die Zollabfertigung sei bereits viel besser geworden. Es komme allerdings darauf an, mit gut ausgebildeten Mitarbeitern vor Ort zu arbeiten und „Fingerspitzen-Gefühl“ im Umgang mit den Behörden zu entwickeln. „Man muss den Leuten auch richtig erklären, um was es geht“, stellte er fest. Probleme entstünden meist aus Missverständnissen, da man oft nicht davon ausgehe, dass es auch in Russland Gesetze gäbe. Allerdings bekäme man auch in Deutschland Probleme, wenn man sich nicht an Gesetze halte. Er habe nur gute Erfahrungen gemacht und wenn man Probleme habe, würde auch in Russland Recht gesprochen. Auch Knauf betonte das Wohlwollen der russischen Bevölkerung gegenüber Deutschland. „Das ist viel Wert, wenn man in einem Land investieren will“, betonte er. Er lobte den guten Ausbildungsstand der russischen Mitarbeiter, der nötig sei, um moderne Prozesse weiter voran zu bringen. Da in Russland ein fast grenzenloses Bedürfnis nach guten Produkten zu stillen sei und das Markenbewusstsein enorm sei, lägen hier noch große Potenziale.

Über die Möglichkeiten, die im Handel zu generieren sind, sprachen zum Abschluss des ersten Konferenztages Hermann Spielberger (Marktkauf Rus), Gerhard Eggert (IKEA OOO Russia) sowie Dr. Sigrid Schmid (GIM Gesellschaft für Innovative Marktforschung). Als Fazit des ersten Konferenz-Tages stellte Bernd Ziesemer, Chefredakteur des Handelsblattes fest: „Das Risiko nicht in Russland zu investieren ist größer, als das Risiko in Russland tätig zu werden“.

Media Contact

Dr. phil. Nadja Thomas EUROFORUM

Weitere Informationen:

http://www.euroforum.de

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