Konsolidierung in Zeiten des Booms

Pressebericht zur 9. Handelsblatt-Jahrestagung „Stahlmarkt 2005“ am 1. und. 2. März 2005 in Düsseldorf

Die Rekordproduktionen in der Stahlindustrie in 2004, der enorme Anstieg der Rohstoffpreise sowie die schwierigen energie- und industriepolitischen Rahmenbedingungen in Deutschland und Europa bestimmten die Diskussionen der 260 Teilnehmer auf der 9. Handelsblatt-Jahrestagung „Stahlmarkt 2005“ am 1. und 2. März 2005 in Düsseldorf. Einig zeigten sich die Branchen-Insider dahingehend, dass der begonnene Konsolidierungsprozess in der Stahlindustrie gerade in der aktuellen Boomphase weiter vorangetrieben werden müsse.

Staatssekretär Georg Wilhelm Adamowitsch (Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit) lobte die erfolgreichen Restrukturierungsleistungen der deutschen Stahlunternehmen und führte die Renaissance der deutschen Stahlbranche nicht nur auf die weltweit gestiegene Stahlnachfrage, sondern auch auf die Reformpolitik der Bundesregierung zurück. Positiv bewertete Adamowitsch die Industriepolitik der neuen EU-Kommission: „In Brüssel hat unverkennbar ein Stimmungswandel eingesetzt – Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit und Arbeitsplätze stehen wieder ganz oben auf der Tagesordnung.“ Er betonte weiter, dass europäische Unternehmen in Europa gleiche Bedingungen haben müssten.

Mit Blick auf die aktuelle Lage an den Rohstoffmärkten stellte der Staatssekretär fest: „Wir können auf ein marktwirtschaftliches Problem nicht mit ordnungsrechtlichen Maßnahmen reagieren.“ Bedauerlicherweise hätten sich fast alle deutschen Unternehmen aus der Rohstoffentwicklung zurück gezogen und wohl auch die Entwicklungen auf den Koksmärkten falsch eingeschätzt. Obwohl die Bundesregierung sich nicht aktiv in die aktuellen Marktentwicklungen einmischen wolle, könnte die Politik doch gemeinsam mit den Unternehmen nach neuen Wegen suchen. Die Regierung bemühe sich weiter, Wettbewerbshindernisse auf europäischer Ebene abzubauen und handelspolitische Flankierungen zu setzen. Adamowitsch nannte staatliche Garantieinstrumente zur Absicherung von Rohstoffprojekten und verwies auf Kreditmöglichkeiten die ungebunden zur Verfügung gestellt werden könnten.

In bezug auf den CO2-Emissionshandel räumte der Staatsminister ein, dass die Stahlindustrie mit den Ergebnissen nicht zufrieden sein könne. Daher setze sich die Regierung dafür ein, dass die Fehler im neuen Allokationsplan ausgemerzt würden. Die Kosten für die Verwaltung seien zu hoch und international müssten auch Entwicklungs- und Schwellenländer stärker zur CO2-Minderung beitragen. Die Alleingänge Europas würden einfach zu viele Arbeitplätze kosten. Adamowitsch forderte insbesondere die Verbände auf, gemeinsam mit der Regierung für mehr Wettbewerb und gleiche Bedingungen in Europa einzutreten.

Der Präsident der Wirtschaftsvereinigung Stahl, Prof. Dr.-Ing Dieter Ameling, betonte die gute Zusammenarbeit mit der Regierung. Allerdings gäbe es auch offene Punkte, besonders in der Energie- und Industriepolitik. Ameling unterstrich noch einmal die Rekordergebnisse in 2004. Die Eine-Milliarde-Tonnen-Grenze sei überschritten worden und deutsche Unternehmen hätten den Boom für sich nutzen können. „Der Stahlstandort Deutschland ist einem starken Zustand“ stellte er weiter fest. Eine lebhafte Entwicklung prognostizierte der Präsident des wichtigsten deutschen Stahlverbandes auch für 2005. Nicht zuletzt wegen des anhaltenden Stahlhungers in China würde in 2005 die Produktion der deutschen Stahlverarbeitung um weitere 1,5 Prozent wachsen. Die Auslastung von 98 Prozent in 2004 würde auch in 2005 erreicht werden. Die Rohstahlerzeugung in Deutschland prognostiziert er für 2005 auf 47 Millionen Tonnen.

Zur Lage an den Rohstoffmärkten bemerkte Ameling: „Die Wertschöpfungskette wird einer weiteren Belastungsprobe standhalten müssen.“ Der Eisenerzpreis bliebe weiter angespannt und besonders durch China würde die Nachfrage die Kapazitäten übersteigen. Die Hoffnungen, dass sich die Lage bei Kokskohle wieder entspannen würde, sei leider nicht erfüllt worden. Hier habe man Preissteigerungen von 120 Prozent zu verzeichnen. Wirtschaftlich nutzbare Kokskohle gäbe es zwar in ausreichender Menge, aber es müssten erst einige Investitionen getätigt werden, bis sich hier die Lage entspanne. Wegen der international vorhandenen Kohlereserven würde es aber in der aktuellen Situation keinen Sinn machen, wieder stärker in Deutschland Kohle zu fördern. Im internationalen Vergleich seien deutsche Kohlepreise zu hoch.

Trotz der aktuellen hohen Stahlpreise seien die Renditen der Stahlhersteller mit 2,7 Prozent nicht sehr hoch. Die Ergebnisverbesserungen der Hersteller seien in erster Linie auf realisierte Kosteneinsparungen und die Auslastung der Anlagen zurückzuführen. Gute Renditen seien aber nötig, um ausreichend Kapital für notwendige Investitionen zur Verfügung zu haben. Leider hätten auch nicht alle Stahlhersteller die hohen Rohstoffkosten auf ihre Kunden umlegen können, so dass die Renditen schwächeln. Die Stahlunternehmen in Deutschland und Europa hätten aber nur dann eine Chance, wenn Sie jetzt hohe Gewinne erzielen, um die Zukunft gestalten zu können.

Bezugnehmend auf den Vortrag von Staatssekretär Adamowitsch räumte Ameling zunächst ein, dass durch Hartz IV und die Gesundheitsreform erste wichtige Schritte für mehr Flexibilität in Deutschland gemacht worden seien. Insgesamt stellte er aber eine weitere Verschlechterung der Rahmenbedingungen durch die Bundesregierung fest. Allein die Maut koste die Stahlbranche in 2005 mit 25 Millionen Euro. In der Steuerpolitik gäbe es einen starken Nachholbedarf, insbesondere für Personen- und Kapitalgesellschaften. Immer schlimmer wären die Rahmenbedingungen in der deutschen Energie- und Umweltpolitik geworden. Die vergleichsweise kleinen CO2-Budgets in Deutschland würden der Stahlindustrie kein Wachstum mehr gestatten. Finnland habe mit der Entscheidung für den Bau eines neuen Atomkraftwerks dagegen ein positives Zeichen für Industrie und Klima gesetzt. In Deutschland dagegen würden immer mehr AKWs abgeschaltet. Die Regelungen zum CO2-Emissionshandel nannte Prof. Ameling „eine bürokratische Luftbewirtschaftung“, durch die Arbeitsplätze vernichtet, die volkwirtschaftliche Wertschöpfung geschädigt und der Wettbewerb im internationalen Vergleich absurd verzerrt würden. Wegen eines fehlenden energiepolitischen Gesamtkonzeptes seien die Strompreise und Netzentgelte viel zu hoch. Abschließend stellte er fest: „Industrielle Wertschöpfung ist in Deutschland möglich, wenn die Bedingungen es erlauben.“

Der Vorstandsvorsitzende von Arcelor, Guy Dollé, unterstütze Prof. Ameling in seinen Forderungen an die europäische Regierung. Die europäischen umweltpolitischen Rahmenbedingungen seien in jedem Fall zu überdenken. Die Unternehmen hätten die Bedeutung des Klimaschutzes erkannt und den CO2-Ausstoß bereits um 18 Prozent reduziert. Die Industrie sei nicht allein für die CO2-Emissionen verantwortlich und könne es auch nicht akzeptieren, dass innerhalb der EU, Länder und Branchen unterschiedlich behandelt würden.

Die Notwendigkeit zur weiteren Konsolidierung der Branche betonten der Arcelor-Chef und der Chef des Mittel- und Osteuropageschäftes von Mittal, Roeland Baan. Dollé und Baan kündigten an, dass ihre Unternehmen die nächsten Schritte aktiv vorantreiben wollten. Die noch immer stark fragmentierte Stahlbranche müsse auf die Herausforderungen eines zunehmend globaleren Marktes reagieren. Den Ruf nach Fusionen begründete Dollé: „Wir bleiben umringt von einer hochgradig konzentrierten Rohstoff-Industrie und zugleich von einem hochgradig konzentrierten Markt auf der Nachfrageseite.“ Der Konsolidierungsprozess müsse auch darum vorangetrieben werden, da sich die Ursachen für die zyklischen Entwicklungen in der Branche verändert hätten.

Den Erfolg des weltgrößten Stahlherstellers Mittal führte Roeland Baan darauf zurück, dass sein Unternehmen gelernt hätte eine neue Denkweise zu finden. Konsolidierung dürfe nicht nur die Reaktion auf die zyklischen Veränderungen des Marktes sein, vielmehr hätte Mittal es geschafft, zu einer proaktiven Denkungsweise zu kommen. So würden die Stahlhersteller sich langsam auch auf andere Felder als die reine Herstellung konzentrieren und die Vorstände hätten die Dynamik der Finanzmärkte besser verstanden. Weiter führte Baan aus: „Mittal Steel hat immer an die Konsolidierung in jedem Zyklus geglaubt. Darum haben wir nur Firmen übernommen, die sich langfristig für uns lohnen, in guten wie in schlechten Zeiten.“ Baan stellte weiter fest, dass sich die Stahlbranche insgesamt globaler aufstellen müsse. Mark Okes-Voysey und James A. Forbes von PriceWaterhouseCoopers unterstrichen die Einschätzung von Baan, sich weiter zu konsolidieren, da sich auch Lieferanten und Abnehmer weiter konzentrieren würden. Mit Blick auf die Finanzmärkte stellten die Berater fest, dass sich die Stahlunternehmen in Zukunft stärker an ihrer Rendite als an ihren Produktionsmengen messen lassen müssten.

Die Bedeutung von Technologieführerschaft und Spezialisierung beschrieben der Vorstandsvorsitzende der ThyssenKrupp Stahl AG Dr.-Ing. Karl-Ulrich Köhler und der Vorstand der Salzgitter AG Dr.-Ing. Volker Paul Hermann Schwich. Der Thyssen-Chef betonte, dass für die Umsatzsteigerung von 13 Prozent in 2004 nicht nur der gute Markt verantwortlich gewesen sei, sondern vor allem auch die Anstrengungen, die innerhalb von ThyssenKrupp unternommen worden sein. 2003/2004 sei es erstmals nach der Fusion gelungen eine Wertsteigerung zu erreichen. Die hohen Rohstoffpreise müsse ThyssenKrupp aber dennoch in 2005 auch an seine Kunden weitergeben. Als klare Wettbewerbsvorteile nannte er Kostensenkungsmaßnahmen, Effizienzsteigerungen, Technologieführerschaft, weitere Internationalisierung sowie Mobilität und Flexibilität.

Als Erfolgsfaktor nannte er die Technologieführerschaft, die sich aus Innovation, Qualität und Dienstleistung am Produkt begründen würde. ThyssenKrupp biete ganzheitliche Produkte und orientiere sich an den Ansprüchen der Kunden. Mehr als die Hälfte der Produkte sei weiterentwickelt worden und so könne man heute „intelligente Stähle“ anbieten, die Gewichtsreduktionen von bis zu 20 Prozent ermöglichten.

„Größe ist nicht das Ziel von ThyssenKrupp Stahl“, führte Köhler weiter aus. Vielmehr konzentriere man sich weiter auf qualitativ hochwertige Produkte. In Sachen Qualität läge Thyssenkrupp Stahl bereits auf Platz vier. Köhler kündigte darüber hinaus die Planung eines neuen Werks in Brasilien an. Die erste Bramme könne hier schon 2008 produziert werden. Die Weiterverarbeitung solle dann in Deutschland erfolgen.

Die Bedeutung der Spezialisierung als Grundlage für eine erfolgreiche Marktpositionierung betonte auch der Vorstand der Salzgitter AG. Schwich nannte eine große Produktvielfalt, einen besseren Service und Flexibilität als die Erfolgsfaktoren von Salzgitter. Durch einen möglichst direkten Kontakt mit den Kunden könne die Produktqualität eng an die Kundenanforderungen angepasst werden. Besonders als kleinerer Hersteller von Spezialblechen gewinne die Kundenbetreuung immer mehr an Bedeutung.

Die Auswirkungen der aktuellen Entwicklungen auf den Stahlmärkten für einen Maschinen- und Anlagenbauer beschrieb der Vorsitzende der Geschäftsführung der SMS Group, Dr.-Ing. h.c. Heinrich Weiss. Zunächst stellte er fest, dass man sich als europäischer Anlagenbauer schon immer global ausrichten musste und darum sei die SMS Group so gut am Markt aufgestellt. China ist für SMS nicht erst seit dem neuerlichen Boom ein Thema, sondern man sei hier schon seit Jahrzehnten sehr aktiv. China sei heute an fast jedem dritten Auftrag beteiligt. Weiss stellte aber auch Veränderungen bei seinen Kunden in den letzten Jahren fest: „Heute haben wir wenige große Kunden und früher hatten wir viele kleine.“ Insgesamt könne man auch eine Entwicklung zu Partnerschaften feststellen und das Anlagengeschäft würde von beiden Seiten rationaler. Da die Gefahr des Know-how-Transfers in Asien weiter groß sei, werde SMS auch weiterhin am Standort Deutschland festhalten, erklärt Weiss. Eine Abflachung des China-Booms beurteilte er gelassen: „Es gibt auch andere interessante Märkte, wie Indien, Thailand, Malaysia, Lateinamerika und vor allem Russland und Osteuropa.“ Darüber hinaus würde man auch weiter versuchen neue Märkte mit neuen Produkten zu erobern. Gerade auch mit ergänzenden Teilen könne die Produktivität bestehender Hüttenwerke und Walzanlagen mit recht kleinen Investitionen erhöht werden.

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Nadja Thomas EUROFORUM

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