Neue Arbeit durch dezentrale Produktion

Bonner Expertenrunde diskutierte über Thesen von US-Professor Frithjof Bergmann

„Bye-bye Made in Germany – Deutschland verliert seinen industriellen Kern“ lautete der provokative Titel des zweiten Bonner Kamingesprächs des Bundesverbandes mittelständische Wirtschaft (BVMW) und dem Wirtschaftsmagazin Criticón. US-Professor Frithjof Bergmann stellte sein Modell für eine neue Wirtschaftskultur vor. Seine zentrale These: Mit ein bisschen mehr Arbeit, Bildung und Innovation die Massenarbeitslosigkeit zu bekämpfen, gleicht dem Versuch, mit einer Tasse Wasser einen Waldbrand zu löschen.

Bergmann hat sich einst als Preisboxer, Hafenarbeiter und Bühnenautor durchgeschlagen. Mit 24 Jahren war er schon Professor in Princeton. Eine Karriere, wie sie wohl nur in den Vereinigten Staaten möglich ist. Für Gesprächsstoff sorgt sein Buch „Neue Arbeit, neue Kultur“, das 2004 im Arbor Verlag in Würzburg erschienen ist. In Deutschland ist Bergmann noch nicht sehr bekannt. Das Wirtschaftsmagazin brand eins hatte allerdings mit einem großen Artikel auf den Mann aufmerksam gemacht, der jetzt in Ann Arbor Philosophie und Anthropologie lehrt. Bergmann ist der Überzeugung, durch mobile Fabriken und dezentrale Produktion die Arbeit neu zu verteilen. Eine Meinung, die nicht nur vor dem Hintergrund der jüngsten Alarmmeldungen der Bundesagentur für Arbeit auf großes Interesse der zahlreichen Zuhörer stieß.

Mit Frithjof Bergmann diskutierten Ralf Sürtenich und Julian Stech. Sürtenich ist Consultant der Düsseldorfer Beratungsgruppe insieme network und blickt auf eine zwanzigjährige Erfahrung als Berater in IT- und TK-Fragen zurück. Stech leitet das Wirtschaftsressort des Bonner General-Anzeigers. In der Einführungsrunde setzten sich die Fachleute mit der Frage auseinander, ob sich Politik und Medien in Deutschland nicht zu sehr auf die Mega-Konzerne konzentrierten. Ein Beispiel sei die Dax-30-Fixierung vieler Wirtschaftsjournalisten, die Mittelständler kaum wahrnehmen. I

Insbesondere Ralf Sürtenich nahm diesen Ball auf und beklagte die mangelnde Beweglichkeit vieler deutscher Großunternehmen. Doch noch radikaler fiel das Gegenmodell aus, das Bergmann entwarf. „Obwohl ich Professor der Philosophie bin, habe ich mich mein ganzes Leben über bemüht, etwas Sinnvolles zu tun“, meinte der amerikanische Gast, der in Sachsen geboren ist und seine Kindheit in Österreich verbracht hat. Die gute alte Zeit der industriellen Massenproduktion und damit auch die Zeit der Großkonzerne sei vorbei oder gehe ihrem Ende entgegen. Die Tendenz gehe hin zu dezentraler Produktion. Selbst Großkonzerne, so Bergmann, hätten erkannt, dass es sinnvoll ist, bestimmte Produktionsabläufe und Dienstleistungen an kleine Anbieter auszugliedern.

Sürtenich übte eine harte Pauschalkritik an der deutschen „Unternehmenskultur“. Toll Collect, das Desaster der Combino-Straßenbahn von Siemens und das Herkules-Projekt der Bundeswehr seien „Meilensteine“ auf diesem Weg des Niedergangs. Sürtenichs Analyse: Deutsche Großunternehmen sind zu sehr auf Deutschland fixiert. Es mangelt insbesondere an der Internationalität der Eliten. Zudem gebe es zu wenig Risikobereitschaft bei deutschen Firmen und Banken. In Amerika sei das mit den so genannten Risikokapitalgesellschaften ganz anders. Wenn wir einen neuen Gründergeist verlangten, dann dürften nicht immer wieder Investitionen in neue Projekte, Produkte und Unternehmensgründungen mit dem Argument verwehrt werden, dass man die Folgen nicht abschätzen könne.

Julian Stech vom General-Anzeiger konnte der generellen Kritik an den deutschen Großunternehmen wenig abgewinnen. BASF sei doch ein Beispiel für den weltweiten Erfolge deutscher Mega-Konzerne. Und in Bonn täten Telekom und Post gute Arbeit. Hier stellte sich allerdings die Frage, ob Stech bei dieser Argumentation die Schattenseiten, nämlich die mangelnde Bereitschaft der beiden Giganten, Konkurrenz zuzulassen, bewusst ausblendete. Laut Stech profitierten gerade kleine und mittlere Unternehmen von der großen Konkurrenz, wenn sie es nur geschickt anstellten. Sürtenich wies jedoch darauf hin, dass dies für kleine Betriebe extrem schwierig sei. Die Wirtschaft dürfe keinen Moden hinterherlaufen, so die Meinung des General-Anzeiger-Redakteurs. Ein Beispiel sei die gescheiterte New Economy.

In einem Punkt waren sich fast alle einig: Ganz bodenständig, sozusagen vor der eigenen Haustür lasse sich in Deutschland bei der Servicekultur noch viel nachbessern. „Wir haben uns die Kunden so erzogen, dass sie gar keinen Service mehr erwarten“, so der sarkastische Kommentar von Stech. Laut Bergmann könne man von einem wachsenden Dienstleistungssektor aber keine Wunder erwarten. Die Vorstellung, dadurch entstünden viele neue Arbeitsplätze, sei „lächerlich“. Diese These trifft auf entscheidenden Widerspruch von Michael Müller, dem Geschäftsführer der a & o after sales & onsite services GmbH in Neuss, der sich im BVMW als Wirtschaftssenator engagiert. „Die Automatisierung wird auch bei Dienstleistungen kommen, aber wir haben in Deutschland noch ein großes Potenzial, um in der Dienstleistungsbranche neue Arbeitsplätze zu schaffen. In den USA arbeiten mehr als 80 Prozent aller Beschäftigten in Dienstleistungsberufen. Bei uns sind es weit unter 70 Prozent. In den USA sind das nicht nur Billig-Jobs. Da tragen die Leute den Kunden nicht nur Einkaufstüten an die Autos. Nein, gerade die Dienstleister in der amerikanischen Informationstechnologie haben in den vergangenen Jahren Hunderttausende sehr anspruchsvoller Arbeitsplätze geschaffen – auch wenn der Boom dort jetzt abebbt. Bei uns hat er noch nicht einmal richtig begonnen. Mein eigenes Unternehmen ist ein Beispiel dafür, wie man Chancen beherzt nutzen kann und mit intelligenten Dienstleistungen viele neue Jobs schafft“, so der Kommentar des Neusser Unternehmers.

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Gunnar Sohn pressetext.austria

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