Bis ins Mark erschüttert: Die psychologischen Folgen der Währungsumstellung.

Wenige Monate vor der Währungsumstellung bestimmt ein diffuses Unbehagen die Gefühlslage im Land. Die Tatsache der Euro-Einführung wird von den Deutschen verdrängt und die Informations-Kampagnen zur neuen Währung werden kaum wahrgenommen. Eine tiefenpsychologische Studie in West- und Ostdeutschland ergab, dass mit der Währungsumstellung ein anderes, tief in der Geschichte verwurzeltes psychologisches Problem virulent wird: In der Nachkriegsgeschichte wurde die D-Mark zu einem Ersatz-Symbol für nationale Einheitsstiftung und geschichtliche Identität. Weitere, historisch unbelastete Symbole existieren im Vergleich zu anderen europäischen Ländern kaum. Die Mark ist deshalb weit mehr als nur ein Zahlungsmittel: Sie ist eine psychologisch wichtiges Verbindungsmittel zwischen den Deutschen. Durch ihr Verschwinden wird die Frage der nationalen Zughörigkeit, was deutsch ist und was nicht, mit weitreichenden gesellschaftlichen Folgen zusätzlich belebt.

Besonders die Menschen in Ostdeutschland empfinden diese krisenhafte Entwicklung als sehr schmerzhaft. Der Euro als ’heimatlose’ Währung in einer als ’identitätslos’ empfundenen EU wird diese Bedeutung nicht ersetzen können.

Als Folge dieser Krise ist eine tiefgreifende Verunsicherung und die verstärkte Zuwendung zu anderen Symbolen nationaler und regionaler Identität sowie eine vertiefende Beschäftigung mit der eigenen Geschichte absehbar. Insbesondere in den neuen Bundesländern kann diese Entwicklung auch zu einem weiteren  Anwachsen rechtsradikaler Tendenzen führen.      

„Der Euro gehört der EU. Das ist nicht mehr das Heimatgeld. Das haben außer uns noch elf andere Länder – das ist heimatloses Geld!“ (Zitat Westdeutschland)   

  1. Die Einführung des Euro ist nicht das eigentliche Problem der Währungsumstellung.      

    „Kommt der Euro denn jetzt wirklich?“    

    (Zitat Westdeutschland)      

    Wenige Monate vor der Währungsumstellung zeigte sich während der psychologischen Untersuchungen, dass die mit der Währungsumstellung verbundenen sachlichen Probleme den Deutschen wenig Kopfzerbrechen bereiten. Ob verdeckte Preiserhöhungen, Stabilität des Euro, Computer-Probleme oder persönliche Gewöhnungsschwierigkeiten im Umgang mit der neuen Währung – diese Herausforderungen erscheinen den Menschen als vorübergehend und praktisch lösbar. Deutlich wurde aber auch, dass von der Idee einer europäischen Einheitswährung kaum emotionale Bindungskraft ausgeht. Die persönliche Zugehörigkeit zur EU ist als Faktor der eigenen Identitätsbildung nicht existent.      

    Bei fast allen Probanden zeigte sich, dass trotz der direkt bevorstehenden Veränderungen die Währungsumstellung noch immer verdrängt oder verleugnet wird:“Ich glaube nicht daran, dass der Euro kommt!“ (Zitat Westdeutschland)   

  2. Das eigentliche Problem ist der Tod der D-Mark. Er erzeugt eine unterschwellige Begräbnisstimmung.      

    „Das ist, als würde man den Engländern den Tee und die Queen nehmen. Was bliebe ihnen dann noch? Nur der Regen. Und was bleibt uns, wenn die Mark weg ist?“ (Zitat Westdeutschland)      

    Verdrängung und Verleugnung sind Ausdruck einer Verlustangst: Deutlich mehr als die neue Währung macht den Befragten das Verschwinden der D-Mark zu schaffen. Regelmäßig stellte sich während der Untersuchung Begräbnisstimmung ein, als ob den Probanden mit der alten Währung eine geliebte Person abhanden kommt. Bei Interviews in Ostdeutschland reichten die Reaktionen von Schweigen bis zu Wutausbrüchen und Weinkrämpfen: „Ein Leben lang habe ich mich nach der D-Mark gesehnt. Dann hatte ich sie für 10 Jahre und jetzt ist alles wieder vorbei.“      

    Schnell wurde deutlich, dass sich die Probanden im Zusammenhang mit der Währungsumstellung seltsamerweise vor allem mit scheinbar abseitigen Themengebieten wie ’Deutsche Geschichte’, ’Nationalstolz’, ’Entfremdung’, ’Einwanderung’, ’Leitkultur’  und ’Verlust von Identität und Heimat’ auseinandersetzen. Einige der Befragten waren auch von einer Sammelleidenschaft gepackt, Geldscheine und Münzen werden wie Andenken an einen Verstorbenen gehortet: „Ich mache ein Album für meinen Enkel. Damit er weiß, wo seine Wurzeln sind.“ (Zitat Westdeutschland)

  3. Die D-Mark ist der zentrale Splitter einer ’Deutschen Identität’.      

    „Erst wird die D-Mark abgeschafft, dann die deutsche Sprache, und bald gibt es die Deutschen nicht mehr!“ (Zitat Westdeutschland)      

    Dieses Verhalten zeigt die besondere psychologische Bedeutung der D-Mark für die Deutschen: Vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit ihrer eigenen Geschichte haben sie Schwierigkeiten, ihre Sehnsucht nach einem klaren nationalen Selbstbild, nach Abgrenzung, nach einem verbindenden ’Wir-Gefühl’ und der nationalen Gemeinschaft überhaupt zuzulassen.      

    In dieser Situation hat die D-Mark die Rolle des zentralen ’Identitäts-Splitters’ als psychologische Verbindung zwischen den Deutschen in vierfacher Hinsicht übernommen:

        

    • Die D-Mark ist historisch unbelastet.

      Als eines der wenigen deutschen Symbole hat die    D-Mark ihre Wurzeln in der Nachkriegszeit und ist daher ’unbefleckt’. Auf sie kann man als Deutscher ohne faden Beigeschmack ’stolz’ sein. Sie steht für das Wirtschaftswunder, die wirtschaftliche Stärke und Stabilität des Landes und die hohe internationale Reputation des neuen, des ’guten’ Deutschland.  

    • Die D-Mark erzeugt ein nationales ’Wir-Gefühl’.   

      Die D-Mark verbindet alle Deutschen wie ein unsichtbares Band. Sie zirkuliert und fließt zwischen den Menschen und wird dadurch zu einem der wenigen psychologischen Verbindungsmittel zwischen den Deutschen.  

    • Die D-Mark verbindet Generationen.   

      Die D-Mark erzeugt Kontinuität und eine gemeinsame, positive Geschichtlichkeit. Sie vereinigt psychologisch die heutige Generation mit denen der Eltern und Großeltern als Teil der persönlichen Biographie.

    • Die D-Mark eint Ost und West.   

      Die D-Mark ist das Verbindungsmittel, der Kitt zwischen Ost und West. Als Objekt großer Begierde war sie in der DDR psychologisch sogar bedeutsamer als in der damaligen BRD: Sie war das zentrale Symbol für die Sehnsucht der DDR-Bürger, ’vollgültige Deutsche’ zu sein. Diese Sehnsucht konnte jedoch mit der deutschen Wiedervereinigung nicht vollständig erfüllt werden. Heute ist die D-Mark als gemeinsame Währung der zentrale Einheitsstifter in Deutschland: „Die D-Mark überbringt die deutschen Eigenschaften. Die DDR ist Ostdeutschland geworden.“ (Zitat Ostdeutschland)

  4. Durch das Verschwinden der D-Mark wird die Sehnsucht der Deutschen nach ’Wir-Gefühl’, Selbstbild und Abgrenzung wieder frei.      

    Projektleiter Simone Severin und Michael Schütz zum psychologischen Hintergrund dieser Entwicklung: „Das in allen europäischen Ländern  selbstverständliche Bedürfnis nach einem ’nationalen Wir-Gefühl’ ist durch die deutschen Geschichte diskreditiert. Im Gegensatz zu allen anderen Bürgern Europas befinden sich die Deutschen in der prekären Lage, diese vorhandene Sehnsucht nicht zulassen oder sogar offen aussprechen zu können: Aus der Erfahrung zweier selbst verursachter Weltkriege resultiert die kollektive Angst, dass die Ausbildung eines deutschen Nationalgefühls immer und zwangsläufig in der völligen Katastrophe mündet. Diese Furcht führt zu einem neurotischen Vermeidungsverhalten. Die grundlegende Sehnsucht nach Selbstbild, Abgrenzung und Wir-Gefühl darf nur bis zu einer bestimmten Grenze zugelassen werden. Schon mit dem Gebrauch des Wortes ’national’ ist diese erreicht. Man gerät sofort in die Not, sein Verhalten erklären und sich entschuldigen zu müssen.      

    Die Vergangenheitsbewältigung erscheint dadurch in einem ganz anderen Licht: Sie dient nicht nur der Aufarbeitung der eigenen Geschichte, sondern vor allem auch der ’Grenzsicherung’. In Schule und Medien wird den Deutschen immer wieder vor Augen geführt, wohin es führt, wenn sie es wagen sollten, diese Grenze zu überschreiten und sich gar als ’stolze Nation’ zu fühlen.      

    Durch dieses Verhalten verhindern die Deutschen die korrigierende Erfahrung, dass die Erfüllung der Sehnsucht nach Selbstbild, Abgrenzung und ’Wir-Gefühl’ nicht zwangsläufig zur Katastrophe führt. Hierdurch wird der neurotische Zustand nachhaltig zementiert.      

    Doch die vorhandene Sehnsucht der Menschen bleibt und sucht sich ersatzweise Erfüllung in ’Identitäts-Splittern’ wie der Identifizierung mit Fußballmannschaften, mit Tennisspielern wie Boris Becker oder Rennfahrern wie Michael Schumacher. Der wichtigste Identitäts-Splitter der Nachkriegszeit ist jedoch die D-Mark: Mit ihrem Wegfall wird das Band zwischen den Deutschen, zwischen den Generationen, zwischen Ost und West durchtrennt und die grundlegende Sehnsucht nach Selbstbild, Abgrenzung und Wir-Gefühl wieder frei.“   

  5. Die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen um die ’nationale Frage’ werden durch die Währungsumstellung an Schärfe gewinnen.      

    Das Verschwinden der D-Mark wird die Deutschen stärker in eine Krise stürzen als andere Bürger Europas. Zwei gegenläufige Tendenzen sind absehbar, die zu einer Verschärfung der gesellschaftlichen Auseinandersetzungen führen werden. Diese werden paradoxerweise an Stellen des Diskurses aufbrechen, die mit der Währungsumstellung scheinbar nichts zu tun haben.

    • Die Suche nach neuen Identitäts-Splittern   

      Die Beschwörungen deutscher Gemeinsamkeiten nehmen zu und das Bedürfnis nach einem nationalen Selbstverständnis wird lauter. Die Deutschen haben sich auf die Suche nach neuen Identitäts-Splittern begeben. Noch ist nicht absehbar, wo sie diese finden werden. Eine verstärkte Hinwendung zu regionalen Bezügen mit deutlichen Abgrenzungen, ein stärkeres Auseinanderdriften von Ost- und Westdeutschland sowie ein Erstarken rechtsradikaler Tendenzen ist wahrscheinlich.

    • Das Wachsen der kollektiven Angst    

      Als Gegenentwicklung wird die kollektive Angst der Deutschen vor den Gefahren der ’nationalen Frage’ wachsen und damit die Bemühung um eine verstärkte psychologische ’Grenzsicherung’. Als Folge dieser Entwicklung wird die öffentliche Auseinandersetzung um die Folgen des Nationalsozialismus zunehmen. Sie dient jedoch nicht nur der ’Grenzsicherung’, sondern auch unbewusst der Versicherung, dass die Deutschen – und sei es in der Schuld – noch etwas gemeinsam haben.  

   Hierdurch erhält die Suche nach neuen, positiven Identitäts-Splittern zusätzlichen Auftrieb.      

Die Ergebnisse der rheingold  – Studie zeigen, dass die aktuellen Aufklärungs- und Werbekampagnen zur Einführung des Euro zwar einen Beitrag zur Lösung der rationalen Fragen leisten, aber nicht am eigentlichen Problem ansetzen. Daher werden sie kaum wahrgenommen.      

Fakten zur Studie      

Für die Studie  „Einführung des Euro und Verlust der DM in Ost- und Westdeutschland“ wurden insgesamt 44 Personen in Köln (28) und Dresden (16) im Alter zwischen 16 und 60 (Geschlecht paritätisch, sozialer Status ausgewogen berücksichtigt) in psychologischen Tiefeninterviews von jeweils zweistündiger Dauer von Psychologen befragt. Für das Forschungsvorhaben eigneten sich Tiefeninterviews besonders gut, da sie – jenseits der bekannten rationalen Befürchtungen zur Währungsumstellung – die tieferen und zum Teil unbewussten Zusammenhänge und Ängste aufdecken konnten. Eine Stichprobengröße von 44 Interviews ist für ein tiefenpsychologisches Forschungsprojekt üblich und völlig ausreichend. Ziel war nicht statistische Repräsentativität, vielmehr sollte sichergestellt werden, alle psychologisch relevanten Aspekte des Untersuchungsthemas in der Stichprobe abzubilden.      

Media Contact

Thomas Strätling ots

Weitere Informationen:

http://www.rheingold-online.de

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