Bildungsnotstand in Finanzfragen – Studie deckt erhebliche Wissensdefizite auf

Ob Geldanlage oder private Vorsorge: Die Deutschen haben erhebliche Wissenslücken beim Thema Finanzen. Zu diesem Fazit kommt die von der Commerzbank bei NFO Infratest in Auftrag gegebene Studie „Finanzielle Allgemeinbildung in Deutschland“. Wichtigstes Ergebnis der repräsentativen Untersuchung: Die Deutschen haben die Planung und Entwicklung ihrer Finanzen weniger im Griff als sie glauben. Obwohl 80 Prozent der Befragten sich in Finanzfragen zumindest „einigermaßen sicher“ fühlen, konnten 42 Prozent nicht einmal die Hälfte aller Fragen beantworten.

NFO Infratest Finanzforschung befragte über 1.000 Bundesbürger im Alter zwischen 18 und 65 Jahren. Die Teilnehmer beantworteten 35 Fragen zu den Themengebieten Orientierungswissen, Einkommen und Zahlungsverkehr, Kredite, Private Vorsorge sowie Geldanlage. Damit liegen erstmals repräsentative Ergebnisse zur finanziellen Allgemeinbildung in Deutschland vor.

Nur etwa fünf Prozent der Befragten verfügen laut Studie über ein gutes oder sehr gutes Wissen in finanziellen Fragen und konnten 80 Prozent oder mehr der Fragen richtig beantworten. Insbesondere bei der Geldanlage und der privaten Vorsorge gibt es erhebliche Wissenslücken. „Angesichts der wachsenden Notwendigkeit zu mehr Eigenvorsorge besteht Handlungsbedarf, mehr für die finanzielle Bildung der Bevölkerung zu tun“, meint Martin Blessing, Mitglied des Vorstands der Commerzbank AG und zuständig für das Zentrale Geschäftsfeld Private Kunden.

Orientierungswissen

Schon beim Orientierungswissen haben drei Viertel der befragten Bundesbürger beachtliche Wissensdefizite: Jeder Zweite kann beispielsweise die derzeitige Inflationsrate – sie liegt bei 1,5 Prozent – nicht richtig oder gar nicht nennen. Ebenso viele wissen nicht, dass die Europäische Zentralbank ihren Sitz in Frankfurt hat, und nur 40 Prozent kennt deren wichtigste Aufgabe, die Sicherung der Preisstabilität im Euro-Raum. Weniger als der Hälfte ist bekannt, dass die eigene Währung, der Euro, auch in Irland gesetzliches Zahlungsmittel ist.

Einkommen und Zahlungsverkehr

Beim Thema Einkommen und Zahlungsverkehr schneiden die Befragten noch am besten ab. Gut drei Viertel können in diesem Bereich mehr als die Hälfte der Fragen richtig beantworten. So wissen die meisten etwa, durch welche Abzüge vom Gehalt der Nettolohn zustande kommt. Doch auch hier gibt es Schwachpunkte: Über 60 Prozent können den Begriff „Beitragsbemessungsgrenze“ nicht richtig erklären. Fast jedem Dritten ist unbekannt, dass er einer Lastschrift direkt bei seiner Bank oder Sparkasse widersprechen kann. Und etwa jeder Zweite kennt den Unterschied zwischen ec- und Kreditkarte: In einem Fall wird das Konto unmittelbar belastet, im anderen nur einmal im Monat. Selbst Kreditkartenbesitzer sind nur wenig aufgeklärter: 80 Prozent von ihnen wissen nicht, dass im Falle des Diebstahls der Karte das Konto nur mit maximal 50 Euro belastet werden kann – ein Drittel würde eine wesentlich höhere Belastung akzeptieren.

Kredite

Im Bereich Kredite schaffen immerhin noch 71 Prozent die Hälfte der richtigen Antworten, doch auch hier zeigen sich bemerkenswerte Defizite. Richtigerweise achten knapp drei Viertel der Bevölkerung bei einer Kreditaufnahme auf den Effektivzins und nicht auf den Nominalzins. Doch fast nur jeder Zweite weiß, dass er einen bereits rechtsgültig abgeschlossenen Kreditvertrag innerhalb von zwei Wochen schriftlich widerrufen kann. Dies gilt sogar für mehr als ein Drittel der derzeitigen Darlehenshalter. Auch das Recht, jederzeit gegen eine Bearbeitungsgebühr von der SCHUFA Auskunft über die dort gespeicherten Daten zu erhalten, kennt mehr als die Hälfte nicht genau.

Private Vorsorge

In diesem wichtigen Bereich konnten 37 Prozent weniger als die Hälfte aller Fragen richtig beantworten. Ob Bausparer oder nicht, nur jeder Zweite weiß, dass das Sparguthaben eines Bausparvertrages für jeden Zweck ausgegeben werden darf. Nicht einmal jeder Dritte kann den Ertrag eines monatlichen Sparplanes richtig veranschlagen, denn die meisten unterschätzen den Zinses-Zins-Effekt. Andererseits überschätzt mehr als die Hälfte den Ertrag einer Einmalanlage oder die Höhe der Rente im Beispiel. Selbst knapp 40 Prozent der Besitzer einer Lebensversicherung ist unbekannt, dass diese nach zwölf Jahren steuerfrei ausgezahlt werden kann. Ein Lichtblick: 80 Prozent geben im Fall einer „finanziellen Notlage“ die richtige Empfehlung im Umgang mit einer Lebensversicherung. Sie würden sie nicht kündigen, sondern auf den Risikobeitrag herunterfahren.

Geldanlage

Beim Thema Geldanlage gibt es die meisten Defizite. Nur zwei von fünf Befragten schaffen hier die 50-Prozent-Hürde. Den Unterschied zwischen Aktien und festverzinslichen Wertpapieren kennt nicht einmal jeder Zweite. Ebenfalls die Hälfte kennt nicht die Anlageformen, die in der Vergangenheit die höchsten Erträge erzielt haben. In den vergangenen 20 Jahren waren dies Aktien, in den letzten fünf Jahren erzielten Bundesschatzbriefe die höchsten Erträge. Selbst ein Drittel der Aktienbesitzer weiß dies nicht. Ebenfalls so viele Aktionäre können den Begriff Aktienindex nicht richtig erklären, bei allen Befragten sind dies sogar 60 Prozent.

Banken und Sparkassen sind „Wissensvermittler Nr. 1“

Laut Studie fühlen sich 44 Prozent der Befragten in finanziellen Angelegenheiten ausreichend informiert. 28 Prozent beklagen einen Mangel an Informationen, 26 Prozent sind der Meinung, dass es zu viele Informationen gibt. „Es mangelt nicht an Möglichkeiten, sich Informationen zu beschaffen. Doch das Finden der gerade benötigten Informationen sowie deren Auswahl und Beurteilung stellen ein großes Bildungsproblem dar“, meint dazu Dr. Volker Brettschneider, Privatdozent am Institut für ökonomische Bildung in Oldenburg, unter dessen wissenschaftlicher Leitung der Fragebogen der Studie entwickelt wurde. Und Martin Blessing ergänzt: „Es ist eine wesentliche Aufgabe der Banken, nicht nur verbrauchergerechte Information und Beratung zu liefern, sondern vor allem die Kunden besser durch das vorhandene Angebot zu führen. Die Banken müssen Navigator für finanzielle Informationen sein.“

Dabei genießen Banken und Sparkassen schon jetzt einen hohen Vertrauensvorschuss: Für 66 Prozent der Bevölkerung sind sie die wichtigste Quelle von Finanzinformationen, gefolgt von Gesprächen mit Familienangehörigen sowie Freunden und Bekannten. Andere Informationsquellen wie berufsbildende Schulen oder auch Verbraucherzentralen rangieren auf den hinteren Plätzen. An allgemeinbildenden Schulen lernen die Menschen am wenigsten über Geldangelegenheiten. Nur drei Prozent geben an, in der Schule etwas über den Umgang mit persönlichen Finanzen erfahren oder gelernt zu haben. Doch nach Ansicht von über der Hälfte der Befragten sollen in Zukunft vor allem die allgemein- und berufsbildenden Schulen mehr Kenntnisse in finanziellen Angelegenheiten vermitteln als bisher. „Das ist ein klarer Auftrag der Bürger an den Staat, mehr für die finanzielle Bildung zu tun“, so Brettschneider.

Das Commerzbank Ideenlabor

Die Studie „Finanzielle Allgemeinbildung in Deutschland“ ist das erste Projekt des Commerzbank Ideenlabors. Das Ideenlabor dient unabhängigen Experten aus Wissenschaft, Gesellschaft und Wirtschaft als Plattform, das Thema „Finanzielle Allgemeinbildung“ aus verschiedenen Blickwinkeln zu analysieren. Ziel ist, Lösungsansätze und Handlungsanweisungen zum Management der persönlichen Finanzen zu erarbeiten. „Die aktuelle politische Debatte über die Reform der Sozialsysteme zeigt deutlich, dass es zur Übernahme von mehr finanzieller Eigenverantwortung keine Alternative gibt. Das stellt auch neuen Herausforderungen an unsere Beratungskompetenz. Wir wollen, dass der Beratungsprozess zwischen Bank und Kunde auf gleicher Augenhöhe stattfindet. Denn nur der informierte und aufgeklärte Kunde kann den Bereich seiner Finanzen überblicken und auf dieser Grundlage die für ihn richtigen Entscheidungen treffen“, so Martin Blessing.

Die Experten des Ideenlabors sind:

  • Dr. Christine Bortenlänger, Geschäftsführerin der Börse München und Vorstand der Bayerische Börse AG
  • Privatdozent Dr. Volker Brettschneider, Institut für Ökonomische Bildung, Universität Oldenburg
  • Dominique Döttling, Mittelständische Unternehmerin und Vizepräsidentin des Weltverbands der Wirtschaftsjunioren
  • Prof. Dr. Hariolf Grupp, Leiter des Instituts für Wirtschaftspolitik und Wirtschaftsforschung der Universität Karlsruhe (TH) und stellvertretender Leiter des Fraunhofer-Instituts für Systemtechnik und Innovationsforschung, Karlsruhe
  • Prof. Dr. Dr. h.c. Stefan Hradil, Institut für Soziologie der Universität Mainz

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Weitere Informationen:

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