Deutsche Wirtschaft am Rand der Rezession

Deutschland ist im Verlauf des vergangenen Jahres erneut in eine wirtschaftliche Schwächephase geraten.

Auf der außenwirtschaftlichen Seite hat sich die Konjunktur weltweit wieder abgekühlt und sind aufgrund der Irak-Krise die Rohölpreise kräftig gestiegen; hinzu kommt die deutliche Aufwertung des Euro. Binnenwirtschaftlich wirkt dämpfend, dass die Finanzpolitik ihren Restriktionskurs spürbar verstärkt hat. Zur Jahreswende stagnierte das Bruttoinlandsprodukt, und die Aussichten für das erste Quartal 2003 sind kaum günstiger, was angesichts der seit fast drei Jahren außergewöhnlich verhaltenen Expansion umso schwerer wiegt.

Die internationale Konjunktur hat gegen Ende 2002 deutlich an Tempo verloren. Der kräftige Anstieg des Rohölpreises und die Furcht vor einer Zuspitzung der Irak-Krise, die Verbraucher und Investoren lähmte, trafen auf eine Weltwirtschaft, die sich durch den Verfall der Aktienkurse und die beträchtlichen außenwirtschaftlichen Ungleichgewichte ohnehin in einer labilen Lage befand. In den Vereinigten Staaten schwächte sich die Wirtschaft zum Jahresende deutlich ab, insbesondere der private Verbrauch – bisher Stütze der Konjunktur – verlor an Dynamik. Die Wirtschaftspolitik reagierte darauf mit kräftigen Impulsen: Die Zentralbank senkte nochmals den Leitzins, und die Finanzpolitik ging auf Expansionskurs – Letzteres mit der Folge, dass nun das Haushaltsdefizit aus dem Ruder zu laufen droht. Im Euro-Raum hat sich das Wirtschaftswachstum ebenfalls im Schlussquartal 2002 deutlich verlangsamt, woraufhin die Geldpolitik ihren expansiven Kurs nochmals verstärkte; allerdings wirkt hier die Finanzpolitik nach wie vor eher restriktiv. In Japan wuchs das BIP in der zweiten Jahreshälfte 2002 überraschend kräftig, jedoch allein Dank hoher Exporte, was sich angesichts des ungünstiger werdenden internationalen Umfelds nicht fortsetzen dürfte. In den Industrieländern insgesamt wächst das BIP 2003 voraussichtlich um 1,9 vH nach 1,6 vH im Vorjahr. Das Wachstum dürfte ich erst beschleunigen, wenn die Belastungen durch die Irak-Krise schwinden.

Die Prognoserisiken sind ungewöhnlich groß. Unsere Einschätzung hier basiert auf der Annahme, dass die Krise am Persischen Golf rasch beigelegt wird, dadurch die Rohölpreise bald sinken sowie Investoren und Verbraucher an Zuversicht gewinnen. Sollte sich der Konflikt lange hinziehen oder gar ausweiten, würde dies die Weltwirtschaft in eine Rezession stürzen. Daneben bestehen aber auch beträchtliche ökonomische Risiken. Vor allen hat sich in den Vereinigten Staaten wieder ein twin deficit herausgebildet, d.h. hier treffen ein hohes Außenhandels- und Staatsdefizit zusammen. Der Weg daraus führt entweder über eine kräftige Abwertung des Dollar oder über eine deutliche Ausweitung der Spartätigkeit – beides schmerzhaft für den Rest der Welt.

In Deutschland wurde das bescheidene Wachstum des vergangenen Jahres ausschließlich aufgrund eines ungewöhnlich hohen Außenbeitrags erzielt, der jedoch allein aus rückläufigen Einfuhren resultierte, so dass von der Außenwirtschaft keine Impulse für die Investitionstätigkeit und damit die Binnennachfrage ausgingen. Erst im Verlauf dieses Jahres, wenn sich die geopolitische Lage beruhigt und die Weltwirtschaft belebt, beschleunigt sich der Anstieg der Exporte, wenn auch gedämpft durch den hohen Kurs des Euro. Dann wirken die Auftriebskräfte im Inland, vor allem die bereits seit Ende 2001 expansive Geldpolitik. Mit steigender Kapazitätsauslastung werden die Investitionen ausgeweitet. Kaum erholt sich dagegen der private Verbrauch, weil er durch die Finanzpolitik belastet wird und die Einkommen nur wenig steigen. Unverändert in der Krise befindet sich die Bauwirtschaft. Insgesamt dürfte das BIP 2003 nur um 0,6 vH, also im dritten Jahr in Folge nur sehr verhalten wachsen. Im kommenden Jahr gehen aufgrund der Einkommensteuerreform etwas kräftigere Impulse vom privaten Konsum aus, und auch die Weltwirtschaft stellt sich etwas günstiger dar. Das BIP wächst dann wohl etwas stärker, um 2,0 vH. Der Preisanstieg bleibt bei alledem moderat, ungeachtet der vorübergehend deutlich steigenden Energiepreise.

Die Lage auf dem Arbeitsmarkt verschlechtert sich vorerst weiter. Im Jahresdurchschnitt 2003 liegt die Arbeitslosenquote bei 10,1 vH. Die Umsetzung der Vorschläge der Hartz-Kommission führt noch kaum zu einer Entlastung, weil parallel bisherige Maßnahmen abgeschafft werden, es zu Verdrängungs- und Mitnahmeeffekten kommt und viele der neuen Instrumente ohnehin so angelegt sind, dass sie erst dann ihre volle Wirkung entfalten, wenn sich die gesamtwirtschaftliche Nachfrage kräftigt. Die Zahl der Arbeitslosen sinkt erst im kommenden Jahr etwas stärker, bleibt aber auch dann noch im Jahresdurchschnitt über der 4 Mill.-Grenze.

Die gegenwärtige Schwächephase ist kein „klassischer“ Konjunkturabschwung, sondern Folge einer außergewöhnlichen Häufung exogener Schocks (Ende des weltweiten IT-Booms, 11. September 2001, Irak-Konflikt). Sie legt aber das seit Mitte der neunziger Jahre grundlegende Problem der deutschen Wirtschaft offen: Weil der Wachstumspfad aufgrund der unzureichenden Binnennachfrage außergewöhnlich flach ist, droht bei jeder größeren Störung die Gefahr einer Rezession.

Die Wirtschaftspolitik muss vor diesem Hintergrund alles daran setzen, die Wachstums- und Beschäftigungsbedingungen zu verbessern. Die Finanzpolitik befindet sich dabei im Spannungsfeld zwischen gesamt- und finanzwirtschaftlichen Zielen. Obwohl die Bundesregierung sich stets zu den Defizitzielen des Maastrichter Vertrags bekannte, hat sie die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte „in guten Zeiten“ nicht entschlossen genug vorangetrieben und verfügt nun über kein „Polster“ für konjunkturelle Impulse. Eingeschränkt wird die Wirksamkeit der Politik zusätzlich dadurch, dass sie bei Verbrauchern und Investoren viel Vertrauen verloren hat, da sie hinter ihren eigenen Ansprüchen zurückbleibt, eine klare Konzeption zur Erreichung ihrer Ziele vermissen lässt und ständig neue Vorschläge diskutiert, die die Unsicherheit nur vergrößern. Stattdessen muss sie nun glaubwürdige Wege aufzeigen, wie in der mittleren Frist Wachstum und Beschäftigung gefördert und das strukturelle Haushaltsdefizit abgebaut werden. Die Lohnpolitik hat 2002 den Verteilungsspielraum mehr als ausgeschöpft; von ihr sind aufgrund der Höhe der Abschlüsse auch 2003 keine Beschäftigungseffekte zu erwarten. Hingegen hat die Geldpolitik den erhöhten konjunkturellen Risiko durch bisher zwei Zinssenkungen Rechnung getragen, jedoch werden ihre Wirkungen in Deutschland offenbar dadurch geschmälert, dass die Banken gegenwärtig sehr zögerlich bei der Kreditvergabe sind.

Wenn angesichts der konjunkturellen Risiken Deutschland in die Rezession abrutscht, dürfte eine expansive Geldpolitik alleine nicht ausreichen, um die Wirtschaft zu stabilisieren. Dann ist in Abstimmung mit den europäischen Partnern die Finanzpolitik gefordert, z.B. durch ein Vorziehen der Einkommensteuerreform der Konjunktur Impulse zu geben, was kein grundsätzliches Abgehen vom Konsolidierungskurs bedeutet.

Ihre Ansprechpartner:

Dr. Roland Döhrn,
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