Menschen im Spiel-Waren-Geschäft

Max-Planck-Wissenschaftler studieren Rationalität des Marktverhaltens im Internet / Neueste Ausgabe der MaxPlanckForschung erschienen

Wie verhalten sich Menschen bei ihren Entscheidungen im Wirtschaftsleben? Handeln wir tatsächlich so vorausschauend, rational und eigennützig wie die Wissenschaft uns lange Zeit glauben machen wollte? Dr. Axel Ockenfels und seine Mitarbeiter vom Max-Planck-Institut zur Erforschung von Wirtschaftssystemen in Jena stellen das in Frage: In ihrem Experimentallabor erleben Studenten am eigenen Leib, dass es mit der oft beschworenen Rationalität des „Homo oeconomicus“ nicht allzu weit her ist. Die Ergebnisse dieser Tests erlauben auch Rückschlüsse über die Gestaltung von Handelsplattformen im Internet. Über die Arbeiten von Ockenfels berichtet die neueste Ausgabe der MaxPlanckForschung (4/2002).

Der Versuch im Labor funktioniert zuverlässig: Die Studenten sollen den Inhalt eines Glases voller Euromünzen schätzen und dann ein Gebot abgeben. „Regelmäßig erlebe ich, dass der Student, der das Glas ersteigert, ein schlechtes Geschäft macht, weil längst nicht so viele Münzen darin sind wie er erwartet hat“, sagt Forschungsgruppenleiter Axel Ockenfels. Im Mittel seien die Schätzungen der Studenten zwar ziemlich realistisch; da der Auktionsgewinner aber gewöhnlich derjenige ist, der den Wert der Euromünzen im Glas höher veranschlagt als alle anderen, überschätzt er allzu oft den wahren Wert und macht Verluste. Dieser Effekt ist laut Ockenfels auch in der realen Wirtschaft zu beobachten: „Das ist der Fluch des Gewinnens.“ Ein Beispiel sei die Versteigerung der UMTS-Lizenzen, die in Deutschland an sechs Mobilfunkanbieter gingen, von denen nun einige wegen der enormen Investitionen straucheln – eine Situation, die sich vielleicht mithilfe strategischer Analysen und etwas Experimentieren hätte vermeiden lassen.

Die Wirtschaftswissenschaft hat in den vergangenen Jahren dank der rasanten Entwicklung der Spieltheorie und der experimentellen Wirtschaftsforschung – für die im vergangenen Jahr der Wirtschafts-Nobelpreis verliehen wurde – gewaltige Fortschritte bei der Erforschung strategischen und rationalen Verhaltens gemacht. Doch letztlich, so glaubt Axel Ockenfels, wird der Erfolg dieser Bemühungen daran gemessen, inwieweit es gelingt, das Wissen auch in die Praxis umzusetzen. Der Jenaer Wissenschaftler ist hier optimistisch: Die Methoden seien mittlerweile weit genug ausgereift, um die Lücke zwischen Theorie und Praxis zu schließen. Selbst die Interaktion vieler Menschen, die mit den unterschiedlichsten Zielen und Erfahrungen auf hoch komplexen Märkten zusammenkommen, könnte durch die enge Verknüpfung von Theorie und Experiment detailliert untersucht werden. Auch die Gestaltung von Märkten ließe sich auf diese Weise optimieren. Die Kunst der Marktarchitektur besteht darin, die Methoden so einzusetzen, dass die ökonomisch relevanten Komplexitäten des Verhaltens und der Marktinstitutionen beherrschbar werden.

Hier kommt das Internet ins Spiel, das laut Ockenfels erstmals erlaubt, reale Märkte und reales Verhalten nahezu beliebig zu sezieren und zu kontrollieren. Der Forscher untersucht insbesondere das Marktdesign von Internetauktionen. Gemeinsam mit seinem Kollegen Alvin E. Roth von der Harvard University hat Ockenfels die Plattformen von eBay und Amazon verglichen – zwei Internetfirmen mit einem enormen Wachstumspotenzial und einem gigantischen Warenangebot. Neben der Spieltheorie und Laborversuchen greifen die Forscher dabei auch auf tatsächliche Auktionsdaten zurück.

Ockenfels und Roth haben einige interessante Beobachtungen gemacht. Um „Sniping“ (das Bieten in den letzten Sekunden) zu verhindern, bieten die Internet-Auktionshäuser den Teilnehmern die Hilfe eines automatischen „Stellvertreters“ an, der ihre Interessen wahrnimmt. Sie können zu Beginn einer Auktion ein Preisgebot („Proxy Bid“) abgeben, das im System gespeichert wird. Auch ohne aktiv mitzusteigern, haben die Bieter eine Chance, das Versteigerungsobjekt zu erhalten, sofern im Verlauf der Auktion kein höheres Gebot eingeht – der Kaufpreis liegt dann nur minimal über dem zweithöchsten Angebot und nicht in Höhe des gespeicherten Gebots. Ökonomen kannten diese Auktionsform schon lange vor dem Internet-Zeitalter.

Das Problem ist nur, dass Sniping bei eBay durch den Stellvertreter nicht verhindert wird. In einer Stichprobe wurden in mehr als einem Drittel der Auktionen noch in der letzten Minute Gebote beobachtet – der Gefahr zum Trotz, dass diese Gebote in der Hektik kurz vor Ende einer Auktion im Datennetz verloren gehen. Bei Amazon dagegen ist Sniping ein unbedeutendes Phänomen.

Ockenfels und sein Kollege Roth können spieltheoretisch und experimentell demonstrieren, dass dieser Unterschied an den Regeln liegt, nach denen die meist mehrere Tage dauernden Auktionen enden. Während bei eBay die Auktionen zeitlich genau begrenzt sind, verlängert sich bei Amazon das Ende automatisch um weitere zehn Minuten, wenn in der Schlussphase ein weiteres Gebot eingeht. Bei eBay setzt diese Schlussregel die Vorteile des automatischen Stellvertreters teilweise außer Kraft. Sniping kann sich als kluge Strategie unter erfahrenen Bietern erweisen, um durch „implizite Absprachen“ den Preis am Auktionsende künstlich niedrig zu halten. Unerfahrenen Bietern fehlt dagegen am Ende einfach die Zeit, um auf Sniper zu reagieren. Sniping verhindert also frühe Preiskriege und hält dadurch potenziell den Preis niedrig – mit dem Nebeneffekt, dass der Zufall für das Auktionsergebnis eine Rolle spielt: Wer im richtigen Moment die Maus drückt, hat gewonnen.

Was können Wirtschaftswissenschaftler von solchen Studien lernen? Für Axel Ockenfels ist es faszinierend, wie stark sich die Details der Marktregeln auf die Ergebnisse auswirken. Schon kleine Veränderungen in der Struktur können erhebliche Folgen haben, weil sich das Verhalten der Marktteilnehmer sofort anpasst. Dies eröffnet ein neues Arbeitsfeld für die experimentelle Wirtschaftswissenschaft. „Online-Märkte können im Labor eins zu eins nachgebildet oder beliebig variiert werden. Sie können aber auch direkt als Schaufenster ökonomischen Verhaltens dienen. Der Übergang von der Theorie über das Laborexperiment bis zur Realität ist fließend. Alles ist letztlich kontrollierbar“, sagt Ockenfels.

Allerdings sei es vergleichsweise einfach, Interaktionen zwischen anonymen Teilnehmern zu simulieren, die sich wie bei einer Auktion im Internet nur einmal begegnen. Gerade die Anonymität der Marktteilnehmer birgt aber auch Gefahren. In traditionellen Märkten existieren häufig längerfristige und persönliche Beziehungen, die Vertrauen stiften. Anders im Internet: Dort fehlen die Institutionen, um Betrug und Missbrauch auszuschließen. Wie lässt sich verhindern, dass ein Verkäufer über eBay eine defekte Ware liefert und die Spielregeln bricht? Wie kann man Betrug ausschließen, der besonders bei Online-Märkten immer mehr um sich greift? Der Jenaer Forscher glaubt, dass Wirtschaftswissenschaftler dazu beitragen können, die virtuelle „Vertrauenslücke“ zu schließen. Er selbst beschäftigt sich zurzeit mit der Analyse und Entwicklung von elektronischen Reputationssystemen, die das Verhalten der Marktteilnehmer transparent machen. Dabei spielt, wie sich schnell zeigt, auch Fairness und Reziprozität der Marktteilnehmer eine Rolle – Verhaltensformen, die zwar dem „Homo oeconomicus“, aber nicht dem „Homo sapiens“ weitgehend fremd sind.

Axel Ockenfels ist sich bewusst, dass die Wirtschaftswissenschaftler in den Bemühungen, ihren Modellen Leben einzuhauchen, erst am Anfang stehen. „Es gibt da einen enormen Nachholbedarf. Nur langsam setzt sich der Gedanke durch, dass auch unter Ökonomen Ingenieure gefragt sind, die ihre Theorien erst im ökonomischen Windkanal testen. Wir müssen unsere Expertise einbringen und dürfen die Fragen nach intelligenten Märkten und Reputationssystemen nicht allein den Programmierern und Juristen überlassen“, sagt der Forscher.

Originalpublikationen

Alvin Roth, Axel Ockenfels, „Last-Minute Bidding and the Rules for Ending Second-Price Auctions: Evidence from eBay and Amazon on the Internet“, American Economic Review, September 2002, 92(4), 1093-1103.

Axel Ockenfels, Alvin Roth, „The Timing of Bids in Internet Auctions: Market Design, Bidder Behavior, and Artificial Agents“, Artificial Intelligence Magazine, Fall 2002, 79-87.

Gary Bolton, Axel Ockenfels, „ERC – A Theory of Equity, Reciprocity and Competition“, American Economic Review, März 2000, 90(1), 166-193.

Axel Ockenfels, „Reputationsmechanismen auf Internet-Marktplattformen: Theorie und

Weitere Informationen erhalten Sie von:

Dr. Axel Ockenfels
Max-Planck-Institut zur Erforschung von Wirtschaftssystemen, Jena
Tel.: 03641 686 – 642
Fax: 089 24434 6661
E-Mail: ockenfels@mpiew-jena.mpg.de

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Dr. Andreas Trepte Max-Planck-Gesellschaft

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