Bauteiloptimierung mit dem Taschenrechner

Nichtoptimierte Kerbformen erzeugen hohe Spannungsspitzen - die Kerbspannungen! Bei schwingender Belastung können dort Risse starten, die schließlich das Bauteil versagen lassen.

Neues Verfahren aus dem Forschungszentrum Karlsruhe vereinfacht sicheres Konstruieren

Bauteile brechen da, wo Löcher oder Verengungen, also Kerben, konstruktionsbedingt vorgegeben sind. Dieses Bauteilversagen lässt sich umgehen, indem man lokal hohe Kerbspannungen vermeidet. Wie das geht, zeigt uns die Natur. In Millionen von Jahren hat sie ein Verfahren für das Wachstum von Bäumen und Knochen optimiert. Im Forschungszentrum Karlsruhe wurde es in den letzten 15 Jahren auf die Konstruktion von Bauteilen übertragen. Die notwendigen Berechnungen erforderten bisher sehr komplexe mathematische Werkzeuge, die so genannte Finite-Elemente-Methode, sowie leistungsfähige Computer. Ein neuartiger Ansatz macht beides überflüssig: Eine optimale Bauteilform kann nun mit einem einfachen Taschenrechner in wenigen Schritten ermittelt werden. Möglich wird dies durch ein neues Verständnis der Natur der Kerbspannungen, die als einfache Biegespannungen interpretiert werden. Die Neu-Interpretation der Kerbspannung ist auch ein Thema des neuen Wissenschafts-Cartoons von Claus Mattheck „Warum alles kaputt geht – Form und Versagen in Natur und Technik“.

Kerbspannungen in mechanischen Bauteilen sind lokal hohe Spannungen, die durch die Umlenkung des Kraftflusses um eine Kerbe (ein Loch oder eine Verengung) entstehen können. Bei Belastung der Bauteile, beispielsweise durch Schwingungen, bilden sich an solchen Stellen nicht selten Risse, die oft zum Bruch des Bauteils führen. Dieses Bauteilversagen lässt sich vermeiden, indem lokal hohe Kerbspannungen durch kluge Ausformung der Kerbkontur, also eine lastgerechte Gestaltoptimierung der Kerbe, vermieden werden.

In der Natur wurde die Gestaltoptimierung in Millionen von Jahren perfektioniert: Kerbspannungen werden in Knochen oder Bäumen durch formoptimiertes Umlenken des Kraftflusses vollständig vermieden, es treten keinerlei Spannungsspitzen auf. „Dieses Verfahren haben wir der Natur abgeschaut und in den letzten 15 Jahren auf technische Bauteile übertragen“, erläutert Professor Dr. Claus Mattheck, Leiter der Abteilung Biomechanik am Institut für Materialforschung II des Forschungszentrums Karlsruhe. So wurden bisher über 80 Lizenzen für die von Mattheck und seinen Mitarbeitern entwickelten Optimierungs-Methoden, zumeist für CAO (Computer Aided Optimization) vergeben; viele deutsche Automobilfirmen optimieren damit Teile ihrer Fahrzeuge und in der Medizintechnik werden damit beispielsweise extrem haltbare Knochenschrauben und Zahnimplantate entwickelt.

CAO nutzt die Finite-Elemente-Methode, ein komplexes mathematisches Werkzeug. „Für eine sinnvolle Anwendung brauchte man bisher einen großen Computer und einen Ingenieur mit Rechnererfahrung“, so Mattheck weiter. „Und auch damit waren die Ergebnisse oft nicht leicht fertigungsgerecht aufzubereiten.“

Das soll nun anders werden: Mit einer neuen Deutung der Kerbspannungen als überlagerte Biegespannungen lassen sich Bauteile mit hoher Präzision auch mit einfachen Hilfsmitteln optimieren. „Die von außen aufgebrachten Spannungen müssen durch Querschnittsverbreiterung so abfallen, wie die Kerbspannungen krümmungsbedingt ansteigen“, erklärt Claus Mattheck. „Kerbspannungen als Folge der Krümmung der Kerbkontur werden ausgeglichen, indem der Querschnitt der Bauteile an diesen Stellen vergrößert wird.“

Damit sollte das ingenieurmäßige Standardverfahren – das Ausrunden spitzer Ecken durch Viertelkreisradien – der Vergangenheit angehören. Denn durch die Kreisradien wurde die Kerbspannung zwar verringert, aber nicht vollständig beseitigt; weiterhin war gelegentlich technisches Versagen möglich. Mit dem „Taschenrechnerverfahren“ werden nun auch kleinste Betriebe in die Lage versetzt, einfache Bauteiloptimierungen vorzunehmen.

Die bisherigen Untersuchungen und Vergleichsrechnungen deuten darauf hin, dass die mit der neuen Methode berechneten Kerbformen robuster gegen fertigungstechnische Kompromisse und damit praxisgerechter sind als die mit höherem Aufwand gefundenen CAO-Kerbkonturen. Die CAO-Methode dürfte dennoch bei komplexen 3D-Strukturen, die ohne den Einsatz der Finite-Elemente-Methode keine Spannungsberechnungen erlauben, auch künftig ihre Daseinsberechtigung haben.

Die neue Interpretation der Kerbspannungen, die einfache Möglichkeit der Bauteiloptimierung und den schadenskundlerischen Blick für die Schwachstelle im Bauteil will Professor Mattheck in seinem neuen Wissenschaftscartoon „Warum alles kaputt geht – Form und Versagen in Natur und Technik“ unters Volk bringen und zwar als Schadenskunde für alle, „… vom Klempnerlehrling bis zum Konstruktionsleiter.“

Claus Mattheck: „Warum alles kaputt geht – Form und Versagen in Natur und Technik“, Verlag Forschungszentrum Karlsruhe GmbH 2003, ISBN 3-923704-41-0. Zu beziehen bei Buchhandlung Mende in Karlsruhe: Tel.: 0721 981610, Fax: 0721 815343, E-mail: karl@mende.de.

Das Forschungszentrum Karlsruhe ist Mitglied der Helmholtz-Gemeinschaft, die mit ihren 15 Forschungszentren und einem Jahresbudget von rund 2,1 Milliarden Euro die größte Wissenschaftsorganisation Deutschlands ist. Die insgesamt 24 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Helmholtz-Gemeinschaft forschen in den Bereichen Struktur der Materie, Erde und Umwelt, Verkehr und Weltraum, Gesundheit, Energie sowie Schlüsseltechnologien.

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Inge Arnold idw

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