Psychosomatik-Kongress in Mainz: Volkskrankheiten im Fokus der Psychosomatik

Über 1000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer werden dazu erwartet. Die diesjährige Tagung ist dem Thema Psychotherapeutische Forschung und Psychosomatische Praxis gewidmet. Veranstalter und Gastgeber des Kongresses ist die Klinik und Poliklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Universitätsklinikum Mainz.

Vernichtender Schmerz, Todesangst und häufig auch Atemnot, das sind Symptome eines Herzinfarkts. Der Betroffene bekommt das akut Lebensbedrohliche dieser Situation oft hautnah mit. Das bedeutet eine psychische Extrembelastung, deren Gefahrenpotenzial im Hinblick auf eine längerfristige seelische Traumatisierung durchaus mit Erfahrungen von Krieg oder sexueller Gewalt vergleichbar ist.

So leidet auch mancher Herzinfarktüberlebende an einer so genannten posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS), gekennzeichnet unter anderem durch angstvolle, sich aufdrängende Erinnerungen an das lebensbedrohliche Geschehen, Vermeidungsverhalten und nervöse Unruhe.

Prof. Karl-Heinz Ladwig, München, berichtet über eine aktuelle Studie, die zeigt, dass Patienten, die infolge ihres Herzinfarkts eine PTBS davontrugen, ein dreieinhalbmal höheres Sterberisiko aufweisen als Patienten ohne PTBS. „Wir müssen den Symptomen einer PTBS bei diesen Patienten in Zukunft viel mehr Aufmerksamkeit widmen“, betont Ladwig als entscheidende Konsequenz dieser Ergebnisse. Den betroffenen Patienten müsse mehr Hilfe angeboten werden, bei Bedarf auch eine psychotherapeutische Begleitung.

Zusammenspiel von Depression und Herzerkrankung

Dass zwischen Herzerkrankungen und psychischen Erkrankungen enge Wechselwirkungen bestehen, bestätigt Prof. Christoph Herrmann-Lingen, Göttingen. So haben depressive Herzinfarktpatienten ein doppelt so hohes Risiko,

innerhalb von zwei Jahren nach dem Infarkt zu versterben, als nichtdepressive. Und oft scheine die Psyche bereits bei der Entstehung von Herzerkrankungen beteiligt zu sein. Depressive Erkrankungen aber auch unterschwellige Depressivität erhöhen Herrmann-Lingen zufolge das Risiko für eine Koronare Herzkrankheit (KHK)1 und für Herzinfarkte.

„Im Rahmen der bundesweit durchgeführte Behandlungsstudie SPIRR-CAD (A Stepwise Psychotherapy Intervention for Reducing Risk in Coronary Artery Disease) gehen wir nun unter anderem der Frage nach, ob eine spezielle Psychotherapie bei KHK-Patienten depressive Stimmung reduziert und einen Einfluss auf Persönlichkeitszüge hat, die Depression und plötzlichen Herztod begünstigen,“ ergänzt PD Dr. Christian Albus, Köln.

„Besser leben hilft Krebspatienten, länger zu leben“

„Auch bei Krebspatienten ist es besonders wichtig, psychische Erkrankungen früh zu erkennen und adäquat zu behandeln“, erklärt Prof. David Spiegel, Stanford, USA. Spiegel zufolge wird das Befinden des Patienten, das häufig durch Hoffnungslosigkeit, Erschöpfung oder Schlafstörungen geprägt ist, oft vorschnell der Krebserkrankung zugeschrieben. Dabei wird eine manifeste Depression oder Angststörung bei diesen Patienten aber oft nicht erkannt.

Etwa die Hälfte aller Krebspatienten sei aber von einer solchen psychischen Erkrankung betroffen und für manche bedeutet die Diagnose Krebs oder das

Leiden unter der Krankheit und ihrer Behandlung eine so starke psychische Belastung, dass sie in der Folge ein PTBS entwickeln. Psychotherapie kann die Lebensqualität von Krebspatienten und ihrer Angehörigen entscheidend verbessern.

Jüngste Studien der Arbeitsgruppe von Spiegel zeigen zudem, dass Psychotherapie die Kooperation der Patienten mit ihren Ärzten und damit die Akzeptanz sehr belastender onkologischer Behandlungen, wie Chemotherapie,

Strahlentherapie oder Operationen, verbessern kann.

Nachdem jahrelang die These vertreten wurde, dass Psychotherapie zwar wichtige Verbesserungen der Lebensqualität bei Krebs erreichen kann, nicht aber eine Lebenszeitverlängerung, argumentiert Spiegel vorsichtig aber eindeutig wieder in diese Richtung: „Wenn man Krebs-Patienten hilft, besser zu leben, kann ihnen das auch dabei helfen, länger zu leben.“ Entsprechende Hinweise aus Studien müssen aber noch weiter überprüft werden.

Neue Leitlinien zum chronischen Unterbauchschmerz

Ebenfalls eine sehr weit verbreitete Erkrankung, die oft falsch eingeordnet wird, ist der chronische Unterbauchschmerz bei Frauen. „Etwa jede achte Frau ist von solchen monatelang andauernden und quälenden Schmerzen betroffen“, berichtet Dr. Friederike Siedentopf, Berlin. Bei einem Teil der Patientinnen stehen die Beschwerden in Verbindung mit konkreten körperlichen Veränderungen,
wie etwa Verwachsungen im Bauchraum, entzündlichen Erkrankungen der Sexualorgane oder Darmerkrankungen. Bei etwa 60-80% aller Patientinnen liegt eine somatoforme Schmerzstörung zugrunde, das heißt eine Erkrankung, die psychisch bedingt ist und sich in Form von Schmerzen äußert. 40-60% aller Patientinnen haben in der Vergangenheit gewaltsamen und ein Teil davon auch sexuellen Missbrauch erfahren. Auf Initiative der Deutschen Gesellschaft für Psychosomatische Frauenheilkunde und Geburtshilfe (DGPFG) wurden von einer interdisziplinären Konsensusgruppe Leitlinien zum chronischen Unterbauchschmerz erarbeitet, die nun auf dem Psychosomatikkongress in Mainz erstmalig vorgestellt werden. „Im Interesse unserer Patientinnen hoffen wir, durch die Darstellung der komplexen Zusammenhänge zu einer differenzierteren Indikationsstellung beizutragen und unnötige operative Eingriffe zu vermeiden“,

betont Siedentopf, die als Vizepräsidentin der DGPFG federführend an der Formulierung der Leitlinien beteiligt ist. Die Leitlinien geben unter anderem auch eine umfassende Übersicht über den aktuellen Forschungsstand zur Wirksamkeit der Psychotherapie bei chronischen Unterbauchschmerzen, die mittlerweile mit hoher methodischer Qualität nachgewiesen werden konnte.

Sich verlierendes, entgleitendes Spielverhalten

Inwiefern die exzessive Nutzung bestimmter Computerspiele Gewaltexzesse wie letzte Woche in Winnenden begünstigen kann, beschäftigt die Medien in hohem Maße. Aus Sicht der psychosomatischen und psychotherapeutischen Forschung ist darauf aber keine einfache Antwort möglich, schon gar nicht, ohne die komplexen psychischen und sozialen Bedingungen zu kennen, die einem solchen konkreten Ereignis vorausgegangen sind. „Allerdings zeigen Jugendliche und junge Erwachsene immer häufiger ein sich verlierendes, entgleitendes und in
Extremfällen psychopathologisch auffälliges Online-Nutzungsverhalten in den virtuellen Räumen des Internets oder in Online-Spielwelten“, berichtet Dr. Klaus Wölfling, psychologischer Leiter der vor etwa einem Jahr gegründeten
Ambulanz für Spielsucht am Kompetenzzentrum Verhaltenssucht der Universitätsmedizin Mainz. Unbestritten ist dabei, dass die Betroffenen sich durch ihr Suchtverhalten zunächst einmal in hohem Maße selbst schädigen.

„Essen, Hygiene, Schule oder Beruf und Partnerschaft – alles wird nebensächlich – das Spiel dominiert in extremer Weise den Alltag“, sagt Wölfling. Parallelen zu anderen – auch substanzbezogenen – Suchterkrankungen sind offenkundig.

Prof. Manfred E. Beutel, Direktor der Klinik und Poliklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie der Universitätsmedizin Mainz, Tagungsleiter des diesjährigen Psychosomatikongresses und Vorsitzender des DGPMLandesverbandes Rheinland-Pfalz, bestätigt: „Die Computerspielsucht

ist als ein eigenständiges Krankheitsbild anzusehen, das wir der Gruppe der Verhaltenssüchte zuordnen können“. Beutel weist auf die Notwendigkeit klarer Diagnosekriterien hin, um Risikogruppen für Internet- und Computerspielsucht besser einzugrenzen und wissenschaftlich fundierte Behandlungen zu entwickeln. Ziel sei außerdem die Anerkennung des Krankheitsbildes und Übernahme in die Regelversorgung.

Weg in die Ambulanz – erster Schritt aus der Sucht

„Wenn die Patienten den Kontakt zu uns aufnehmen und auch in die Ambulanz kommen, ist ein erster und wichtiger Schritt getan“, erklärt Wölfling. Durch die psychotherapeutischen Interventionen erlernt die große Mehrzahl der Patienten innerhalb der sechsmonatigen Gruppentherapie wieder einen funktionalen Umgang mit dem Computer. Ebenso verbessert sich die psychische Lebensqualität der Betroffenen. Auch die Initiative zur „realen“ sozialen Kontaktaufnahme sowie das Spektrum des aktiven Freizeitrepertoires der Betroffenen nehmen wieder zu. Geplante Folgeuntersuchungen nach sechs und zwölf Monaten werden Wölfling zufolge zeigen, ob diese Effekte langfristig und nachhaltig bestehen bleiben.

Nähere Informationen und ausführliche Presseunterlagen
zum Kongress von DKPM und DGPM bei
Dr. med. Thomas Bißwanger-Heim
Gerstenhalmstr. 2
79115 Freiburg
Tel. 0761 / 488 2 777 oder 0170 24 04 992
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Fax 0761 / 488 2 778

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Petra Giegerich idw

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