Leipziger Kongress zur Ökonomisierung der Wissensgesellschaft

„Generell gibt es eine Tendenz, sich an Zahlen zu orientieren und darüber Kriterien in Bildung und Wissen, die nur qualitativ messbar sind, zu vernachlässigen“, erklärt Prof. Dr. Ralf Diedrich, Wirtschaftswissenschaftler an der Universität Leipzig.

Er ist Leiter des von der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Leipzig ausgerichteten Kongresses „Ökonomisierung der Wissensgesellschaft“, der von der These ausgeht, dass im 21. Jahrhundert Wirtschaft und Wissenschaft in einer untrennbaren gegenseitigen Abhängigkeit miteinander verbunden sind.

Bei dem fakultätsübergreifenden Kongress wird die Frage aufgeworfen, wie viel Wirtschaft die Wissenschaft braucht und wie viel Wirtschaft die Wissenschaft überhaupt verträgt. Die von Diedrich beschriebene Orientierung an Zahlen macht auch vor Universitäten, Schulen, Bibliotheken und Forschungsinstituten nicht halt: Immer stärker wird die Wissensgesellschaft nach Maßgabe herkömmlicher ökonomischer Kriterien gestalten, wobei unklar ist, ob dies überhaupt zweckmäßig ist. Deshalb ist zu diskutieren, welche Konzepte aus der Welt der Wirtschaft möglicherweise auf Funktionen und Institutionen der Wissensgesellschaft anwendbar sind und welche nicht.

So warnt etwa der als Referent eingeladene Prof. Dr. Matti Meri vor der Gefahr einer Ökonomisierung der Lehrerausbildung. „Man gibt genaue Richtlinien vor, wie ein guter Unterricht ablaufen sollte. Um die Lehrerbildung weiterzuentwickeln und gleichzeitig auch die Qualität des Unterrichts an Schulen zu verbessern, sollte jedoch verstärkt über die Kernkompetenzen der Lehrer gesprochen werden“, sagt der finnische Bildungsexperte, der als „Vater“ der Schulleistungsuntersuchung PISA gilt.

Der Wissenschaftstheoretiker Prof. Dr. Jürgen Mittelstraß weist darauf hin, dass Wissen zunehmend als handelsfähige Ware entdeckt wird. „Wissen wird zu einem Gut wie jedes andere.“ Mittelstraß wird in seinem Grundsatzreferat der Frage nachgehen, „ob mit der Ökonomisierung des Wissens nicht wesentliche Einsichten in die Rolle von Bildung und Wissenschaft, damit auch in die Rolle der Universität, verloren gehen.“

Da auch die Forschung einen maßgeblichen Teil der Wissensgesellschaft ausmacht, steht auch sie im Spannungsfeld von Wissenschaft und Wirtschaft. „Gekaufte“ Forschungsergebnisse würden nicht nur die betreffenden Institutionen und Personen diskreditieren, sondern auch dem Auftraggeber zumindest mittel- und langfristig schaden, schreibt Prof. Dr. Frank Emmrich, Direktor des Instituts für Klinische Immunologie der Universität Leipzig, in einem Beitrag zum Kongress.

Nach Ansicht Prof. Dr. Wolf Rolf Dubs von der Universität St. Gallen sind immer weniger Menschen zu einer sachlichen Beurteilung von Problemen in der Unternehmensführung und in der Wirtschaftspolitik fähig, weil ihnen das dafür notwendige Wissen fehlt. Da die Entwicklungen in der Wirtschaft aber jeden betreffen, führt dies „zu einer steigenden Polarisierung in der Gesellschaft und bedroht die Demokratie.“

Ziel des Kongresses sei es, so Diedrich, eine Diskussion über den Stellenwert ökonomischer Kriterien bei der Gestaltung der Wissensgesellschaft anzustoßen und einen Beitrag zu einer differenzierteren Wahrnehmung teilweise pseudoökonomischer Argumente zu leisten.

Zeit: 3. bis 5. Dezember 2009
Ort: Universität Leipzig
Campus Augustusplatz
04109 Leipzig
Die Kongress-Pressekonferenz findet am Freitag, 4. Dezember 2009, um 12.30 Uhr, im Seminarraum 2 im 2. Obergeschoss des Institutsgebäudes, Grimmaische Straße 12, 04109 Leipzig statt.

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Tobias D. Höhn idw

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