Smart Industry – Mit radikalen Innovationen Märkte gestalten

Das stellt Unternehmen vor neue Herausforderungen: Sie sind mit einer sich stetig verändernden Fülle neuer Materialien konfrontiert und müssen die industrialisierte Massenproduktion auf kundenindividuelle Fertigung umstellen sowie über neue Geschäftsmodelle und Wertschöpfungsprozesse nachdenken.

Angesichts dieser Entwicklungen diskutierte das Strategieberatungsunternehmen Z_punkt am 22. November bei der zweiten Konferenz der Reihe „Rethinking Business“ mit Experten aus Industrie, Wissenschaft und Design die Potenziale neuer Materialien und individueller Produktion und appelliert an eine ganzheitliche Herangehensweise bei Produkt- und Prozessinnovationen.

Produkte von morgen im Kontext von „Smart Industry“ und „Fabbing“

Andreas Neef, Geschäftsführer von Z_punkt, schlägt einen erweiterten Blick auf das Thema „Produkte von morgen“ vor. Er sieht die Notwendigkeit, das heute vorherrschende Denken in Trends um einen systemischen Innovationsansatz zu erweitern. „Der enge Blick aus der Trendperspektive heraus führt meist nur zur schrittweisen Verbesserung und Weiterentwicklung von bereits vorhandenen Produkten und erkennt nicht konsequent die Chancen zur Verwirklichung radikal neuer Angebote und Geschäftsmodelle“, ist Neef sich sicher. Zwei dynamische Kontexte werden aus seiner Sicht eine wesentliche Rolle für die Produktwelt der Zukunft spielen: „Smart Industry“ und „Fabbing“. Ersteres ist seine Bezeichnung für eine Art des Wirtschaftens, die sich immer stärker auf die Herstellung individueller Produkte einstellen muss, indem sie dezentral produziert, individuelle Kundenbedürfnisse befriedigt und Produkt und Service intelligent verknüpft. Durch den Einsatz neuer Materialien wird die „Smart Industry“ in der Lage sein, die Eigenschaften von Produkten bis auf die kleinste atomare Ebene zu definieren. Dies erfordert aber eine neue Tiefe des Designprozesses. Im „Fabbing-Kontext“ entsteht gleichzeitig eine neue Wirtschaftsform, in der Konsumenten immer stärker die Werkzeuge an die Hand bekommen, ihre eigenen Produktideen eigenständig zu verwirklichen.

Nachhaltigkeit mit neuen Materialien

Dr. Volker Wagner, Technologieberater der VDI Technologiezentrum GmbH, stellte in seinem Vortrag Beispiele für funktionale und intelligente Materialien vor und zeigte das Potenzial neuer Materialien für Umweltschutz und regenerativer Energiegewinnung auf. „Die 'elektroaktiven Polymere', eine noch junge Materialklasse, bieten interessante Möglichkeiten für die Gewinnung elektrischer Energie aus regenerativen Energiequellen wie Wind- und Wellenkraft.

Forscher arbeiten darüber hinaus bereits an der Vision der 'Morphing Materials', deren Form sich großflächig über elektrische Impulse steuern lässt. Solche Materialien werden es ermöglichen, die Form eines Flugzeugflügels an das Flugmanöver oder die jeweilige Flugphase anzupassen“, erläuterte Wagner. Darüber hinaus habe die Kommerzialisierung der selbst reinigenden Materialien in den letzten Jahren deutliche Fortschritte gemacht. Durch sie werden Textilien schmutzresistent und das Reinigen von Bädern oder Fenstern überflüssig. Eine visionäre Weiterentwicklung auf diesem Gebiet: die Konstruktion selbst heilender Materialien. Integrierte Mikrokapseln sorgen hier dafür, dass bei Rissbildung Klebstoffe freigesetzt werden und so der Bruch automatisch gekittet wird. „Besonders interessant ist das für den Flugzeug- und Fahrzeugbau, bei dem stark belastete Konstruktionsmaterialien eingesetzt werden“, so Wagner.

Design als Mittler zwischen Technologie und Mensch

Die Industriedesignerin Prof. Anke Bernotat von der Universität Duisburg-Essen stellte die Vermittlerrolle heraus, die Gestalter im Produktentwicklungsprozess einnehmen: Indem sie intelligente Anwendungen und Funktionen aufspüren, schlagen sie die Brücke zwischen Technologie und Mensch. „Es entstehen immer mehr und immer unterschiedlichere Materialien, die ständig neue Eigenschaften übernehmen können und sollen. Gleichzeitig wird ein sinnvoller und nachhaltiger Gebrauch von Materialien elementar“, sagt Bernotat. Der Industriedesignerin kommt es darauf an, mehr Diskussion und interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Forschung, Wirtschaft und Gesellschaft zu fördern: „Die Neuentwicklung von Materialien muss stärker auf Praxisbezug, Langlebigkeit, Nebenwirkungen und Risiken überprüft werden.“

Individuelle Produktion: Auf dem Weg zu personalisierten Produkten

Dr. Sigurd Buchholz von Bayer Technology Services erläuterte am Beispiel von Spezialprodukten und des Gesundheitsmarkts die Herausforderungen der personalisierten Produktion: Dank ausgereifter Diagnostik werden zum Beispiel Medikamente in Zukunft viel genauer auf den einzelnen Menschen angepasst werden. Immer kleinere Mengen und immer speziellere Präparate – das stellt die Chemie- und Pharmabranche vor die Herausforderung, individuelle Produkte herzustellen und trotzdem wirtschaftlich zu produzieren. „Der Schlüssel liegt in der Entwicklung von innovativen Herstellungsprozessen, die sich durch flexibles Prozessdesign, modularen Aufbau und Delokalisation auszeichnen“, so der Technologieexperte. Mikroreaktions- und Mikrosystem-techniken lassen es womöglich bald zu, dass in Arztpraxen kleine Minifabriken stehen, mit deren Hilfe das personalisierte Medikament in der richtigen Zusammensetzung und Dosis den Patienten direkt verabreicht werden kann.

Wer braucht in Zukunft noch Waschmittel?

Was passiert mit der Reinigungsmittelindustrie, wenn Roboter oder externe Reinigungsservices das Putzen und Waschen zu Hause ersetzen, wenn Oberflächen und Textilien nicht mehr schmutzig werden und wenn sich jeder zu Hause dank „Personal Fabrication“ sein Geschirr jeden Tag selbst ausdruckt? Mit solchen und ähnlichen Fragen beschäftigt sich Dr. Matthias Lüken bei Henkel. „Reinigungsmittel werden nicht überflüssig, wir werden aber neue Business-Modelle entwickeln und auch geschäftsfremde Bereiche in unsere Innovationsprozesse einbeziehen“, sagt der Produktentwickler. Zum Beispiel müsse man mehr über Kooperationen, Partner-Konzepte und Gemeinschaftsprojekte mit anderen Unternehmen nachdenken. Das könnte zum Beispiel die Zusammenarbeit mit externen Reinigungsservices sein oder ein spezielles Mittel für die selbst reinigenden Stoffe eines Textilherstellers. Interessant findet Lüken auch die Frage, was nach der Benutzung mit selbst gefabbtem Geschirr passiert: Essensreste sind sicherlich auch dann nicht erwünscht, wenn der benutzte Teller direkt eingeschmolzen und neu ausgedruckt wird.

Die friedliche Revolution der 3-D-Drucker

3-D-Drucker eröffnen für Industrie und Konsumenten völlig neue Möglichkeiten und könnten den Produktionsprozess schon bald revolutionieren, ist sich der Wissenschaftsautor Niels Boeing sicher. Noch sind Fabber Spezialprodukte, die laut des Wohlers-Reports, der als inoffizieller Branchenreport gilt, einen jährlichen Umsatz von 1 Mrd. Euro erwirtschaften. Doch schon bald könnte die Technologie, die bisher in der Industrie für das schnelle Fertigen von Prototypen eingesetzt wird, in Privathaushalten anzutreffen sein. Nächstes Jahr soll ein 3-D-Drucker des amerikanischen Herstellers Desktop-Factory für 5.000 US Dollar auf den Markt kommen. „In den Händen neugieriger und kreativer Bürger könnte Fabbing dazu führen, dass Personal Fabrication das Produktionsmittel der 'Neuen Arbeit' wird, wie sie der Philosoph Frithjof Bergmann entworfen hat. In dieser Vision werden Lohnarbeiter zu selbst bestimmten High-Tech-Produzenten“, erläuterte Boeing das Szenario der „Technischen Demokratie“. Mit Hilfe von 3-D-Druckern für das Volk könnte nicht nur die Kluft zwischen Konsument und Produzent überwunden werden, sondern ebenfalls der Unterschied zwischen hoch industrialisierten und wenig entwickelten Gesellschaften verringert werden. Die Chancen der „alten“ Industrie: Werkstoffe, Expertise – also neue Dienstleistungen

– und Maschinen sowie Teile werden weiterhin gebraucht.

Zwei 3-D-Drucker live und ein Nano-Roboter auf wichtiger Mission

Im eigens für die Konferenz eingerichteten Fab-Lab stellte Z_punkt den Selbstbau-3-D-Drucker von Fab@Home vor – neben einem in der Industrie bereits etablierten Gerät, das erheblich teurer und größer ist. Das Fab@Home-Projekt der Cornell University in Ithaca im US-Bundesstaat New York bietet im Internet eine komplette technische Dokumentation des Druckers samt Steuersoftware an. Sämtliche technischen Details sind dabei nach dem Prinzip der Open-Source-Software frei verfügbar. Die Materialkosten für den Bausatz belaufen sich auf etwa 2000 Dollar. Außerdem stellte Professor Kurt Mehnert von der Universität Duisburg-Essen die Ausstellung „Produkte mit Gespür“ vor. Ein zukünftiges Produkt, das eindrucksvoll die Bandbreite neuer Technologien verdeutlicht, ist der von Studenten des Fachbereichs Industrial Design entwickelte „Leichentauchsuchroboter“. Mit Hilfe von Nanotechnologie wittert das Gerät völlig eigenständig die Geruchsstoffe von Leichen in Gewässern, überträgt Live-Bilder über eine eingebaute Kamera und findet spielend in kürzester Zeit, wonach Spürhunde sehr lange und manchmal vergeblich suchen.

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Silke Schneider presseportal

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