Wissenschaftsforum Chemie 2007: Harvard-Chemiker und Baeyer-Preisträger setzen erste Akzente

„Ich halte George Whitesides für einen der brilliantesten Denker in der Chemie“, freut sich GDCh-Präsident Professor Dr. Dieter Jahn, der das Wissenschaftsforum eröffnen wird, auf diesen Vortrag. „Whitesides gehört zu den Chemikern, die es verstehen, der Allgemeinheit klar zu machen, wie wichtig und nützlich viele der Entdeckungen aus den Chemielabors sind.“

Warum für ihn denn die Chemie so zentral für die Energiefrage sei, wurde Whitesides kürzlich in einem Interview gefragt. Seine einfache Antwort war, dass von der Verbrennung von Öl über die Batterie bis zur Solarzelle chemische Vorgänge und neue Materialien im Zentrum stünden. Heute gehe es aber nicht nur darum, Energie zu erzeugen. Wegen der Klima- und Rohstoffprobleme gehe es um existentielle Fragen für das Leben auf der Erde, antwortete Whitesides. „Wir können als Lösung nicht einen Mix aus bisher bekannten Technologien anbieten. Wir müssen neue Ideen haben – und zwar nicht nur in der Ingenieurtechnik.“ Die Nutzung der Sonnenenergie in der Photosynthese der Pflanzen sei trotz allen Enthusiasmus der Wissenschaftler noch nicht ausreichend verstanden, um daraus derzeit technische Prozesse mit hoher Effizienz abzuleiten. Hier gäbe es noch ein weites Feld für Chemiker mit vielen neuen Ideen.

Große Probleme gibt es, laut Whitesides, auch beim Biosprit – nicht nur weil schrumpfende Flächen für Nahrungsmittel-Grundstoffe die Preise für Lebensmittel erhöhen. Die Prozesskosten von der Ernte der „Energiepflanzen“ bis hin zum nutzbaren Energieträger sind derzeit noch immens – die Ausbeute, wie der Chemiker das Verhältnis vom eingesetzten Rohstoff zum Endprodukt nennt, erschreckend niedrig. Zu berücksichtigen ist auch, dass es regionale und saisonale Unterschiede gibt, und es stellt sich die Frage, wie die Energieverteilung sinnvoll möglich wird – nur dezentral?

Die richtigen Strategien für die Energieversorgung der Zukunft werden Zeit brauchen sowie hervorragende Naturwissenschaftler und Ingenieure. Hier sind auch die Chemiker gefragt, deren Grundlagenforschung auf den ersten Blick den „Nichtchemikern“ unbedeutsam erscheint. Wolfram Sander gehört zu den Forschern, deren Grundlagenarbeit von der Kommission der GDCh für die Vergabe der Adolf-von-Baeyer-Denkmünze als sehr wichtig eingestuft wurde. Baeyer, Nobelpreisträger von 1905 u.a. für seine Synthesen des heute noch populären Farbstoffs Indigo und anderer wichtiger Farbstoffe, war ein exzellenter Forscher auf dem Gebiet der organischen Chemie. Der Organiker Sander befasst sich heute mit ganz anderen Fragestellungen, nämlich mit der Aktivierung und den Reaktionen von molekularem Sauerstoff, mit Carbokationen und elektrophilen Carbenen, mit Polyradikalen, reaktiven Silicium-Spezies sowie nichtkovalenten Reaktionen. Ziel seiner Arbeiten ist es, Strukturen und Eigenschaften neuer Produkte chemischer Synthesen und auch den Ablauf dieser Synthesen vorauszusagen. Von besonderer Bedeutung sind dabei die möglichen Zwischenstufen solcher Reaktionen. Dazu hat er mit seinem Arbeitskreis wichtige hochreaktive Zwischenstufen hergestellt: das Phenyl-Kation, verschiedene Dehydroaromaten sowie neue Carbene und Nitrene. Sanders wendet modernste spektroskopische Messtechniken und quantenchemische Berechnungen an, auf die die Chemiker vor einhundert Jahren noch nicht zurückgreifen konnten.

Ein interessantes Teilgebiet seiner Arbeiten sind nichtkovalente, „lockere“, Wechselwirkungen, die u.a. von großer Bedeutung sind, um das Verhalten der Bausteine des Lebens, der Aminosäuren, Peptide und Proteine, also die Lebensprozesse, zu verstehen. Proteine ändern fortwährend ihre Struktur oder sie binden an andere Stoffe, um diese beispielsweise zu anderen Bestimmungsorten zu transportieren. Diese Veränderungen gehen unvorstellbar schnell vor sich und sind nur möglich, weil die kurzfristigen Bindungen nichtkovalent, also nur wenig stabil, sind. Solche schwachen Wechselwirkungen zwischen Molekülen bestimmen auch die Strukturen anderer flüssiger wie fester Materie. Mit der Erforschung nichtkovalenter Wechselwirkungen arbeitet Sander an der Schnittstelle zwischen Chemie, Biochemie und Materialwissenschaften.

Sander, der in seiner Heimatstadt Heidelberg Chemie studierte und dort auch, nach einem Postdoc-Aufenthalt an der University of California, habilitierte, erhielt nach einer Professur an der Universität Braunschweig 1993 den Ruf auf den Lehrstuhl für Organische Chemie an der Universität Bochum.

Die Gesellschaft Deutscher Chemiker (GDCh) gehört mit über 27.000 Mitgliedern zu den größten chemiewissenschaftlichen Gesellschaften weltweit. Alle zwei Jahre veranstaltet sie an wechselnden Orten in Deutschland ihre Jahrestagungen, 2007 erstmals unter dem Titel Wissenschaftsforum und erstmals an der Ulmer Universität. Wie auf allen Jahrestagungen werden auch auf dem Wissenschaftsforum 2007 von der GDCh zahlreiche Ehrungen vorgenommen und Preise verliehen. Die August-Wilhelm-von-Hofmann-Denkmünze, eine Goldmedaille, wird seit 1903 – damals von der Deutschen Chemischen Gesellschaft, eine der beiden Vorgängerorganisationen der GDCh – vorwiegend an ausländische Chemikerinnen und Chemiker verliehen, in diesem Jahr zum 43. Mal. Die Adolf-von-Baeyer-Denkmünze, ebenfalls eine Goldmedaille, verbunden mit einem Preisgeld von zZt. 7.500 Euro, wird in Ulm zum 46. Mal seit 1911 – damals vom Verein Deutscher Chemiker – vergeben.

Media Contact

Dr. Renate Hoer idw

Weitere Informationen:

http://www.gdch.de

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