High-Tech für die Biotechnologie bringt Wissenschaftler aus 16 Nationen nach Reutlingen

Die Methode der Wahl zur Messung elektrischer Aktivität in Zell- und Gewebepräparaten ist die Mikroelektroden-Array (MEA)-Technik. Diese Technik gehört heute zum elektrophysiologischen Standardinstrumentarium und wird in der Forschung und in der industriellen Wirkstoffentwicklung eingesetzt.

Auf Einladung des NMI Naturwissenschaftlichen und Medizinischen Instituts Reutlingen treffen sich vom 4.-7. Juli 150 Wissenschaftler aus 16 Nationen zum 5. Internationalen Anwendertreffen.

Seit dem ersten dieser Treffen, das 1998 ebenfalls vom NMI veranstaltet wurde, haben sich diese alle zwei Jahre stattfindenden Konferenzen zu einem wissenschaftlich hochwertigen Treffpunkt für Entwickler und Anwender der MEA-Technik aus universitären und industriellen Labors entwickelt. Die interdisziplinären Konferenzen bieten einen umfassenden Überblick über alle aktuellen Aspekte der MEA-Technik und ihrer Anwendung in der Grundlagenforschung und industriellen Medikamentenentwicklung.

Mitveranstalter ist die BIOPRO Baden-Württemberg GmbH. Anlässlich des 5. Treffens gibt BIOPRO einen Konferenzband heraus. In dieser BIO¬PRO edition sind alle 100 Vorträge und Posterpräsentationen zusammengefasst.

Anwendungen von Mikroelektroden-Arrays in der Grundlagen- und Medikamentenforschung.

MEAs sind ideale Biosensoren zur Messung akuter und chronischer Wirkungen von Medikamenten und Giftstoffen. Sie ermöglichen funktionelle Studien mit Zell- und Gewebepräparaten unter Bedingungen, die normalen und krankheitsbedingt veränderten physiologischen Zuständen entsprechen.

MEAs bestehen aus einer Vielzahl von mikroskopischen Elektroden auf der Oberfläche eines Glasplättchens, auf dem Zellen kultiviert werden. Die Elektroden ermöglichen die elektrische Stimulation und gleichzeitige Messung der elektrischen Aktivität einer Vielzahl von Zellen. Dadurch lässt sich die räumlich-zeitliche Ausbreitung der Nervenzellaktivität und das Reizantwortverhalten in natürlichen Netzwerken unter Einfluss verschiedener Reize (elektrisch, chemisch) untersuchen. Die häufigsten Anwendungen sind Ableitungen von frischen Schnittpräparaten und organtypischen Kulturen von Rückenmark und Hirnarealen. Ebenso können Zellkulturen des Nervensystems und Herzmuskelzellen verschiedener Spezies verwendet werden. Diese Modellpräparate lassen sich bei der Wirkstofffindung für Krankheiten wie Epilepsie, Ischämie, Schizophrenie, Degeneration und Regeneration sowie Herz-Kreislauf Erkrankungen einsetzen.

Seit ihrer Einführung vor 30 Jahren wurde die Technologie ständig weiterentwickelt und fand ihren Weg in viele biologische Labors. Seit wenigen Jahren wird der Technologie verstärkt von der Pharmaindustrie Interesse entgegengebracht, getrieben durch die Notwendigkeit, ausgewählte Substanzen hinsichtlich ihrer Wirkung und Nebenwirkung auf Ionenkanäle, die in fast allen Zellen unseres Körpers vorkommen, zu untersuchen.

Hauptredner stellen krankheitsbezogende Anwendungen der MEA-Technologie und neueste Entwicklung vor.

Die Konferenz wird von Izak Kehat vom Technion, dem israelischen Technologieinstitut in Haifa eröffnet. Er berichtet über zelltherapeutische Behandlungsstrategien mit Stammzellen zur Behandlung von Fehlfunktionen des Herzens. Bei der Entwicklung dieses Ansatzes spielen MEAs eine wichtige Rolle, da sie die funktionelle Untersuchung der aus Stammzellen gewonnenen Herzmuskelzellen ermöglichen.

Hagai Bergman von der Hebrew Universität in Jerusalem wird über die Verwendung von MEAs bei seiner Forschung über normale und krankhaft veränderte Aktivitätsmuster von Nervenzellverbänden berichten. Seine Forschungsergebnisse helfen, die Parkinson- und andere Bewegungskrankheit besser zu verstehen.

Die Verarbeitung von Information in neuronalen Netzwerken steht auch im Mittelpunkt des Vortrages von Michael Berry von der Universität von Princeton, USA. Er wird über seine Forschung zur Kodierung von Sehinformationen in der Netzhaut berichten.

Der Pionier in der Entwicklung von Techniken zur Kultivierung von Hirnpräparaten auf MEAs, Luc Stoppini von der britischen Firma Capsant Neurotechnologies Ltd in Southampton, wird über aktuelle Entwicklungen und Anwendungen dieser Techniken in der industriellen Forschung über Erkrankungen des zentralen Nervensystems wie Alzheimer, Epilepsie und Schlaganfall berichten.

Im industriellen Umfeld spielt die Automatisierung von Techniken für die Wirkstoffsuche eine grosse Rolle. Über Anforderungen, die sich daraus für elektrophysiologische Methoden ergeben, spricht Rainer Netzer von der Evotec OAI AG in Hamburg. Eine der wichtigsten elektrophysiologischen Methoden zur Untersuchung von Ionenkanälen, die Patch-Clamp-Methode, wurde inzwischen mit mikrosystemtechnischen Mitteln automatisert. Hierüber spricht Niels Fertig von der Fa. Nanion Technologies in München.

Die Grundlagen der Funktionsweise und Fertigung von Computerchips war der Ausgangspunkt der Entwicklung von neuroelektronischen Schnittstellen mit Kondensatoren und Transistoren. Der Begründer dieses technischen Ansatzes, Peter Fromherz vom Max Planck-Institut für Biochemie in Martinsried/München wird über die grundlegenden Mechanismen solcher Zellsensoren berichten.

Das NMI Naturwissenschaftliche und Medizinische Institut ist einer der Pioniere der MEA Technologie.

Miniaturisierte Methoden haben in der Biotechnologie und in der Pharmaindustrie eine große Bedeutung erlangt. Zeitaufwändige Laborprozesse lassen sich durch Miniaturisierung und Integration automatisieren. Eine besondere Bedeutung hat für das NMI die Elektrophysiologie, die in der Wirkstoffentwicklung eine immer größere Rolle spielt. Beispiele der Entwicklungen am NMI sind die MEA Technik und die Automatisierung des Patch-Clampings.

Das NMI ist einer der Pioniere der MEA-Technik. Seit über 10 Jahren wird diese Technik laufend weiterentwickelt, vereinfacht und zunehmend automatisiert. Besondere Elektrodenmaterialien ermöglichen sehr rauscharme Messungen. Die Entwicklungen gehen dahin, durch Einsatz moderner Fertigungsprozesse und die Verkleinerung der Substrate den Aufwand der Herstellung zu reduzieren und neue Anwendungspotentiale zu eröffnen.

Seit Anfang an dabei war die Multi Channel Systems GmbH, Reutlingen, die elektronische Messsysteme und Software entwickeln und die am NMI hergestellten MEAs weltweit vertreibt. Multi Channel Systems ist mit je nach Region bis zu 70 % Marktanteil der weltweit bedeutenste Anbieter dieser Technologie.

Die MEA-Technologie war auch die technologische Basis für eine Lösung für das automatisierte Patch-Clamping und eine Firmengründung. Eine chipbasierte Lösung wurde vom NMI patentiert. Die Start-Up Firma Cytocentrics AG hat das Konzept umgesetzt und entwickelt einen Automaten für industrielle Ionenkanal-Untersuchungen.

Media Contact

Dr. Nadja Gugeler idw

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