Euroforum-Konferenz "Die Zukunft der Kabel-TV-Netze"

TV-Kabel: Die Entscheidung naht

Noch herrscht Ruhe vor dem Sturm, noch werden die wichtigsten Weichenstellungen vertagt. Fernsehsender, Produzenten, örtliche Kabelnetzbetreiber und die Wohnungswirtschaft warten ab, wie das Bundeskartellamt entscheidet. Wird es den Plan von Kabel Deutschland (KDG) genehmigen, die regionalen Kabelgesellschaften der sogenannten Netzebene 3 in Nordrhein-Westfalen (ish), Hessen (iesy) und Baden-Württemberg (Kabel BW) zu übernehmen – und wenn ja: unter welchen Auflagen? Auch erwartet die Branche Veränderungen bei der örtlichen Netzebene 4, bei der sich durch den geplanten Verkauf von „Bosch Breitbandnetze“ eine Fusion mehrerer Betreiber abzeichnet.

Aber danach geht kein Weg mehr daran vorbei, die Kernfrage zu lösen. Schon beim nächsten großen Branchentreff, der Euroforum-Konferenz „Die Zukunft der Kabel-TV-Netze“ am 22. und 23. September in Köln, werden maßgebliche Vertreter von Netzen, Sendern, Diensteanbietern, Wohnungswirtschaft und Landesmedienanstalten darüber diskutieren: Wie effektiv wird die Digitalisierung des Kabels sein? Schafft es das lange unverändert gebliebene Kabelnetz, künftig deutlich mehr zu bieten als DVB-T und der Satellit? Oder wird es aus Sicht des Nutzers vergleichsweise unattraktiv und – gemessen an seinen Leistungen – zu teuer?

Die wichtigste zu treffende Entscheidung betrifft die Parallelausstrahlung und „Grund“-Verschlüsselung der privaten Fernsehprogramme im digitalen Bereich des Kabels. Maßgeblich ist: Entscheiden sich die Verantwortlichen für die „Verschlüsselungs-“ oder die „Free-to-Air-Variante“?

Die Verschlüsselungs-Variante besteht darin, dass sich die etablierten Fernsehsender und die überregionalen Kabelnetzbetreiber darauf verständigen, Simulcast und Grundverschlüsselung einzuführen. „Simulcast“ bedeutet: Die bislang analog im Kabel übertragenen Programme werden zusätzlich digital ausgestrahlt. „Grundverschlüsselung“ heißt: In ihrer digitalen Form können diese Programme nur mit einer Set Top Box empfangen werden, die über das Verschlüsselungssystem Nagravision verfügt.

Auf den ersten Blick sieht es so aus, als mache es keinen Sinn, frei empfangbare analoge Programme wie RTL, SAT1 und VIVA im digitalen Bereich zu verschlüsseln. Sinn dieser Maßnahme ist auch nicht, sie den Zuschauern vorzuenthalten. Vielmehr geht es allein darum, dafür zu sorgen, dass die Nutzer (und auch die Einkäufer der Handelsketten) Boxen mit Verschlüsselungssystem kaufen und nicht die preiswerteren „Free-to-Air-Boxen“.

Denn stehen die „Boxen mit Schlitz“ einmal im Wohnzimmer, dürfte es den Kabelnetzbetreibern und Premiere leicht fallen, die Zuschauer für neue entgeltpflichtige Programmpakete und auch Einzelinhalte zu gewinnen. Die kann man dann spontan per Telefon bestellen und muss noch nicht einmal aus dem Sessel aufstehen. Wenn erst einmal die Boxen-Basis vorhanden ist, werden zahlreiche neue Angebote empfangbar sein. Schon jetzt stehen hunderte von Sendern und Mediendiensten bereit – ihre Betreiber sprechen offen davon, dass sich nun, nach Aufhebung des Kanalmangels, der vor zwanzig Jahren mit der Einführung des Privatfernsehens sprichwörtlich verbundene „Urknall“ wiederholen könnte.

Die Free-to-Air-Variante besteht darin, dass die etablierten Fernsehsender – wie bisher – der Grundverschlüsselung nicht zustimmen, um diesen erneuten Urknall zu verhindern. Dies würde bedeuten, dass es nicht eine, sondern zwei Arten von Set Top Boxen in den Haushalten geben wird: mehrheitlich die einfachen „Free-to-Air-Boxen“ ohne und in deutlich geringerem Umfang die teureren Boxen mit Verschlüsselung. Entscheidend für die Wahl des Nutzers ist, ob er bereits beim Kauf bei Lidl, Aldi oder Plus perspektivisch an das Abonnement neuer Programme oder an Premiere denkt (Box mit Verschlüsselung) oder einfach nur das Bisherige abgebildet sehen möchte (Free-to-Air-Box).

Hat der Zuschauer eine oder mehrere Free-to-Air-Boxen im Haus, kann er damit nur die öffentlich-rechtlichen und bisherigen privaten Sender empfangen. Interessiert er sich später für ein neues Programmpaket, zum Beispiel aus den Bereichen Sport oder Action, muss er diese soeben erworbenen Boxen gegen hochwertigere austauschen. Das gleiche Problem hatte Premiere über Jahre hinweg: Wer auch nur ein Fitzelchen Premiere sehen wollte, brauchte dafür eine Box. Die spontane Entscheidung im Wohnzimmer wird damit unmöglich; außerdem ist die Einstiegsschwelle hoch: Ein Spartenprogrammpaket kostet dann subjektiv nicht mehr 3,50 Euro pro Monat, sondern 3,50 Euro plus die Anschaffungskosten der neuen Set Top Box.

Nehmen wir einmal an, die Free-to-Air-Variante würde sich durchsetzen. Dann könnten die etablierten Sender zufrieden sein – denn das Auftreten von neuen, konkurrierenden Sendern wird damit erheblich erschwert. Die meisten potentiellen Wettbewerber würden ihre Ideen und Projekte wieder in der Schublade verschwinden lassen, denn es würde sehr lange dauern, bis Massenmärkte entstehen. Außerdem würde Kabel Deutschland (KDG) nur vorsichtig in die Digitalisierung investieren, denn die hinter KDG stehenden amerikanischen Investoren achten vor allem auf den cash flow, also die alsbald erzielbaren Gewinne – sie denken kurzfristig-finanztechnisch und nicht in erster Linie langfristig-strategisch.

Von der Free-to-Air-Variante könnte daher auch DVB-T profitieren. Denn wenn das Kabel den „großen Sprung“ in die Zukunft nicht schafft, weil die etablierten Fernsehsender nicht mitziehen, bietet das Kabel für Free-to-Air-Boxen-Besitzer nicht überwältigend mehr Inhalt als DVB-T. Dann könnten immer mehr Haushalte, die bisher kostenpflichtig ans Kabel angeschlossen sind, zur kostenfreien Terrestrik wechseln. Zwar ist die Wohnungswirtschaft noch kabeltreu – dennoch könnte das Kabel so geschwächt werden, dass es mittelfristig in Gefahr gerät.

Auch DSL profitiert vom Free-to-Air-Szenario. Wenn bereits die Digitalisierung nicht oder nur schleppend gelingt, ist die Gefahr gering, dass das Kabel doch noch aufgerüstet wird und zu DSL aufschließt. Schon frohlocken DSL-Betreiber, angesichts dieser Lage sei es doch eine gute Idee, die Nutzung der DSL-Technik auf das Fernsehgerät und das Wohnzimmer auszudehnen. Mit „T-Online Vision on TV“ gibt es bereits einen Anbieter, der DSL und den Fernseher verbindet, Premiere hat ähnliche Dienste angekündigt. Der noch fehlende Schritt besteht darin, nicht nur einzelne Videos, sondern ganze Programme über DSL zu verbreiten, also Kabel und Satellit nicht zu ergänzen, sondern zu ersetzen. Das heißt: DSL wäre nicht der stille Triumphator (Sieger beim Internet-Zugang), sondern würde nach dem Motto vorgehen: The winner takes it all.

Man erkennt: Ein starkes Kabel führt dazu, dass DSL weitgehend auf den PC beschränkt bleibt; außerdem wird DVB-T nur für die Ergänzungsversorgung für Zweit- und mobile TV-Geräte bedeutsam sein. Ein schwaches Kabel, also eines, das nicht auf einfache Weise neue Abonnements generieren und damit die Digitalisierung refinanzieren kann, wird hingegen DVB-T stärken und DSL den Weg ins Wohnzimmer ebnen.

Freilich ist auch dies zu bedenken: Die Verschlüsselungsvariante – das starke, grundverschlüsselte Kabel – wird die Medienlandschaft deutlich verändern. Neue Spartensender werden entstehen und mehr Pay-TV-Angebote werden ins Haus gebracht. Es liegt auf der Hand, dass dies eine Bedrohung für die reichweitenorientierten Fernsehsender ist. Einen ersten Beleg dafür gibt es heute schon: In Premiere-Haushalten werden die öffentlich-rechtlichen Sender ARD und ZDF sowie die dritten Programme nur noch wenig genutzt; die Zuschauer sehen hauptsächlich Premiere und – deutlich nachrangig – ein paar große „Markensender“ wie Sat 1, Pro Sieben und RTL. In der neuen digitalen Fernsehwelt würden die etablierten Privatsender also nicht total untergehen, aber sie würden entscheidend an Reichweite verlieren und damit natürlich auch erheblich geringere Werbeeinnahmen erzielen können. Dies würde wiederum zu einer Verschlechterung des Programms führen und eine „Verelendungsspirale“ auslösen.

Die einzige Möglichkeit, gegenzusteuern, besteht darin, die digitale Herausforderung von vorneherein offensiv anzunehmen und die neu entstehenden Märkte selbst zu besetzen. Denn die Blockade der Kabel-Modernisierung wird nicht ewig durchhaltbar sein. Noch nie ist es gelungen, eine technische Option mit Missachtung zu strafen und zu hoffen, sie setze sich nicht durch. Dies hat zuletzt die Musikindustrie lernen müssen, die Napster und Kazaa eklatant unterschätzt hat. Wenn es nicht das Kabel ist, dann ist es eben der ohnehin schon weitgehend digitale Satellit und das allmächtige Netz DSL, die die Medienlandschaft über kurz oder lang aufmischen. Deswegen täten die etablierten Sender gut daran, sich mit dem Kabel zu verbünden und gute Plätze im „neuen“ Kabel zu besetzen. Und auch die Wohnungswirtschaft muss daran interessiert sein, dass das Kabel modern und leistungsfähig wird. Denn Kabelfernsehen ist Teil ihrer Dienstleistung gegenüber den Mietern – DVB-T und DSL sind es hingegen nicht.

Media Contact

Werner Lauff EUROFORUM Deutschland GmbH

Weitere Informationen:

http://www.euroforum.de

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