Wie verändert sich das Ökosystem um die Antarktische Halbinsel?

Salpa thompsoni Foto: Alfred-Wegener-Institut / Jan Michels

Rund um die Antarktische Halbinsel gab es noch im Herbst große Mengen an laichreifem Krill und Salpen. Bedingt durch wärmere Wassertemperaturen setzte die Meereseisbildung spät ein, so dass einzellige Algen, die wesentliche Nahrungsgrundlage dieser Tiere, in hoher Konzentration vorkamen.

Wie sich das Leben im Südozean an solche Änderungen anpassen wird war ein wichtiges Thema der diesjährigen Antarktissaison des Forschungsschiffes Polarstern, die am Montag, den 11. Juni 2018 nach knapp sechs Monaten mit dem Einlaufen des Schiffes in seinen Heimathafen Bremerhaven endet.

Mit Echoloten, Schleppnetzen, Handkäschern und auch tauchend haben die Teilnehmenden der letzten antarktischen Expedition der Polarstern an 100 Stationen rund um die Antarktische Halbinsel das Verhalten von Krill und Salpen erforscht.

Beide Tiergruppen sind das erste räuberische Glied im Nahrungsnetz, sie ernähren sich von treibenden, einzelligen Algen, dem Phytoplankton. Während der Krill seinerseits vielen Fischarten, Robben und Walen als Nahrung dient, werden die gelatinösen Salpen kaum gefressen. Daher erforschen die Wissenschaftler, welche Art unter welchen Bedingungen dominiert.

„Trotz der späten Jahreszeit haben wir eine hohe Anzahl an laichreifem Krill und Salpen vorgefunden“, berichtet Prof. Dr. Bettina Meyer. Die Biologin am Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) und Helmholtz-Institut für Funktionelle Marine Biodiversität an der Universität Oldenburg (HIFMB), leitete die antarktische Expedition von Mitte März bis Mitte Mai.

Eine mögliche Erklärung liefert sie gleich mit: „Die Phytoplanktonkonzentration – vornehmlich Diatomeen – war für die Jahreszeit, im antarktischen Herbst erstaunlich hoch.“ Die Kleinstalgen hatten noch ausreichend Licht für die Photosynthese zur Verfügung, da die Meereisbildung trotz der späten Jahreszeit noch nicht eingesetzt hatte.

„Wir waren überrascht, dass wir Krill und Salpen im gleichen Gebiet gefunden haben, wenn auch in verschiedenen Wasserschichten. Bisher waren wir davon ausgegangen, dass sich beide Arten aufgrund ihrer unterschiedlichen Biologie und Art und Weise der Nahrungsaufnahme in verschiedenen Gebieten aufhalten“, berichtet Meyer.

In den Laboren der Polarstern nahmen die Wissenschaftler den Krill und die Salpen dann genau unter die Lupe: Sie vermaßen über 13.000 Individuen und bestimmten deren Geschlecht und Reifestadium. Letzteres ist wichtig, um zu ermitteln, ob sich die Arten auch noch im Herbst erfolgreich fortpflanzen können. Dies haben die Biologen auf der aktuellen Expedition jetzt bestätigt. In einer sich weiter erwärmenden Antarktis könnten Salpen weiter zunehmen.

„Wie sich dies auf den Krillbestand auswirkt ist noch unklar, jedoch haben erste Ergebnisse gezeigt, dass die Salpen keine Nahrungskonkurrenten zum Krill darstellen. Im Gegenteil: Die Salpen scheinen von den Krillschwärmen zu profitieren, indem sie die vom Krill produzierten Kotballen als Nahrung aufnehmen“, sagt Bettina Meyer.

In zusätzlichen Experimenten an Bord hat das Forscherteam aus sieben Ländern die Anpassungsfähigkeit von Salpen und Krill an verschiedene Temperatur- und Nahrungsbedingungen erforscht. Außerdem untersuchten sie, inwieweit ein Massenauftreten von Salpen die Planktongemeinschaft und den Kohlenstofffluss im Südpolarmeer beeinflusst. Diese Experimente sind essentiell, um Vorhersagen zu ermöglichen, wie sich das Ökosystem im Südpolarmeer verändern wird, wenn die Salpen durch die fortschreitende Erwärmung an der antarktischen Halbinsel gegenüber dem Krill zunehmen.

Im Anschluss fand eine Transitreise zur Weiterentwicklung mariner Technologien statt. Kohlenstoffflüsse im Ozean sowie zwischen Ozean und Atmosphäre sollen so zukünftig noch detaillierter erfasst werden. Das Team von 28 Wissenschaftlern um den AWI-Ozeanographen Dr. Volker Strass nutzte die Rückfahrt der Polarstern von Punta Arenas (Chile) nach Bremerhaven, um ein neues geschlepptes Messsystem zu erproben.

Dieses neue Schleppsystem wird es ermöglichen, viele physikalische, chemische und biologische Variablen simultan und schnell mit hoher zeitlicher und räumlicher Auflösung sowie Überdeckung zu messen. „Damit können wir jene Prozesse identifizieren, welche die Phytoplankton-Photosynthese und über die Primärproduktion auch die Kohlendioxid-Aufnahme des Ozeans beeinflussen“, berichtet Expeditionsleiter Strass.

Der gelungene Test des Schleppsystems namens topAWI (towed ocean profiler of the AWI) stimmt den Ozeanographen zuversichtlich, mit dem verbesserten Prozess-Verständnis die Auswirkungen der durch den Klimawandel bedingten Änderungen im physikalischen Umfeld auf die marinen Ökosysteme und die daran gekoppelten biogeochemischen Flüsse zukünftig besser einschätzen zu können.

In den kommenden vier Wochen finden in der Lloyd Werft in Bremerhaven routinemäßige Wartungs- und Reparaturarbeiten statt. Am 10. Juli 2018 wird die Polarstern dann in die Arktis aufbrechen.

Informationen für Redaktionen:
Die Polarstern wird mit dem Hochwasser in der Nacht von Sonntag, 10. Juni auf Montag, 11. Juni in Bremerhaven erwartet. Zur redaktionellen Berichterstattung können Sie am Montagvormittag gerne nach vorheriger Anmeldung aufs Schiff kommen, das auf dem Gelände der Lloyd Werft liegen wird.

Bitte melden Sie sich bei Interesse bis spätestens Freitag, den 8. Juni um 13:00 Uhr in der AWI-Pressestelle an bei Folke Mehrtens (Tel.: 0471 4831-2007; E-Mail: medien(at)awi.de). Sie stellt Ihnen bei Bedarf auch aktuelles Videomaterial von der Expedition zur Verfügung.

Fotos finden Sie in der online-Version dieser Pressemitteilung unter https://www.awi.de/nc/ueber-uns/service/presse.html.

Ihre wissenschaftliche Ansprechpartnerin ist Prof. Dr. Bettina Meyer (Tel.: 0471 4831-1378; E-Mail: Bettina.Meyer(at)awi.de). Sie wird ebenso am Montagvormittag auf der Polarstern für Gespräche zur Verfügung stehen, wie der aktuelle Fahrtleiter Dr. Volker Strass.

Folgen Sie dem Alfred-Wegener-Institut auf https://twitter.com/AWI_de und https://www.facebook.com/AlfredWegenerInstitut.

Das Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) forscht in der Arktis, Antarktis und den Ozeanen der gemäßigten sowie hohen Breiten. Es koordiniert die Polarforschung in Deutschland und stellt wichtige Infrastruktur wie den Forschungseisbrecher Polarstern und Stationen in der Arktis und Antarktis für die internationale Wissenschaft zur Verfügung. Das Alfred-Wegener-Institut ist eines der 18 Forschungszentren der Helmholtz-Gemeinschaft, der größten Wissenschaftsorganisation Deutschlands.

Media Contact

Ralf Röchert idw - Informationsdienst Wissenschaft

Alle Nachrichten aus der Kategorie: Ökologie Umwelt- Naturschutz

Dieser Themenkomplex befasst sich primär mit den Wechselbeziehungen zwischen Organismen und den auf sie wirkenden Umweltfaktoren, aber auch im weiteren Sinn zwischen einzelnen unbelebten Umweltfaktoren.

Der innovations report bietet Ihnen interessante Berichte und Artikel, unter anderem zu den Teilbereichen: Klimaschutz, Landschaftsschutzgebiete, Ökosysteme, Naturparks sowie zu Untersuchungen der Leistungsfähigkeit des Naturhaushaltes.

Zurück zur Startseite

Kommentare (0)

Schreiben Sie einen Kommentar

Neueste Beiträge

Ideen für die Zukunft

TU Berlin präsentiert sich vom 22. bis 26. April 2024 mit neun Projekten auf der Hannover Messe 2024. Die HANNOVER MESSE gilt als die Weltleitmesse der Industrie. Ihr diesjähriger Schwerpunkt…

Peptide auf interstellarem Eis

Dass einfache Peptide auf kosmischen Staubkörnern entstehen können, wurde vom Forschungsteam um Dr. Serge Krasnokutski vom Astrophysikalischen Labor des Max-Planck-Instituts für Astronomie an der Universität Jena bereits gezeigt. Bisher ging…

Wasserstoff-Produktion in der heimischen Garage

Forschungsteam der Frankfurt UAS entwickelt Prototyp für Privathaushalte: Förderzusage vom Land Hessen für 2. Projektphase. Wasserstoff als Energieträger der Zukunft ist nicht frei verfügbar, sondern muss aufwendig hergestellt werden. Das…

Partner & Förderer