Nagoya: Biotreibstoffe nicht länger auf Kosten der biologischen Vielfalt oder Ernährungssicherheit

Bei der Weltnaturschutzkonferenz in Nagoya weigerten sich die Profiteure dieses Booms lange, die negativen Auswirkungen anzuerkennen. Dennoch kam man am Ende zu einer verbindlichen Regelung. Welchen Einfluss Biokraftstoffe auf die Lebensvielfalt in Europa haben, beleuchtet Prof. Christina von Haaren (Universität Hannover) im NeFo-Interview.

Nächtelang zogen sich die zähen Verhandlungen der 193 UN-Unterzeichnerstaaten des Übereinkommens über die biologische Vielfalt (CBD) hin, um eine verbindliche Regelung zu finden, wie man zukünftig mit den Auswirkungen des Energiepflanzenanbaus auf die biologische Vielfalt umgehen will. Doch am letzten Tag der Konferenz in Nagoya kam doch eine Einigung zustande. Fast überraschend, meint Dr. Axel Paulsch vom Netzwerk-Forum zur Biodiversitätsforschung, der die Verhandlungen vor Ort verfolgt hat. „Es ist schon ein riesiger Schritt, dass es überhaupt zu einem gemeinsamen Beschlusstext gekommen ist, da u. a. Brasilien bisher eigentlich die Haltung hatte, Biotreibstoffe hätten keinen Einfluss auf die Biodiversität, man also gar nicht darüber reden müsse.“ Die Verhandler haben sich nun doch bewegt. Doch welche wesentlichen Durchbrüche sind das, von denen gesprochen wird?

Grundsätzlich sieht Ziel 7 des verabschiedeten Strategischen Plans vor, dass bis 2020 die gesamte Landwirtschaft nachhaltig betrieben werden soll. Würde diesem Leitsatz Folge geleistet, müsste die 2013 anstehende Agrarreform der EU eine deutliche Neuausrichtung vor allem ihrer Subventionen an Nachhaltigkeitskriterien bringen. „Um auch die Praxis von diesen Leitlinien zu überzeugen, müssen wir die Kosten für die Nutzung der Naturgüter in die Bilanzen der Bioenergie einbeziehen.“ sagt Christina von Haaren, Professorin für Landschaftsplanung und Naturschutz an der Universität Hannover, im NeFo-Interview. Diesen Ansatz verfolgt derzeit die TEEB-Studie (The Economics of Ecosystems and Biodiversity), die inzwischen auch in der Politik und Öffentlichkeit zunehmende Aufmerksamkeit bekommt.

Das Beschlusspapier zur Biokraftstoffen hält aber selbst einige wahre Durchbrüche bereit. Als Errungenschaft kann sicherlich die Formulierung von Paragraf vier im Text gewertet werden. Dort werden die Staaten „gedrängt“ („to urge“ ist die stärkst mögliche Aufforderung), die Auswirkungen auf Nahrungssicherheit lokaler Gemeinschaften zu berücksichtigen. Diese Formulierung hatte Afrika gefordert, das seine Kleinbauern, die zum größten Teil die Ernährung der Bevölkerung bestreiten, durch großindustriellen Biotreibstoffanbau gefährdet sieht.

In Paragraf 6 wurde auf Drängen der EU festgelegt, dass Biotreibstoffe in ihrer Ökobilanz nicht nur an Klimaauswirkungen gemessen werden, sondern nun die gesamte Wertschöpfungskette vom Anbau bis Verbrauch bewertet werden muss. Hiergegen hatte sich Brasilien lange gewehrt hatte. Beispielsweise führen Düngemittel und Transport zu erheblichen CO2-Emissionen, die die Kohlenstoffbilanz von Biokraftstoffen erheblich verschlechtern.

Gebiete von hohem Wert für die Erhaltung der biologischen Vielfalt sollen laut Paragraf 7 möglichst vom Anbau von Biokraftstoffen ausgenommen werden. Der Ausdruck der „areas of high biodiversity values„ war lange umstritten. Ein Problem hierbei sind allerdings die indirekten Effekte dieses Anbaus, bei dem beispielsweise Palmölplantagen Nahrungsmittelproduktion verdrängt, die dann auf solche Gebiete mit hohem Naturschutzwert ausweichen.

Auch einigten sich die Staatenvertreter auf das so genannte Vorsorgeprinzip im Umgang mit genveränderten Organismen. Genverändertes Saatgut solle nach Paragraf 16 nicht zum Einsatz kommen, bevor alle möglichen negativen Auswirkungen abgeklärt wurden.

Hintergründe:
Energiepflanzen sollen die Kohlenstoffemissionen der Wirtschaft und Gesellschaft sowie die Abhängigkeit von knapper und damit teurer werdenden Ölvorkommen verringern. Weltweit nimmt der Anbau von Ölsaaten wie Palmöl sowie Zuckerrohr, Mais und Getreide für die Bioäthanolproduktion rasant zu. Doch diese vermeintlichen Errungenschaften haben ihre Kehrseiten: Die Plantagen entstehen immer häufiger in wichtigen Lebensräumen mit einer hohen Artenvielfalt, die dadurch verloren geht.
In Europa wird vor allem wertvolles Grünland, das bisher als Rückzugsraum vieler Arten diente, hochsubventioniert in Raps- und Maisäcker umgewandelt. Die Folgen sind: Steigerung der Lebensmittelpreise, Erhöhung des Pestizid- und Düngemitteleinsatzes sowie des Wasser- und Flächenverbrauchs im Zuge einer Intensivierung der Landwirtschaft, Feinboden- und Humusschwund, Zerstörung wertvoller Ökosysteme, Biodiversitätsverlust und eine effektive Steigerung statt Verminderung der Treibhausgas-Emissionen, insbesondere wenn für den Anbau von Energiepflanzen Wälder abgeholzt oder Grünlandflächen umgebrochen werden.

Oft sind es nicht direkt die Produzenten des Biotreibstoffs, die auch die Rodungen vornehmen. Man spricht von sogenannten indirekten Effekten, wenn ehemalige Landnutzer, die ihr Land, wie z.B. Weideland zur Produktion von Energiepflanzen abgegeben haben, mit ihren Tieren auf Wildflächen ausweichen. Diese indirekten Effekte sind enorm und relativieren auch das ursprüngliche Ziel der Kohlenstoffeinsparung gegenüber fossiler Brennstoffe deutlich, wie eine Studie von 2009 in Brasilien deutlich macht. Diese berechnete, dass in dem untersuchten Gebiet allein die Rodung, die indirekt durch Zuckerrohr- und Sojaanbau für Ethanol durchgeführt wurden, CO2-Mengen freisetzte, die erst nach 250 Jahren Nutzung von Biokraftstoffen statt fossiler Brennstoffe wettgemacht wäre (Lapola et al., 2009).

Kontakt:
Sebastian Tilch
Öffentlichkeitsarbeit Netzwerk-Forum zur Biodiversitätsforschung
Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung – UFZ Leipzig
Department Naturschutzforschung
Tel. 0341/235-1062
Email: sebastian.tilch@ufz.de
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