Kabeljau: vom Jäger zum Gejagten

Der Kabeljau wird häufig als Musterbeispiel für die Übernutzung von Fischbeständen angeführt. In der Nordsee konnten in den letzten Jahren nicht einmal mehr 10 Prozent der Mengen gefangen werden, die zu Spitzenzeiten in der 1970er Jahren angelandet wurden. Kabeljaubestände in anderen Meeresgebieten sind in deutlich besserem Zustand.

Welche Faktoren neben der Fischerei über das Wohl und Wehe der einzelnen Bestände entscheiden, zeigen Fischereibiologen des Johann Heinrich von Thünen-Instituts (vTI) in der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsmagazins ForschungsReport. Es ergeben sich faszinierende Einblicke in das Beziehungsgeflecht von Meeresökosystemen.

Der Kabeljau ist ein Raubfisch, der in kalten und kühlen Gewässern der Nordhalbkugel vorkommt. Die Abkühlung des Nordseewassers in den frühen 60er Jahren beeinflusste die Häufigkeit und Zusammensetzung des Zooplanktons so positiv für die Plankton fressenden Kabeljaularven, dass der Bestand die eigentlich zu intensive Fischerei abpuffern konnte, denn die überdurchschnittlichen Überlebensraten der Jungfische wirkten als Ausgleich. Mit der zunehmenden Erwärmung Anfang der 80er Jahre verschlechterte sich die Nahrungssituation für die Larven des Kabeljau, was zusammen mit unvermindertem Fischereidruck schließlich zum Zusammenbruch des Bestandes führte. Neben den nach wie vor ungünstigen Umweltbedingungen für den Nachwuchs wird die ökologische Nische des Kabeljau seit Ende der 80er Jahre auch zunehmend vom Grauen Knurrhahn besetzt, einer Art, die sich zudem mit Vorliebe von Jungfischen ernährt. So fanden sich bei Magenuntersuchungen von größeren Knurrhähnen bis zu einem Drittel junge Kabeljaue in der Nahrung dieses Räubers.

Zusammen mit der Universität Hamburg arbeiten die Forscher des vTI intensiv an einem besseren Verständnis der klima- und fischereibedingten Änderungen des komplizierten Nahrungsgeflechts in der Nordsee. Denn nur mit einem umfassenden Verständnis dieser Zusammenhänge wird es möglich, klare Antworten darauf zu geben, in welcher Form und Intensität die Fischerei künftig in unseren Meeresökosystemen ausgeübt werden sollte.

Auch in der östlichen Ostsee hat der Kabeljau, dort Dorsch genannt, einen schweren Stand. Neben der relativ hohen Temperatur und den niedrigen Sauerstoff- und Salzgehalten des Wassers wirken sich vor allem die Sprotten negativ auf den Bestand aus, denn sie treten dort in Nahrungskonkurrenz zu den verbliebenen Dorschlarven. An die Wasserbedingungen der letzten Jahre besser angepasst, ist die Sprottenpopulation auf ein Rekordniveau angewachsen, und die sonst vom Kabeljau gejagte Art wird nun selbst zum Jäger: Die zahlreichen erwachsenen Sprotten fressen die spärlichen Dorscheier – die ursprüngliche Räuber/Beute-Kontrolle hat sich umgedreht. Neben den intensiven Auswirkungen der Fischerei sind es solche ökologischen Zusammenhänge, die die Bestandsentwicklung wirtschaftlich wichtiger Fischarten beeinflussen. Eine Berücksichtigung dieser Beziehungsgeflechte, so betonen die Fischereiforscher des vTI, wird für das Fischereimanagement der Zukunft immer stärker von Bedeutung werden.

Der 56-seitige ForschungsReport 1/2010 mit dem Themenschwerpunkt „Biologische Vielfalt und Ernährungsqualität“ kann kostenlos bezogen werden über den Senat der Bundesforschungsinstitute, c/o vTI, Bundesallee 50, 38116 Braunschweig. Tel.: 0531 / 596-1016, E-mail: michael.welling@vti.bund.de

Media Contact

Dr. Michael Welling idw

Weitere Informationen:

http://www.forschungsreport.de

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