Gemeinsam für den Artenschutz: Vom Feld bis an die Ladentheke

Zu den gefährdeten Arten gehört der Laubfrosch. Frank Gottwald / ZALF

Sie sind die Jubelsänger des Frühlings, doch ihr Gesang ist immer seltener zu hören. In den letzten 30 Jahren ist der Bestand der Feldlerche dramatisch zurückgegangen, in manchen Regionen sogar um 90 Prozent. Seit 1980 haben sich die Gesamtbestände von Agrarvögeln in Europa halbiert, ein ähnlicher Trend ist auch bei anderen Artengruppen wie den Tagfaltern zu beobachten.

Mit jeder ausgestorbenen Tier- oder Pflanzenart gehen nicht nur Gene, Farben, Formen und Geräusche unwiederbringlich verloren. Auch wichtige Ökosystemleistungen sind dadurch bedroht, wie die Bestäubung vieler Nahrungspflanzen durch Insekten, die klimaregulierende Funktion von Pflanzen oder auch die heilsame Wirkung einer durch natürliche Vielfalt geprägten Landschaft auf den Menschen.

In Deutschland sind inzwischen jede achte Vogelart, ungefähr 130 Ackerwildkrautarten, jede dritte Amphibie und die Hälfte der Insekten gefährdet. »Das Artensterben geht in beängstigendem Tempo voran«, sagt Dr. Karin Stein-Bachinger vom Institut für Landnutzungssysteme des Leibniz-Zentrums für Agrarlandschaftsforschung (ZALF) e. V.

»Mehr als die Hälfte der Fläche Deutschlands wird landwirtschaftlich genutzt. Das schafft Lebensräume für Tiere und Pflanzen, stellt gleichzeitig aber auch eine Gefährdung dar.« Ein Grund: Felder und Wiesen werden ausgerechnet dann bearbeitet, wenn sich Pflanzen und Tiere fortpflanzen.

»Der Verzicht auf chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel und mineralische Stickstoffdüngemittel im Ökolandbau ist schon eine gute Voraussetzung für den Naturschutz. Wenn wir das Artensterben aufhalten wollen, müssen wir aber noch mehr Bereiche in der landwirtschaftlichen Bearbeitung unter Naturschutzaspekten überprüfen, Bewirtschaftungsalternativen aufzeigen und diese auch bewertbar machen«, sagt Dr. Karin Stein-Bachinger. Was bisher fehlt, ist ein geeigneter und anerkannter Maßstab für die Praxis. Hier setzt das Modellprojekt »Landwirtschaft für Artenvielfalt« an, das 2012 unter wissenschaftlicher Leitung des ZALF gemeinsam von der Umweltorganisation WWF Deutschland und dem ökologischen Anbauverband Biopark initiiert wurde. Bisher sind 60 Biobauernhöfe in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Schleswig-Holstein und Sachsen-Anhalt aktiv dabei.

Ein Katalog von Naturschutzleistungen

In den letzten Jahren hat ein Team vom ZALF unter Leitung von Diplom-Biologe Frank Gottwald und Dr. Karin Stein-Bachinger untersucht, welche Auswirkungen bestimmte Naturschutzmaßnahmen auf wildlebende Tiere und Pflanzen sowie die Landwirtschaft haben. »Ornithologen haben immer wieder in Tarnzelten gesessen, um Feldvögel zu beobachten«, erzählt Frank Gottwald.

»Diese nisten gerne im Kleegras, das auf Biohöfen zur Futtergewinnung und Bodenverbesserung angebaut wird«, scheinbar gute Voraussetzungen für Feldvögel. Aber das Kleegras wird gemäht, wenn die Jungvögel noch nicht fliegen können – nur wenige überleben das. Acker-Lichtnelke und Acker-Schwarzkümmel sind heute nur noch selten auf den Feldern zu finden. Sie blühen erst im Sommer, wenn das Getreide schon reif ist. Ihr Problem: Die Äcker werden sofort nach der Ernte bearbeitet.

Damit werden auch die Kräuter untergepflügt, bevor sie Früchte bilden können. Ihre Beobachtungen haben die Experten ausgewertet und Vorschläge entwickelt, wie diese Konflikte gelöst werden können. »Wird das Kleegras später gemäht oder bleibt sogar ein Teilbereich stehen, werden die Nester der Feldvögel nicht zerstört. Das hilft auch Junghasen, Amphibien, Tagfaltern und Heuschrecken, die in der höheren Vegetation Nahrung und Deckung finden.«

Mehr als 100 Naturschutz-ideen für Felder, Wiesen und Weiden, die Pflege der Landschaft und den Schutz einzelner Arten haben die Experten zusammengetragen. Speziell geschulte Naturschutzberater helfen den Landwirten genau jene herauszufiltern, die für ihren Standort und ihre Betriebsabläufe sinnvoll sind.

Artenschutz geht uns alle an

»Naturschutz bedeutet für die Landwirte in der Regel einen zusätzlichen Aufwand«, erklärt Dr. Karin Stein-Bachinger. »Dieser investiert nicht nur Zeit, er nimmt auch Ertragseinbußen in Kauf. Um hierfür einen Ausgleich zu schaffen, bedarf es auch der Unterstützung des Lebensmittelhandels und der Verbraucherinnen und Verbraucher.« Den Landwirten zahlt das Handelsunternehmen EDEKA daher einen Aufpreis für bestimmte Produkte, quasi als Naturschutz-Bonus. Für den Verbraucher entstehen keine Mehrkosten. Ein eigens entwickeltes Logo »Landwirtschaft für Artenvielfalt« kennzeichnet die Produkte.

Um diese Zertifizierung zu erreichen, müssen die Betriebe Naturschutzpunkte sammeln. Dazu haben die Forscher am ZALF gemeinsam mit einem Team von 40 Experten aus den Bereichen Naturschutz, Landwirtschaft, Wissenschaft und Verwaltung jede Naturschutzmaßnahme mit Punkten bewertet. »Die Punktzahl richtet sich danach, wie effektiv die Maßnahme für den Schutz von wildlebenden Tier- und Pflanzenarten sowie deren Lebensräume ist.

So gibt es für die spätere Bodenbearbeitung nach der Ernte bis zu einem Punkt pro Hektar, acht Wochen ohne Nutzung während der Brutzeit im Kleegras bringt drei Punkte pro Hektar, und wenn Teilflächen über Winter sogar stehengelassen werden, ist das gleich zehn Punkte wert.« Für das Naturschutzzertifikat muss der Betrieb eine Mindest-punktzahl pro Hektar erfüllen. Das System ermöglicht daher sowohl eine Bewertung sehr kleiner, aber auch sehr großer Betriebe. Mehr als 50 Ökobetriebe in Nordost-Deutschland sind bereits zertifiziert.

Diese Naturschutzbewertung für Landwirtschaftsbetriebe ist deutschlandweit bisher einzigartig. Es wird kein klassischer Einzelarten- oder Einzelflächen-Naturschutz betrieben. »Mit den bisher beteiligten Landwirten können wir auf einer Gesamtfläche von ca. 40.000 Hektar erstmals großflächigen und umfassenden Naturschutz gemeinsam mit der Landwirtschaft realisieren«, sagt Dr. Karin Stein-Bachinger.

Eine Fachjury zeichnete das Projekt dafür im Jahr 2016 als weg-weisendes Projekt der UN-Dekade »Biologische Vielfalt« aus. Nun ist der Kunde gefragt. Mit dem Kauf der Produkte kann jeder einen Beitrag zur Förderung der Artenvielfalt leisten. Über einen Tracking Code gelangt man auf die Website des Projektes www.landwirtschaft-artenvielfalt.de und kann sich dort informieren und erfahren, welche Leistungen die Betriebe für den Naturschutz erbringen.

Bisher gibt es die Naturschutz-Produkte nur in den EDEKA-Nord-Märkten. »Unser Ziel ist es, dass weitere Ökobetriebe aus anderen Regionen Deutschlands mitziehen«, sagt Dr. Karin Stein-Bachinger. Das Modell macht Schule: In Süddeutschland werden ab 2017 Untersuchungen auf zehn Pilotbetrieben durchgeführt.

http://www.landwirtschaft-artenvielfalt.de
http://www.zalf.de/FELD weiteres Bildmaterial und Infografiken zum Beitrag in der Gesamtausgabe des Forschungsmagazins FELD

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Hendrik Schneider idw - Informationsdienst Wissenschaft

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