3000 Flächen für die Ökosystem-Forschung

Es handelt sich dabei um ein Projekt in einer Größenordnung, wie es sie in der Biologie im Einzelverfahren bisher noch nicht gegeben hat. Daran beteiligt ist der Lehrstuhl für Tierökologie und Tropenbiologie der Uni Würzburg unter der Leitung von Professor Karl Eduard Linsenmair.

3000 Untersuchungsflächen für die generelle Datenerhebung, 300 Flächen für intensivere, experimentelle Forschung mit zusätzlichen Experimentierflächen in direkter Nachbarschaft, 48 Flächen für sehr intensive Forschung – in dieser Größenordnung bewegt sich das Projekt, das die DFG in der ersten Drei-Jahres-Phase mit acht Millionen Euro finanzieren wird.

„Es geht darum, die funktionale Rolle der Biodiversität und die Auswirkungen menschlicher Einflüsse auf verschiedene Ökosysteme besser zu verstehen“, erklärt Karl Eduard Linsenmair vom Biozentrum der Universität. Fünf Einrichtungen teilen sich die Arbeit: Neben Würzburg sind dies die Universitäten Jena und Ulm und das Max-Planck-Institut für Biogeochemie Jena; die Federführung liegt bei der Universität Potsdam.

In dem Projekt werden die Forschungsaktivitäten unterschiedlicher ökologischer Fachrichtungen gebündelt und Erkenntnisse aus Modellexperimenten auf den Landschaftsmaßstab übertragen, überprüft und erweitert. Dabei werden die bislang noch zu stark voneinander isolierten Felder der Biodiversitäts- mit der Ökosystemforschung eng vernetzt; dadurch erst wird es möglich, Fragen zur funktionalen Bedeutung der Vielfalt von Arten und Gemeinschaften im großräumigen und langfristigen Kontext komplexer Landschaften zu untersuchen.

„Welche Folgen Eingriffe des Menschen in die Natur auf die Artenvielfalt und damit auf einzelne Leistungen von Ökosystemen haben, darüber gibt es punktuell schon ziemlich viel Wissen“, sagt Linsenmair. Auf die raum-zeitlichen Dimensionen von Prozessen bezogen, die ganze Landschaften prägen, seien die Erkenntnisse jedoch noch sehr lückenhaft. Dabei können sich Wissenslücken in diesem Bereich fatal auswirken: „Es ist nicht belanglos, wenn durch Land- und Forstwirtschaft die Artenvielfalt abnimmt. Ökosysteme werden dabei geschwächt, im schlimmsten Fall total zerstört“, warnt der Ökologe. Und niemand wisse, ab welchem Störumfang ganze Großlebensräume – so genannte Biome – oder die gesamte Biosphäre gefährdet werden. Deshalb hält Linsenmair ein Projekt, wie es jetzt startet, für dringend erforderlich.

Auf drei klimatisch recht unterschiedliche Gebiete konzentrieren die Forscher ihre Arbeit: das Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin nördlich von Berlin, den Nationalpark Hainich in Thüringen und das designierte Biosphärenreservat Schwäbische Alp in Baden-Württemberg. Die Untersuchungsflächen werden so über Grünland und Wald verteilt sein, dass sie für beide Lebensräume ein möglichst vollständiges Spektrum der Habitate und der in ihnen stattfindenden Landnutzung umfassen. Dort werden die Wissenschaftler zunächst jede Menge Daten sammeln: Wie wurde, wie wird das Land genutzt, welche Pflanzen, welche Tiere leben dort? Wie ist das lokale (Mikro-)Klima, wie verlaufen die Stoffflüsse, welche Bodeneigenschaften sind an jedem der 3000 Punkte gegeben – das sind nur ein paar davon.

Gesammelt wird natürlich nicht nur einmal, sondern wiederholt über alle Jahreszeiten und, wo notwendig, auch über die Jahre hinweg. Später werden die beteiligten Forschergruppen im Rahmen von Experimenten untersuchen, wie sich menschliche Eingriffe auswirken. „Wenn man zum Beispiel eine Wiese zu einem ungünstigen Zeitpunkt mäht, kann das sehr nachteilig für Bienen und weitere Bestäuber sein, auf deren Dienste unter anderem auch die Landwirtschaft angewiesen ist. Und das kann sich dann sehr negativ auf die Produktivität und auf andere von der Diversität abhängige Leistungen der Lebensgemeinschaften in der Umgebung auswirken. „Unsere Arbeitsgruppe wird sich vor allem mit der ökosystemaren Rolle verschiedener, sehr diverser Insektengruppen beschäftigen“, erläutert Linsenmair.

Ein Projekt in dieser Größenordnung bringt einen großen Organisationsaufwand mit sich. „Allein der Aufbau der Logistik für die Erhebung der grundlegenden Daten wird viel Zeit beanspruchen“, sagt Linsenmair. Dabei ist perfekte Planung das A und O, schließlich sollen sich die Forscher nicht gegenseitig behindern: „Dazu kann es reichen, dass ein Mitarbeiter einmal quer durch ein sensibles Gebiet läuft.“

Eine gewaltige Aufgabe wird es auch sein, den Berg an Daten zu erfassen, zu verwalten und zu interpretieren. Für das Management und die umfangreiche und anspruchsvolle statistische Aufarbeitung der Datenflut hat die DFG mehrere Stellen bewilligt, deren Inhaber sich alleine um diese Aufgabe kümmern müssen. Trotzdem denkt Linsenmair bereits in größeren Dimensionen. „Wenn nach einigen Jahren die ersten soliden Ergebnisse vorliegen, sollte das Projekt möglichst bald ausgeweitet werden.“ Sein Wunsch: „Dann sollten auch die Tropen mit einbezogen werden.“

Schon jetzt ist das Projekt in große internationale Programme eingebunden. Weil Biodiversität und Ökosystemprozesse immer auch Einfluss auf sozioökonomische Rahmenbedingungen und unter anderem auch auf das Klima haben, können die hier gewonnenen Erkenntnisse nicht nur in die internationalen Biodiversitätsforschungsprogramme (zum Beispiel „Diversitas“) sondern auch in das „International Human Dimension Program of Global Chance“ oder das „International Geosphere-Biosphere Program“ mit einfließen.

„Billige, schnelle Antworten“, betont Linsenmair, dürfe hier allerdings niemand erwarten. „Unter 20 Jahren wird eine Ökosystemforschung, wie sie hier geplant wird, kaum die wirklich belastbaren Antworten liefern, wie wir sie für ein effektives, auf nachhaltige Nutzung hin ausgerichtetes Management von zum Beispiel Waldsystemen brauchen“, sagt er. Und wünscht sich deshalb sehr viel längerfristige und großräumliche Dimensionen in der Ökologie-Forschung, die mehr Mittel verlangen als bisher in diesen Bereich investiert wurden.

„Wir brauchen Anstrengungen ähnlich wie bei der Vorbereitung der Mondlandung.“ Das Problem sei, dass „ein großer Teil der Menschheit noch nicht begriffen hat, dass wir mit allen unseren massiven Eingriffen in die belebte Natur auf dem Weg sind, deren Vielfalt so zu reduzieren, dass wir dabei die große Gefahr laufen, unsere unverzichtbare biologische Lebensgrundlage zu zerstören“, sagt er. Immerhin: Das jetzt gestartete Projekt sei mit seiner sehr bemerkenswerten Größenordnung und einer viel versprechenden Zukunftsperspektive schon mal ein guter Anfang.

Ansprechpartner: Prof. Dr. Karl Eduard Linsenmair, T (0931) 888-4350; E-Mail: ke_lins@biozentrum.uni-wuerzburg.de

Media Contact

Robert Emmerich idw

Weitere Informationen:

http://www.uni-wuerzburg.de

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