"Zukunft kann man nicht kaufen. Ein folgenschwerer Denkfehler in der globalen Ökonomie"

Die Natur der Kosten oder: Wann kauft Bill Gates die Sonne?
Prof. Dr. Arno Gahrmann (Hochschule Bremen) veröffentlicht Monographie mit überraschenden und provokanten Thesen.

Können Kosten eine Natur haben? Führt die Überschrift zu dieser Frage, hat sie schon ihren Zweck erfüllt, nämlich das Augenmerk auf den Kostenbegriff zu lenken. Wenn Betriebe geschlossen, Mitarbeiter entlassen und um des „Standortes Deutschland“ willen Feiertage gestrichen werden, wenn 50 Cent zu viel sind, um auf Krebs erzeugende Stoffe bei der Reifenherstellung verzichten zu können (Frankfurter Rundschau vom 25.2.2004). Oder wenn fünf Cent zu viel sind, um Strom und Treibstoff umweltfreundlich zu erzeugen, – immer sind es die Kosten, die scheinbar keinen anderen Ausweg zulassen. Aber niemand fragt, wer oder was diese ominösen Kosten sind, denen wir uns zu unterwerfen haben. Es ist gespenstisch wie in Kafkas „Prozess“: Unsere Gesellschaft liefert sich und die Mitwelt dem Kostengericht bedingungslos aus. Und sie nimmt die an Menschen und Natur statuierten Urteile hin ohne zu wissen, wer sie ausspricht und worin das Verwerfliche an den Kosten bestehen soll. In seinem Buch „Zukunft kann man nicht kaufen. Ein folgenschwerer Denkfehler in der globalen Ökonomie“ setzt sich Prof. Dr. Arno Gahrmann von der Hochschule Bremen gemeinsam mit Henning Osmers (Absolvent der Hochschule Bremen) mit exakt diesen Fragestellungen auseinander und formuliert zum Teil überraschende, zum Teil provokante Antworten. Die 222-seitige Monographie (im Magazin „Publik-Forum“ 20/2004 als Buch des Monats rezensiert) ist bei Horlemann erschienen und kostet 14,90 Euro.

Einige Thesen aus dem Buch

Die Wirtschaftswissenschaften quellen über von Ansätzen zur Berechnung der Kosten und von Methoden zu deren Verringerung – ihre Aussagen zum eigentlichen Wesen der Kosten sind beschämend dürftig. Da gibt es lediglich die eine inhaltliche Definition des Werteverzehrs. Dieser ist augenscheinlich beim Verbrauch endlicher Rohstoffe und Senken gegeben, aber worin besteht der Werteverzehr bei der menschlichen Arbeit, solange sie die Gesundheit nicht schädigt? Und was ist mit den Zinskosten, die direkt und indirekt ein Viertel der Produktionskosten ausmachen? Hier geben Vermögende ihren nicht benötigten Geldüberschuss an Unternehmen und an den Staat quasi zur Pflege ab. Hierfür vom Pfleger über die Geldentwertung hinausgehend Zinsen zu verlangen statt umgekehrt ihn zu entgelten, kann man als eine fragwürdige Subventionierung der Vermögenden ansehen; ein Werteverzehr ist es keinesfalls.

Einen besseren Zugang zur Natur der Kosten liefern die Buchhalter: Für sie stellt jeder Vorgang „Kosten“ dar, der das Reinvermögen mindert. Wir stoßen jetzt zu dem, was sich hinter dem kafkaesken Kostenwesen versteckt: es ist das Vermögen. Und zwar das ökonomische Vermögen, das um jeden Preis erhöht werden will, sei es mittels der Zinsen für verliehenes Geld, sei es mittels der Gewinne aus dem in Unternehmen steckenden Geld. Höhere Kosten, sie treffen zweifellos einen finanziell knappen Betrieb genauso hart wie eine mittellose Gemeinde. Aber dass die betrieblichen Kosten und die öffentliche Verschuldung deutlich geringer sein könnten, gäben sich die Gläubiger mit weniger Zinsen und die Eigentümer mit geringeren Gewinnen zufrieden, das wird in der Standortdebatte tunlichst verschwiegen. Denn hiervon zu streichen, das wäre ein Sakrileg an einem geradezu heiligen Anrecht auf Vermögensmehrung.

Diesen sakrosankten Charakter erwarb sich das Vermögen, als es nach Ablösung des Feudalismus zur Grundlage der persönlichen Existenzsicherung wurde. Nur, was bedeutet Vermögen in Zeiten ständiger Umbrüche, wechselnder Produkte wie Preise und ungewisser gemeinschaftlicher Leistungen wie Bildung, Gesundheit und nicht zuletzt der Rente? Was man wann zu welchem Preis unter welchen Voraussetzungen wo und überhaupt erhält und benötigt – dies wird in der schwirrenden, alles und jeden durchdringenden, weder fass- noch aufhaltbaren Ökonomie nicht mehr vorherzusagen sein. So verwandelt sich das in Geld bezifferte Vermögen umso mehr in einen Wahn und das Weltgeschehen in einen sozialen und ökologischen Wahnsinn, je mehr es in seiner Sucht nach ständiger Vermehrung über greifbare Dimensionen hinauswächst, Immaterielles und Ideelles vereinnahmt, und dabei ihr Instrument, die auf Kosteneffizienz getrimmte Ökonomie, Mensch, Arbeit und Natur vollends verbraucht und nur noch als ein Wirbel flüchtiger Zahlen und Beziehungen wahrzunehmen sein wird. Dann verflüchtigt sich auch jede Riester-Rente oder sonstige Vermögensbildung. Nicht einmal mehr das Bildungsvermögen kann mangels fester Strukturen noch materielle Existenz garantieren.

Das Denken in Kosten steigert die Vermögen und beraubt sie gleicher Maßen ihres realen Wertes. Das Endstadium wird erreicht sein, wenn die völlig verschuldeten Staaten der Erde Bill Gates die Nutzungsrechte an der Sonne verkaufen. Bis dahin wird die Mauttechnik jeden Sonnenstrahl erfassen können, den wir zu welchem Zweck auch immer nutzen. Und alles, was von der Sonne lebt, mittelbar und unmittelbar, wird kostenträchtig, mithin: alles. Liebe und Gemeinschaft, Natur und Ethik wären der Ökonomie einverleibt und verlören genauso an Verlässlichkeit und Beständigkeit wie heute schon Arbeitsplätze und staatliche Leistungen.

Welch unfassbarer Freiraum für eine nachhaltige Gestaltung der individuellen wie gesellschaftlichen Zukunft täte sich hingegen auf, würde das Vermögen seinen Gürtel nur etwas weniger weit schnallen: Verzichtete es nur zwei Jahre lang zugunsten des Staates auf die Zinsen und Bruttogewinne in Höhe von jährlich rd. 600 Mrd. Euro (Deutschland; ohne Unternehmerlohn), die gesamte öffentliche Hand wäre schuldenfrei! Und mit einer deutschen Zins- und Gewinnspende zweier weiterer Jahre wäre die gesamte Schuldenlast der Dritten Welt (ohne China) abgetragen! Hier tun sich die wahren Dimensionen und der richtige Weg auf: Nur der Verzicht auf eine ohnehin nur noch virtuelle Vermögensmehrung gibt dem Leben seinen Raum zurück.

Hinweis für Redaktionen:
Für Rückfragen steht Prof. Dr. Arno Gahrmann gern zur Verfügung: 0421-5905-4210 oder 04791-985095; gahrmann@t-online.de

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Ulrich Berlin idw

Weitere Informationen:

http://www.hs-bremen.de

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