Luftiger Fingerabdruck – Ursprungsanalyse für Feinstaub

Ab 2005 müssen Städte dafür sorgen, dass auch Grenzwerte für Feinstaub überall im Stadtgebiet eingehalten werden, die durch die EU-Rahmenrichtlinie Luftqualität vorgegeben sind und in Zukunft weiter verschärft werden. Um Überschreitungen zu vermeiden, muss man wissen, woher die Luftverschmutzung stammt. Dr. Eberhard Reimer, Leiter der Troposphärischen Umweltforschung (TrUmF) am Institut für Meteorologie der Freien Universität Berlin (FU), verfolgt die Luftwege der Staubpartikel bis zu ihrem Ursprung. Mit ihren Modellrechnungen und Analysen liefern die Dahlemer Meteorologen Planungsgrundlagen für den Berliner Senat. Im Forschungsprojekt HOVERT (HOVERT, Horizontal-/Vertikaltransport, wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert und ist Teil des Atmosphären-Forschungs-Programms des BMBF), das in Kooperation mit einem Messprojekt des Senats von Berlin durchgeführt wird, wird der vertikale Luftaustausch und der Ferntransport von Ozon und Feinstaub sowie die Konsequenzen für den Ballungsraum Berlin untersucht. Jetzt wurden die Daten des einjährigen Messprogramms (September 2001 bis Oktober 2002) veröffentlicht. Vorläufiges Fazit: Überschreitungen der Feinstaubgrenzwerte werden hauptsächlich durch den Berliner Straßenverkehr erwartet.

Feinstaub ist extrem klein, die Partikel haben einen Durchmesser von wenigen tausendstel Millimetern. Weil die Schwebstoffe tief in die Lunge eindringen können, sind sie ein gesundheitliches Risiko. Sie werden zum Beispiel primär aus Schornsteinen und Auspuffrohren in die Atmosphäre gepustet oder entstehen in der Landwirtschaft, als Abrieb von Autoreifen und Straßenbelag. Außerdem bilden sie sich aus Gasen wie Schwefeloxiden, Stickoxiden oder Ammoniak. Reimer und seine Kollegen beschäftigen sich mit Feinstaubpartikeln bis zu einem Durchmesser von zehn Mikrometern; diese Kategorie wird international als PM10 (particulate matter kleiner-gleich 10 µm) bezeichnet. Gehen nun diese Aerosole in das städtische Messnetz, handelt es sich entweder um lokale oder mit den Windströmungen importierte Emissionen. In chemischen Analysen finden sich Bestandteile wie Nitrat und Sulfat, aber auch Eisen, Blei und Ruß. Diese Schadstofffraktionen sind für Reimer Indizien für die Herkunft der Schadstoffe. „Luftmassen bekommen auf Grund ihres Weges einen bestimmten chemischen Charakter. So hat jede Region ihren eigenen Fingerabdruck“, erklärt der Atmosphärenexperte und gibt ein Beispiel: „Natrium, Chlor und Magnesium sind Seesalzprodukte, die auch bei uns gemessen werden können. Das ist typisch, wenn der Wind aus Richtung Nordsee und Atlantik kommt.“ Der in Berlin entstandene oder hierher transportierte Feinstaub landet auch auf den Straßen, wo er durch den rollenden Verkehr wieder aufgewirbelt wird und Anwohner oder Passanten ein zweites Mal belasten kann.

Für die Identifizierung der Emissionsorte benutzt Reimer Daten aus dem Berliner Messnetz, Wetterbeobachtungen und Trajektorien. Letztere sind Luftbahnen, auf denen sich definierte Luftpakete bewegen. Am Computer können Trajektorien mit den meteorologischen Daten über mehrere Tage rückwärts verfolgt werden. Reimer startet seine Rechnung zum Beispiel an der Messstation in Neukölln, weil hier erhöhte Schwefelwerte festgestellt wurden. Auf Grund der gemeldeten Windrichtung gelangt er nach Südosten in die polnische Industrieregion von Katowice. Während seiner meteorologischen Zeitreise beobachtet Reimer genau die vertikalen Luftbewegungen, denn die betrachteten Luftpakete können nur dann Schadstoffe aufnehmen, wenn sie in Bodennähe gelangen. Da der Wissenschaftler ungefähr weiß, wer was in Europa in die Atmosphäre entlässt, kann er schließlich feststellen, ob der Verursacher der in Neukölln gemessenen Luftverschmutzung brandenburgische Landwirte oder polnische Industriebetriebe sind. Die Berechnungen ermöglichten auch, in Verbindung mit meteorologisch/chemischen Modellen, Aerosolvorhersagen, wie es für Ozon bereits üblich ist, so Reimer.

Die Berliner Luft wird je nach Wetterlage und Standort (Außenbezirk oder Innenstadt) bis je zu fünfzig Prozent mit importiertem und lokal emittiertem Feinstaub belastet. Nachdem die Belastungen aus Industrieanlagen und Kohleheizungen seit etwa 1990 zurückgingen, bleibt als Hauptverursacher der hausgemachten Luftverschmutzung der Straßenverkehr. Nach den Messungen und der jetzigen ersten Auswertungen der HOVERT-Daten, sollen die endgültigen Analysen im August dieses Jahres vorliegen. Dabei werden unter Einbeziehung von chemischen Modellen die Schadstoffemission, deren Export aus und der Eintrag nach Berlin aufgeschlüsselt. Ziel der detaillierten Zuordnung ist es, die Maßnahmenplanung der Berliner Verwaltung zur Luftreinhaltung zu unterstützen. Schon jetzt geht Eberhard Reimer davon aus, dass gegen Grenzwertüberschreitungen hauptsächlich beim Berliner Verkehr und zum Beispiel bei den Dieselrußpartikeln angesetzt werden muss.

Weitere Informationen erteilt Ihnen gern:
Dr. Eberhard Reimer, Troposphärische Umweltforschung (TrUmF), Institut für Meteorologie der Freien Universität Berlin, Tel.: 030 / 838-71190, E-Mail: trumf@zedat.fu-berlin.de

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Ilka Seer idw

Weitere Informationen:

http://secus.met.fu-berlin.de

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