Entwicklung umweltschonender Aquakulturverfahren zur Entlastung des Meeres

Der Biologe Dr. Jens Kahle holt die Seezunge an Land. In großen Tanks will er am Wilhelmshavener Forschungszentrum TERRAMARE den schmackhaften Plattfisch zur Marktreife heranmästen. Das zumindest ist das Ziel der Arbeiten, die Kahle mit seinem Projekt „Entwicklung umweltverträglicher Aquakulturverfahren zur nachhaltigen Kultur mariner Organismen in geschlossenen Systemen“ verfolgt. Am Ende des Projektes steht, so hofft Kahle, eine fischgerechte und sehr umweltschonende Anlage, die den Menschen hilft, ihren Appetit auf Fisch – und damit hochwertiges Eiweiß – zu stillen. Wichtiger „Nebeneffekt“: Der Wissenschaftler wird zum Unternehmer und damit zum potentiellen Arbeitgeber.

Fisch ist gesund. Dafür sprechen nicht nur Befunde, die an traditionell häufig Fisch konsumierenden Bevölkerungsgruppen der Welt erhoben wurden. Doch die Flossentiere werden knapp: Die Neufundlandbänke vor Kanada etwa, jahrhundertelang buchstäblich eine feste Bank für den Kabeljaufang, sind leergefischt. Auch in der Nordsee geht es den Beständen vieler Fischarten, wie Hering, Makrele, Kabeljau und Scholle, nicht gut. Entschärft werden könnte die sich zuspitzende Situation durch leistungsfähige Aquakulturverfahren. Doch Fisch-, Shrimp- oder Muschelfarming, wie es bislang betrieben wird, kann zu einer Belastung der Meere führen, zum Beispiel durch hohe Kotmengen, Einsatz von Medikamenten bei auf engstem Raum gehaltenen Meerestieren, oder durch die Gammelfischerei, die Fischmehl als den wichtigsten Rohstoff für die Fischfutterindustrie liefert, und vieles mehr.

Jens Kahle will einen anderen, einen neuen Weg gehen. „Integrierte Aquakultur“ heißt die Zauberformel, mittels derer Meeresorganismen an Land umweltgerecht und weitestgehend unabhängig vom Meer produziert werden sollen. Viel Entwicklungsarbeit ist in diesem Zusammenhang noch zu leisten: Wie etwa organisiert man die Zuchtbassins am besten? Lassen sie sich stapeln? Wieviele Fische können auf wieviel Oberfläche bei welchem Wasservolumen auf gesunde Weise heranwachsen? Ist Ganzjahresbetrieb, z.B. unter Einbeziehung von „Gewächshäusern“, möglich oder ist eine saisonale Strukturierung vorteilhafter? Kahle wird für die Beantwortung derartiger Fragen auch mit Dr. Uwe Waller vom Institut für Meereskunde an der Universität Kiel kooperieren. Waller arbeitet u.a. am Aufbau einer Wolfsbarschzucht. Die Kieler Forscher unterstützen Kahle auch mit Schiffseinsätzen zum Fang erwachsener Tiere, für die Nachzucht an Land.

Die Seezunge ist ein beliebter Speisefisch, für den sich hohe Preise erzielen lassen. So schlägt ein Kilo Seezunge, wenn es sich um größere Tiere ab etwa 500 g Gewicht und 30 bis 35 cm Länge handelt, mit ca. 30 Euro zu Buche. Wegen der lukrativen Preise betreiben in der Nordsee vor allem moderne holländische Baumkurrenkutter Seezungenfang, so daß sich die Situation für die Seezunge zukünftig weiter verschlechtern dürfte. Der Internationale Rat für Meeresforschung ICES beurteilte die Situation im Jahr 2000 so: Zwar hatte „der Bestand … 1998 seinen … niedrigsten Stand erreicht und sich seitdem wieder deutlich erholt.“ Doch wird der Seezungenbestand, so der ICES weiter, außerhalb sicherer biologischer Grenzen bewirtschaftetet. Das heißt, es bleiben nicht genügend erwachsene Tiere, um den Bestand zu halten oder zu vergrößern. Hier nun setzt das Projekt Kahles an: In den Tanks an Land soll ein Kreislaufsystem entstehen, dem – wenn überhaupt – nur minimale Mengen natürlichen Meerwassers zugeführt werden, das sich mit Hilfe von Tangen und Muscheln selber reinigt und sowohl Fische von der Larve bis zum marktreifen Tier als auch die notwendigen Futtertiere produziert. Hauptprodukt sollen zunächst die Seezungen sein, aber auch Muscheln, Algen und Würmer könnten vermarktet werden.

Vermarktbare Produkte sind ein wichtiges Ziel Kahles, denn sein Projekt, so will er es und so will es die EU als Förderer, soll in die berufliche Selbständigkeit führen. Dies ist die Bedingung, die die Europäische Union in ihrer Zielgebiet-2-Förderung an die Vergabe von EFRE (Europäischer Fonds für regionale Entwicklung) – bzw. ESF (Europäischer Sozialonds)-Mitteln knüpft. Antragsberechtigt für diese Art der Förderung sind ausschließlich Hochschulen in den entsprechenden Gebieten.

Kahles Projekt läuft über einen Zeitraum von drei Jahren und hat ein Finanzvolumen von rund 540 000 Euro. Die Hälfte davon ist inzwischen aus Mitteln der EU-Strukturförderung bewilligt. Die andere Hälfte stellen TERRAMARE, das Kieler Institut für Meereskunde sowie die Universität Oldenburg in Form von Infrastruktur und Personal bereit.

Media Contact

Dr. Sibet Riexinger idw

Weitere Informationen:

http://www.terramare.de

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