Grüne Invasoren – Europäer weltweit am erfolgreichsten in Großstädten

Die Ergebnisse einer weltweiten Studie zur Verbreitung von Pflanzen in städtischen Lebensräumen, bei der zum ersten Mal weltweit verschiedene Großstädte der nördlichen Hemisphäre untersucht wurden, liegt jetzt vor. Dabei stellte sich heraus, dass europäische Pflanzen am erfolgreichsten sind.

Prof. Dr. Norbert Müller vom Fachbereich Landschaftsarchitektur der FH Erfurt hat eine weltweite Studie zur Verbreitung von Pflanzen in städtischen Lebensräumen durchgeführt, bei der zum ersten Mal weltweit verschiedene Großstädte der nördlichen Hemisphäre untersucht wurden. Die Ergebnisse liegen jetzt vor: Bei der Besiedlung städtischer Lebensräume sind Pflanzen aus Europa weltweit besonders erfolgreich.

Von Los Angeles, San Francisco über New York, Berlin, Rom und Yokohama (Großraum Tokio) spannt sich der Bogen der untersuchten Städte, in denen der Erfurter mit Kollegen von Universitäten und Botanischen Gärten im letzten Jahr zusammen arbeitete. Dabei ging es um die Frage welche die erfolgreichsten Wildpflanzen (spontan wachsenden Gefäßpflanzen) in diesen städtischen Ballungsräumen sind. Denn neben den mit viel Geld angelegten Zierpflanzen und Straßenbäumen machen die Wildpflanzen – häufig auch geringschätzig als Unkräuter bezeichnet – den Hauptanteil der Biomasse in der Stadt aus. Und damit sind sie hauptverantwortlich für die Wohlfahrtswirkungen der pflanzlichen Biomasse für die Menschen in der Stadt, wie die Minderung der Extreme des Stadtklimas und das Naturerleben. Auch für die Grünplanung und Pflanzenverwendung in Städten ist es wichtig zu wissen, welche Arten am besten mit den besonderen Lebensbedingungen in der Stadt zurechtkommen. Aus Naturschutzgründen stellt sich im Zusammenhang mit der Biodiversitätskonvention (Internationales Abkommen zur Sicherung der Vielfalt auf Grund des Umweltgipfels in Rio) die Frage, welche Rolle gebietsfremde Arten spielen und wie sie bewertet werden sollen. Denn allgemein weisen Städte durch das verstärkte Auftreten fremdländischer Arten eine höhere Biodiversität als ihr Umland auf.

Die Studie verdeutlicht, dass durch den internationalen Handel und mit dem Überwinden biogeographischer Barrieren ab dem 16. Jahrhundert die Pflanzenwelt in Großstädten zunehmend von fremdländischen Arten beeinflusst wird. Dies stellt sich aber beim Vergleich der Großstädte ganz unterschiedlich dar (vgl. Abb. Herkunftsgebiete/ Anlage). So überwiegen unter den 50 häufigsten Stadtpflanzen in Berlin und Rom mit 70 % deutlich die einheimischen Arten. Für Berlin zählen beispielsweise Schafgarbe, Beifuß und Birke zu den häufigsten einheimischen Arten, die aus Lebensräumen der Urlandschaft in die städtischen Lebensräume eingewandert sind. Auffallend für diese beiden alten europäischen Städte ist auch der relativ hohe Anteil (15 %) an heimatlosen (neogenen) Pflanzen, das heißt Arten die erst im Zuge der Stadtentwicklung entstanden sind wie das Hirtentäschel, das Einjährige Rispengras oder der Weiße Gänsefuß. Obwohl in beiden Städten vor allem im 18. und 19. Jahrhundert sehr viele Arten aus Nordamerika und Asien eingeführt wurden, konnten sich nur einige wenige so ausbreiten, dass sie heute sehr häufig auftreten. Das sind z. B. die bereits 1670 aus Nordamerika eingeführte Robinie und der 1780 aus China eingeführte Götterbaum. Beide sind allerdings inzwischen so erfolgreich, dass sie außerhalb von Städten z. T. als starke Bedrohung der Biodiversität der einheimischen Pflanzenwelt angesehen werden. Anders in amerikanischen Großstädten, wo der Anteil gebietsfremder Arten über 80 % ausmacht und aus Europa eingeführte Arten deutlich vorherrschen. So ist in New York der als Küchenkraut bewusst eingeführte Beifuß inzwischen ebenso häufig wie unbewusst mit Rasensaatgut verschleppte Arten aus Europa wie Löwenzahn, Spitzwegerich und Einjähriges Rispengras. Aber auch als Straßenbäume eingeführte Arten wie Spitz- und Bergahorn sind zwischenzeitlich voll eingebürgert und besiedeln die Brachflächen in der Stadt. In San Francisco spielt neben den unbewusst verschleppten Europäern der Gemüsefenchel aus Südeuropa eine große Rolle. In Los Angeles kommen häufige europäische Stadtarten wie Weidelgras, Mäusegerste und Kompas-lattich hinzu.

Neben den europäischen Immigranten gibt es allerdings auch eine Reihe von Pflanzen die als Zierpflanzen aus anderen Kontinenten eingeführt wurden. So ist der aus China einge-führte Götterbaum häufig in Los Angeles und New York zu finden. Der erfolgreichste Baum in San Francisco ist der Eucalyptusbaum aus Australien und in Los Angeles trifft man allenthalben das bis zu 3 Meter hoch werdende Pampasgras aus Südamerika.

Wie kann man diesen unterschiedlichen Erfolg grüner Invasoren in Großstädten erklären? Ein Grund ist sicher, dass die europäischen Einwanderer viele ihrer lieb gewonnenen Zier- und Nutzpflanzen nach Amerika mitbrachten und kultivierten. Durch die rasch wachsenden Städte im 17. und 18. Jahrhundert und die neu entstandenen speziellen urbanen Standorte fanden die europäischen Stadt- und Zierpflanzen günstige Bedingungen für ihre Naturalisation (d. h. Einbürgerung). Anders verhält es sich in Europa, wo zwar mindestens genau so viele Zierpflanzen aus anderen Kontinenten eingeführt wurden, das Wachstum der Städte und damit die Anpassung der heimische Pflanzenwelt bis zur Entwicklung eigener Stadtarten bereits vor dem Fallen der biogeographischen Barrieren einsetzte.

Wie verhält es sich mit der Großstadtflora in Japan? Bekanntermaßen führte Japan bis ins 19. Jahrhundert politisch und handelsmäßig ein Inseldasein. In der 3 Millionen Stadt Yokohama im Großraum Tokio sind unter den 50 häufigsten Stadtpflanzen immerhin noch 50 % einheimische Arten. Europäische Arten wie z. B. Löwenzahn und Rispengras halten sich mit amerikanischen Immigranten wie Kanadisches Berufskraut und Robinie die Waage. Der hohe Anteil gebietsfremder Arten gegenüber den europäischen Städten lässt sich damit erklären, dass mit der Öffnung der Insel auch ein explosionsartiges Wachstum der Städte einsetzte und damit erfolgreiche Stadtpflanzen aus anderen Kontinenten sich etablieren konnten.

Gibt es die idealen Stadtpflanzen und woher kommen sie? Weltweit sind unter den Kräutern und Gräsern europäische Arten wie z. B. Spitzwegerich und Weißklee mit Abstand am erfolgreichsten. Auch in Coevolution mit dem Wachstum der europäischen Städte entstandene Arten (neogene Arten) wie Einjähriges Rispengras und Weißer Gänsefuß sind sehr erfolgreich. Alle haben von Natur aus besondere Anpassungen an die speziellen ökologischen Bedingungen in der Stadt oder im Zuge der Evolution urbaner Standorte sich diese erworben, wie z. B. hohe Samenproduktion, Trittverträglichkeit und rasche Regenerationsfähigkeit. Unter den Bäumen sind zwei Arten weltweit besonders erfolgreich: die Robinie aus Nordamerika und der Götterbaum aus China. Auch sie haben besondere Strategien. So vermehrt sich die Robinie durch Samen und durch Wurzelbrut und hat die Fähigkeit, den Stickstoff aus der Luft zu nutzten. Der Götterbaum hat neben einer enormen Samenproduktion auch die Fähigkeit pro Jahr bis zu 3 Meter in die Höhe zu wachsen. Damit entzieht er sich häufig der traditionellen Pflege des Gärtners, da er als angepflanzt betrachtet wird.

Wie soll mit den grünen Invasoren umgegangen werden? In Berlin wurde z. B. ein 40 Jahre lang brach gefallenes Bahngelände mit Waldbeständen der amerikanischen Robinie unter Naturschutz gestellt. New York bekämpft fremdländische Arten aktiv und hat die Pflanzung bestimmter Arten wie den europäischen Spitzahorn verboten. Diese unterschiedliche Wertung ist nach den Studienergebnissen auf den ersten Blick verständlich.

Angesichts der internationalen Biodiversitätskonvention wo es um „die Erhaltung der Variabilität unter lebenden Organismen jeglicher Herkunft“ geht, muss man die Entwicklung urbaner Landschaften und die damit verbundene Ausbreitung gebietsfremder Arten jedoch differenzierter behandeln. Denn die Entwicklung urbaner Landschaften kann im Laufe ihrer Geschichte ebenso wie die anderer Landnutzungsformen so z. B. der Wiesennutzung in Mitteleuropa zu einer Erweiterung der Biodiversität der Arten und Lebensräume führen. Die Bekämpfung gebietsfremder Arten ist darum nur gerechtfertigt, wenn durch sie nachweislich ein Rückgang der Biodiversität ausgelöst wird. Dies sollte im Einzelfall überprüft werden. Ebenso wichtig ist es aber auch – nach dem Vorsorgeprinzip – bei der Ausbringung nicht heimischer Arten in Städten kritischer vorzugehen. Schon im Vorfeld sollte geklärt werden, von welchen Arten eine potentielle Gefährdung ausgehen könnte und auf diese sollte verzichtet werden.

Kontakt:
Prof. Dr. Norbert Müller
E-Mail: n.mueller@la.fh-erfurt.de

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Roland Hahn idw

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