Konsequenzen aus der Flutkatastrophe

Vorsorge braucht interdisziplinäres Expertenwissen – Leibniz-Wissenschaftler stellen fest: „Hochwasserschutz beginnt nicht im Katastrophengebiet!“ – Allgemeine Versicherungspflicht fördert nachhaltige Schutzmaßnahmen

Über Sofortmaßnahmen hinausdenken – allgemeine Versicherungspflicht gegen Elementarschäden

Hochwasserkatastrophen wie die Jahrhundertflut werfen jenseits der staatlichen und privaten Soforthilfe die Frage nach einer Strategie zu ihrer Vermeidung auf. Wie können künftige Risiken vermieden werden? Dabei geht es nicht nur um ingenieurwissenschaftliche Erkenntnisse. Ebenso spielen geeignete ökonomische Anreize eine große Rolle. Angesichts der wiederkehrenden katastrophalen Naturereignisse, die hohe Schäden auch aufgrund ungeeigneter Vorsorgemaßnahmen verursachen, stellt sich die generelle Frage, wie moderne Volkswirtschaften Elementarrisiken wirkungsvoll begegnen können. In seinem aktuellen Wochenbericht diskutiert das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) unterschiedliche wirtschaftswissenschaftliche Lösungsansätze (abzurufen im Internet über www.diw.de).

Letztlich wäre – so das DIW Berlin – eine allgemeine Versicherungspflicht gegen Elementarschäden, wie man sie aus der Automobilhaftpflicht oder aus der industriellen Umwelthaftpflicht kennt, die beste Lösung. Eine solche Versicherung würde für den Versicherten die zu erwartende Entschädigung kalkulierbar machen. Gleichzeitig – und das ist langfristig noch wichtiger – wäre ein Anreiz zur Prävention geboten, weil die zu zahlende Prämie durch individuelle Schutzmaßnahmen wie Rückstauvorrichtungen und angepasste Baustoffe gesenkt werden kann. Damit könnten nicht allein die Opfer einer künftigen Katastrophe entlastet, sondern längerfristig auch der Ausbau von kollektiven Schutzmaßnahmen positiv beeinflusst werden, wodurch das Risiko insgesamt gesenkt würde. Welche kollektiven Maßnahmen sind denkbar? Auch darauf wissen Leibniz-Wissenschaftler eine Antwort.

Deichrückverlegung – Instrument zur Vergrößerung der Überflutungsflächen

Prag, Passau, Dresden – das sind nur die drei größten Städte, die unter der jüngsten Flutkatastrophe extrem zu leiden hatten. „Was bei der Berichterstattung aber leider immer außer Acht gelassen wird, ist die Tatsache, dass Hochwasser nicht an diesen Orten selbst entsteht. Was fehlt, ist ein Denken in Wassereinzugsgebieten. Denn Flüsse und Auen machen nur circa sieben Prozent der Fläche der Bundesrepublik aus, müssen aber nahezu die Niederschläge des gesamten Landes aufnehmen“, erklärt der Biologe Dr. René Schwartz vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) in Berlin. Schwartz beklagt eine Reihe von Fehlentwicklungen. Dazu gehört zum Beispiel die zunehmende Flächenversiegelung. Eine Verminderung der Flutgefahr kann nach seiner Einschätzung mit der so genannten „Deichrückverlegung“ erreicht werden, bei der die Schutzwälle in größerem Abstand zum Flussufer angelegt werden: „Deichrückverlegungen schaffen mehr Überflutungsflächen am Fluss, die im Hochwasserfall dringend benötigt werden.“ Am 28. August 2002 wurde nun ein Großprojekt bewilligt, das genau diesen Vorschlag aufgreift: Mit insgesamt 6,2 Millionen Euro unterstützen das Bundesumweltministerium und das Bundesamt für Naturschutz ein umfangreiches Deichrückverlegungsprojekt an der unteren Mittelelbe bei Lenzen. Das Projekt soll Modellcharakter für die zukünftige Auenentwicklung der großen Flüsse in Deutschland haben. Durch die Rückverlegung des Hochwasserschutzdeiches entstehen an der Elbe rund 400 Hektar zusätzliche Überflutungsflächen. Wissenschaftler des IGB wollen zusätzlich ein Forschungsprojekt beantragen, das die Wirksamkeit der Deichrückverlegung als zentrales Instrument des vorsorgenden Hochwasserschutzes untersuchen wird.


Leibniz-Wissenschaftler veröffentlichen Sieben-Punkte-Programm

Auf die integrierte Betrachtung aller Faktoren, mit denen durch gesellschaftliches Handeln Hochwasserschäden verringert werden können, zielt ein Sieben-Punkte-Programm ab, das jüngst vom Institut für ökologische Raumentwicklung in Dresden (IÖR) vorgelegt wurde. Es plädiert für ein komplexes Verständnis des Hochwasserproblems sowie für eine stärkere Beachtung der planerischen Umsetzung von Maßnahmen des vorsorgenden Hochwasserschutzes. Hierzu bedarf es eines verbesserten Transfers wissenschaftlicher Erkenntnisse in gesellschaftliches Handeln sowie der Förderung der Zusammenarbeit zwischen den gesellschaftlichen Akteuren in Flussgebieten. „Unser Programm wurde nicht aus rein hydrologischer, hydraulischer, technischer oder ausschließlich ökologischer Sicht konzipiert. Vielmehr verfolgt es einen ganzheitlichen und anwendungsorientierten Ansatz. Mit ihm sollen die Voraussetzungen für die Berücksichtigung der Erfordernisse des Hochwasserschutzes erheblich weiterentwickelt werden“, erklärt Landschaftsökologe Jochen Schanze. Die IÖR-Wissenschaftler fordern unter anderem eine Verbesserung der Informationen über Ursachenzusammenhänge, die Verringerung der potenziellen Schäden in den Überschwemmungsgebieten, eine integrierte gesamträumliche Vorsorgeplanung für ganze Flusseinzugsgebiete, die dazu notwendige Intensivierung von regionalen Kooperationen sowie eine Ausweitung der länderübergreifenden und grenzüberschreitenden Zusammenarbeit. Als Basis hierfür betonen sie nicht zuletzt den Bedarf für die Entwicklung und Nutzung von Informations- und Steuerungstechnologien für fortlaufend aktualisierbare und allgemein zugängliche Daten über mögliche und akute Hochwassergefahren sowie geeignete Handlungsoptionen. Weitere Informationen können beim IÖR erfragt werden (www.ioer.de oder j.schanze@ioer.de).

Kontakt:
Dr. Frank Stäudner
Tel.: 0 30/20 60 49 42
Fax: 0 30/20 60 49 55
E-Mail: staudner@wgl.de


DIW, IGB und IÖR gehören zu den 79 außeruniversitären Forschungsinstituten und Serviceeinrichtungen für die Forschung der Leibniz-Gemeinschaft. Das Spektrum der Leibniz-Institute ist breit und reicht von den Natur-, Ingenieur- und Umweltwissenschaften über die Wirtschafts-, Sozial- und Raumwissenschaften bis hin zu den Geisteswissenschaften und Museen mit angeschlossener Forschungsabteilung. Die Institute beschäftigen rund 12.000 Mitarbeiter und haben einen Gesamtetat von 820 Millionen Euro. Sie arbeiten nachfrageorientiert und interdisziplinär und sind von überregionaler Bedeutung. Da sie Vorhaben im gesamtstaatlichen Interesse betreiben, werden sie von Bund und Ländern gemeinsam gefördert.


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