Eine Strategie für die Hochwasservorsorge

In einem Forschungsprojekt an der TU Darmstadt ist ein Konzept für „differenzierten Hochwasserschutz“ entwickelt worden, mit dem die Schäden auch bei extremen Hochwassern minimiert werden können.

Hochwasserkatastrophen können – wie derzeit schmerzhaft erfahrbar – ganze Regionen wirtschaftlich wie sozial existenziell bedrohen. Das gilt für alle Flüsse. Anerkannt ist dabei allgemein, dass in Extremfällen technische Maßnahmen den notwendigen Hochwasserschutz nicht gewährleisten können. Deiche helfen höchstens bei „normalen“ Hochwasserwellen.

Seit 1995 werden am Fachgebiet Umwelt- und Raumplanung der TU Darmstadt von Prof. Hans Reiner Böhm und seinem Team Möglichkeiten erforscht, durch Steuerung der Raumnutzung Schadenspotenziale zu mindern und Überflutungsräume freizuhalten. Anfang Juli 2002, unmittelbar vor den Ereignissen an der Elbe, wurde von Dipl.-Ing. Peter Heiland eine Strategie zur Vorsorge vorgestellt, die auf drei Ansätzen basiert:

· Regionalpläne

Sie müssen eindeutig die Gefährdungsgebiete kennzeichnen, potenziell betroffene Gemeinden und Bauherren informieren und so zur Vorsorge führen; auch ungeliebte Baubeschränkungszonen dürfen nicht weiter tabuisiert werden. Die Baulandnutzung muss wieder den natürlichen Gegebenheiten folgen.

· Kooperation entlang von Flüssen

Die Abstimmung von Maßnahmen wie Polderschaffung und Katastrophenschutz müssen von allen Gemeinden und Regionen am Fluss akzeptiert und getragen werden; das erfordert eine Verbesserung der Zusammenarbeit.

· Ökonomische Instrumente zum Lastenausgleich

Spenden und Soforthilfen sind wichtig, wenn die Katastrophe eingetreten ist. Generell fehlen jedoch im Finanzierungssystem beim Hochwasserschutz ausreichende Anreize für Gemeinden und Regionen, vorsorgende Maßnahmen zum Vorteil anderer (unterhalb am Fluss) zu ergreifen. Es ist deshalb notwendig, Hochwasserschutzfonds für das gesamte Flusseinzugsgebiet aufzubauen.

Konzepte zum „differenzierten Hochwasserschutz“ müssen neu überdacht werden: Dabei werden oberhalb der neuralgischen Abschnitte mit hohem Schadenpotenzial große Räume identifiziert, die sich durch geringere Schadenspotenziale auszeichnen und im extremsten Katastrophenfall zum Schutz von großen Städten oder umweltbelastenden Industrien geflutet werden. Die so entstehenden Verluste würden wesentlich geringer ausfallen, als „zufälliges“ Deichversagen. Sie müssten vollständig (z.B. aus o.g. Hochwasserschutzfonds) ersetzt werden. Erste Studien dazu existieren. Die Fortführung bzw. Umsetzung scheitert bislang an mangelnder Akzeptanz, was aus der Sicht der „Opferräume“ verständlich ist. Angesichts der Lage, wie sie jetzt an der Elbe eingetreten ist, müssen diese Konzepte aber weiter entwickelt werden!

Durch zügige Umsetzung der vorgeschlagenen Ansätze muss mittelfristig (auch im Rahmen der Schadensbeseitigung an der Elbe) erreicht werden, dass Schadenspotenziale geringer werden und die Gefährdeten besser um die Gefahr wissen.

Hochwassergefahren im Raum Darmstadt

Für das hessische Ried ist ein Schutz gegen Hochwasser des Rheins vorgesehen, die statistisch gesehen etwa einmal in 200 Jahren auftreten. Allerdings sagen diese Planungsgrundsätze nichts über die tatsächliche Gefährdung aus. Derzeit erfolgt die Sanierung der hessischen Rheindeiche, sie ist allerdings noch nicht abgeschlossen.

Bei so extremen und andauernden Niederschlägen wie im Elbe-Einzugsgebiet und bei einer ungünstigen räumlichen Verteilung entlang der Zuflüsse sind Deichüberflutungen oder Deichversagen auch am Rhein nicht auszuschließen. Die Zuflüsse können ergänzend zu erheblichen Problemen führen. Grundwasserstände steigen bei langanhaltenden Hochwassern in Talauen an und bleiben oft nach dem Abfließen der Hochwasserwelle länger bestehen. Im Unterschied zur Elbe sind am Rhein die Deichsysteme i.d.R. besser intakt, die Fließmodelle besser erprobt und die Hochwasservorhersagen langfristiger und präziser möglich. Nicht zuletzt durch umfangreiche EU-geförderte Projekte der Bundesländer konnten hier in den letzten Jahren große Fortschritte erzielt werden.

Dennoch: Eine vergleichbare Katastrophe ist auch für das hessische Ried – unabhängig von den Deichsanierungen – möglich. Sowohl eine Überspülung, als auch das Durchweichen von Deichen ist niemals auszuschließen.

Aktuelle Karten der Internationalen Kommission zum Schutz des Rheins, Studien für das Hessische Ried sowie Karten der Überschwemmungen von 1882/83 weisen eindeutig aus, dass bei Deichbrüchen oder Deichüberschwemmungen am Rhein bis zu 400 km² überschwemmt werden könnten. Die Überschwemmungsgrenze verliefe im Extremfall zwischen Griesheim und Wolfskehlen. Die Schäden können allein im Hessischen Ried eine Mrd. Euro erreichen.

Wenn alle derzeitigen kommunalen Planungen in diesem Gebiet realisiert werden sollten, vergrößern sich die gefährdeten Siedlungs- und Gewerbeflächen um weitere 400 ha, die maximalen Schäden steigen um mehrere hundert Mio. Euro.

Weitere Informationen: Dipl.-Ing. Peter Heiland, Tel. 06151/16 3241, E-mail p.heiland@iwar.tu-darmstadt.de, Prof. Dr.-Ing. Hans Reiner Böhm, Tel. 06151/16 2248

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