Das Klima-Wende-Jahr Bilanz und Ausblick zur Jahreswende

Nach der konstruktiven Rolle, die Deutschland beim Ratstreffen der
EU-Staats- und Regierungschefs in Brüssel, beim G8-Gipfel in Heiligendamm und schließlich bei der Weltklimakonferenz von Bali gespielt hat, gilt unser Land zum Jahreswechsel 2007/2008 weltweit als Antreiber und Hoffnungsträger im Kampf gegen den sich beschleunigenden Klimawandel. Das ist gut so und auch ein Verdienst von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundesumweltminister Sigmar Gabriel. Im Umkehrschluss bedeutet dieser Befund: Deutschland und seine führenden Repräsentanten stehen klimapolitisch wie nie zuvor unter Beobachtung der Weltöffentlichkeit.

Gefragt sind also Konsistenz und Kontinuität, nicht Kontrast und Dementi.

Umso deprimierender wirkt deshalb die in geradezu grotesker Einigkeit und zum Teil in albern schrillem Ton vorgetragene Kritik der politischen Eliten in Deutschland an den Beschlüssen der EU-Kommission zur Treibhausgasreduzierung von in Europa künftig verkauften Pkw. Nicht einmal eine Woche nach den Beschlüssen von Bali formierte sich im Klimaschutz-Vorreiterland Deutschland eine lange nicht gesehene Einheitsfront, die von der Bundeskanzlerin über den Bundesumweltminister, den Bundeswirtschaftsminister, dem deutschen EU-Industriekommissar bis hin zu den Ministerpräsidenten der drei Auto-Bundesländer Bayern, Baden-Württemberg und Niedersachsen reichte. Sie alle stellten sich als Lobbyisten vor eine Branche, von der die Brüsseler EU-Kommission im Jahr 2008 Klimaschutzmaßnahmen einfordert, die die Zunft der Autohersteller vor fast zehn Jahren selbst verbindlich zugesagt, aber dann nicht eingehalten hatte. Die Selbstverpflichtung stammt aus einer Zeit, als der Klimawandel Vielen nur als Möglichkeit erschien und noch nicht als Realität wie heute.

„Bei der ersten Gelegenheit, nach Bali abstrakte Klimaschutzziele und konkretes Handeln zur Deckung zu bringen, hat Deutschland grandios versagt. Unsere politische Elite hat sich exakt so verhalten, wie Bremserstaaten beim Klimaschutz, denen wir noch vor wenigen Tagen und zu Recht klimapolitische Ignoranz vorgeworfen haben. Beim Thema Auto betreibt Deutschland knallharte Lobbyarbeit für vier Autobauer und gegen den Klimaschutz“, erklärte Jürgen Resch.

Deutschland kann im Kampf gegen den Klimawandel nur dann Eigengewicht entwickeln und glaubwürdig sein, wenn die auf der internationalen Bühne demonstrierte Ernsthaftigkeit zu Hause ihre Entsprechung findet: „Bundeskanzlerin Angela Merkel spielt international zweifellos in der Champions-League des Klimaschutzes, dann wollen wir zu Hause keine Kreisklassenspiele sehen“, sagte Rainer Baake und forderte die Kanzlerin auf, dem Jahr der Ankündigungen das Jahr der Taten für den Klimaschutz folgen zu lassen. Das nationale CO2-Reduktionsziel von 40 Prozent weniger Kohlendioxid-Emissionen bis 2020 gegenüber 1990 sei nur zu erreichen „wenn Klimaschutz zur Leitschnur und Querschnittsaufgabe der gesamten Regierungspolitik wird und nicht länger Kampffeld divergierender Ressortinteressen bleibt“. Solange der Schutz des Klimas von einem Ressort als Belastung, vom anderen als Chance verstanden werde, sei die gegenseitige Blockade programmiert. Auch Bund und Länder müssten auf dem klimapolitischen Feld stärker als bisher in dieselbe Richtung laufen und diese Absicht insbesondere im einheitlichen Umweltgesetzbuch (UGB) dokumentieren, dessen Realisierung 2008 in die entscheidende Phase tritt.

„Das UGB ist das wichtigste umweltpolitische Gesetzesvorhaben im kommenden Jahr. Es darf sich am Ende nicht begnügen mit einer juristisch zwar anspruchsvollen, aber inhaltlich nur verwaltenden Verkopplung bisheriger Einzelgesetze. Das UGB muss als Zukunftsgesetz verstanden und entsprechend ausgestaltet werden, gerade beim Klimaschutz.“ Nur ein UGB, das die Jahrhundertherausforderung Klimaschutz offensiv angeht, wird den aktuellen Herausforderungen gerecht. „Wir brauchen z.B. eine Pflicht zur Kraft-Wärme-Koppelung bei der Stromerzeugung und neue Kohlekraftwerke darf es nur noch mit funktionierender CO2-Abscheidung geben“, so Rainer Baake.

Im nationalen Maßstab werde das Jahr 2007 nur dann als deutsches Wendejahr im Klimaschutz in die Geschichte eingehen, wenn die seit dem Sommer vorbereiteten Gesetzesvorhaben im Jahr 2008 nicht weiter verwässert und konsequent jenseits von Einzelinteressen ausgestaltet werden. „Selbst wenn das gelingt, wird das ´Meseberg-Paket´ nicht ausreichen, um das nationale Klimaziel einer Emissionsminderung um 270 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr bis 2020 zu erfüllen – aber immerhin als Startsignal Lust auf mehr machen“, sagte Resch.

Verlässlich an der Klimapolitik der Bundesregierung sei im Jahr 2007 einzig „die tiefe Kluft zwischen internationalem Auftritt, nationaler Proklamation und praktischem Stillstand“ gewesen.

Beispiel Energiepolitik

Anstatt mit dem Rückenwind der klimapolitischen Debatte die begonnene Energiewende voranzutreiben, bremsten die in der großen Koalition dominanten divergierenden Kräfte 2007 den Fortschritt. Die einen wünschen sich – trotz Terrorgefahren, kritischer Störfälle in alternden Reaktoren und Stillstand in der Entsorgungsfrage – die Rolle rückwärts in die atomare Unbedenklichkeit. CDU und CSU machen sich so zum Sprachrohr des Stromoligopols in Deutschland, einzig gebremst von einer Kanzlerin, die sich – noch – an den Koalitionsvertrag gebunden fühlt, der den Atomkonsens bestätigt. Die andern glauben kleinmütig und in anachronistischen Traditionen gefangen, ausgerechnet jetzt einem Arsenal neuer Braun- und Steinkohlekraftwerke den Weg bereiten zu müssen, deren Realisierung jeder ambitionierten und langfristig angelegten Klimaschutzstrategie die Grundlage entzöge. Das Ergebnis dieser ideologisch aufgeladenen Differenz könnte 2008 die Blockade oder Verwässerung zahlreicher Gesetze und Verordnungen sein, die für reale Fortschritte im Klimaschutz unverzichtbar sind. Soweit darf es nicht kommen.

Würden die etwa zwei Dutzend in Deutschland geplanten, beantragten oder im Bau befindlichen Kohlekraftwerke alle tatsächlich realisiert, entspräche ihre jährliche Treibhausgaslast der des gesamten heutigen Straßenverkehrs. „Jedes weitere Kohlekraftwerk ist unvereinbar mit dem von der Bundesregierung bis 2020 angestrebten Klimaziel von minus 40 Prozent CO2 gegenüber 1990“, sagte Baake. Weil einige im Bau befindliche oder rechtskräftig genehmigte Kohlekraftwerke in jedem Fall realisiert werden, müssen im Gegenzug alte, ineffiziente Kohlekraftwerke modernisiert oder schneller als bisher geplant vom Netz genommen werden.

Die Ausgestaltung der im Schloss Meseberg verabredeten Gesetzesvorhaben wird darüber entscheiden, ob der dynamische Auf- und Ausbau der erneuerbaren Energien 2008 und darüber hinaus weiter geht oder ob er einbricht. Dem Aufschwung der Erneuerbaren droht in etwa 5 Jahren ein Ende, wenn jetzt nicht die Frage der Netzintegration offensiv angegangen wird. Wir brauchen ein wesentlich intelligenteres Netzmanagement, eine Verstärkung und Modernisierung des bestehenden Leitungsnetzes und auch neue Leitungen. Diese gehören in der Nähe von Siedlungsgebieten und dort, wo es Konflikte mit dem Naturschutz gibt, unter die Erde.

Baake warnte auch vor der Illusion, der Weiterbetrieb der Atomkraftwerke über die im Atomausstiegsgesetz im Einvernehmen mit den AKW-Betreibern festgelegten Laufzeiten hinaus könnte Deutschland und die Bundesregierung näher an die selbst gesetzten Klimaziele bringen. „Eine Laufzeitverlängerung würde die Bemühungen um eine effizientere Strombereitstellung und den Ausbau der erneuerbaren Energien zu Hause entscheidend bremsen und Deutschland im globalen Wettbewerb um die Energietechnologien der Zukunft zurückwerfen. Sie würde die Gesellschaft erneut spalten und ihr unkalkulierbare Sicherheitsrisiken bescheren.“ Er verwies auf eine aktuelle Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach für die Frankfurter Allgemeine Zeitung vom Dezember 2007, die erneut deutlich macht, dass die Deutschen mehrheitlich ohne Atomkraft leben wollen – und dies nun schon seit mehr als zwanzig Jahren. Selbst die von der Atomwirtschaft versprochene Senkung der Strompreise infolge einer Verlängerung der AKW-Laufzeiten wollen demnach nur 29 Prozent glauben – bei den erneuerbaren Energien gehen 74 Prozent von sinkenden Strompreisen aus.

Gerade das letzte Umfrageergebnis zeigt überdeutlich, wohin die Gesellschaft will. Die DUH geht nicht von sinkenden Energiepreisen auf Basis erneuerbarer Energien aus. Die Energiekosten könnten jedoch durchaus zurückgehen, wenn sich Erfolge bei der Energieeffizienz einstellen. Baake: „Die Bereitschaft in der Gesellschaft, die Energiewende weiter zu beschleunigen ist viel größer, als in Politik und Wirtschaft.“ Wie weit der Bewusstseinswandel in der Bevölkerung bereits gehe, zeige beispielhaft die Entscheidung der Bürger des Städtchens Ensdorf (Saarland), die mit einer 70-Prozent-Mehrheit (und einer ebenso hohen Abstimmungsbeteiligung) den Neubau eines 1600-Megawatt-Kohlekraftwerks des Stromriesen RWE verhinderten – obwohl der Arbeitsplätze und Milliardeninvestitionen versprochen hatte. „Die Menschen wollen keine Klima-Killerkraftwerke mehr – nicht nur in Ensdorf“, sagte Baake. Die zahlreichen Initiativen an den Standorten geplanter Kohlekraftwerke seien der Beginn einer Klimaschutzbewegung, die „nicht nur mehr vom Alten ablehnt, sondern auch das Neue aktiv wünscht.“

Die DUH wird im kommenden Jahr 2008 bundesweit aber auch vor Ort helfen, dass sich diese gesellschaftliche Strömung weiterentwickelt.

Baake rief alle politischen Lager dazu auf, den „in der Geschichte der Energiewirtschaft einmaligen Rückenwind aus der Gesellschaft für mutige Schritte in Richtung Energiewende zu nutzen, statt überholte ideologische Schlachten neu anzufachen.“

Beispiel Verkehrspolitik

„Auf keinem anderen Gebiet klaffen Anspruch und Wirklichkeit des deutschen Klimaschutzes so weit auseinander wie im Straßenverkehr.
Auch diese Kanzlerin lässt sich wie ihre Vorgänger im Amt ihre
Verkehrs- und besonders ihre Autopolitik von den deutschen Herstellern diktieren“, fasst DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch die Verkehrspolitik der Bundesregierung im Jahr 2007 zusammen.

Erstmals gab es im ablaufenden Jahr unter dem Eindruck der Klimadiskussion eine klare Mehrheit für ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen – in der Bevölkerung und, was viele verdrängen, seit dem Hamburger Parteitagsbeschluss der SPD eigentlich auch im deutschen Bundestag. Doch nicht einmal der Bundesumweltminister folgt seiner eigenen Partei, indem er die Debatte im Bundeskabinett vorantreibt.

„Ein Tempolimit würde einige Millionen Tonnen CO2 vollkommen kostenfrei einsparen, es würde Ressourcen schonen, vor allem aber würde es viele Tote nicht geben, die auch im kommenden Jahr wegen des deutschen Tempowahns sterben werden. Ein allgemeines Tempolimit in Deutschland wäre ein zivilisatorischer Fortschritt und würde die deutsche Klimapolitik im Ausland mit einem Schlag aufwerten“, so Resch. Deshalb wird die DUH die von ihr und befreundeten Organisationen gegründete Initiative „Pro Tempolimit – für Verkehrssicherheit und Klimaschutz“ 2008 vorantreiben und in der Gesellschaft eine „Koalition der Willigen“ zusammenführen. Das Ziel dieser Allianz: „Bis 2010 soll der Beschluss zur Einführung einer allgemeinen Geschwindigkeitsbegrenzung in Deutschland getroffen sein“, so Resch.

Die DUH werde auch weiterhin für ihr Konzept europaweit gültiger Verbrauchsgrenzen für alle Pkw-Modelle werben. Gerade auf diesem Feld habe sich immer wieder erwiesen, dass Selbstverpflichtungen und Freiwilligkeit nicht funktionieren. Es sei auch kein Zufall, dass erfolgreiche Lobbyarbeit der Autoindustrie dafür verantwortlich war, dass aus dem 30-Punkte-Programm von Meseberg am Ende ein 29-Punkte-Programm wurde: Das „Dienstwagenprivileg“, eine weltweit beispiellose steuerliche Subventionierung von Dienst- und Firmenwagen wurde ersatzlos aus der Klimaschutz-Agenda der Regierung gestrichen.

Die Folge dieser Politik gegen die klimapolitische Vernunft: Rund zwei Drittel der aktuellen Pkw-Neuzulassungen in Deutschland sind Dienst – und Firmenfahrzeuge. Erstmals seit rund 20 Jahren steigen die CO2-Emissionswerte bei den Neuzulassungen von Daimler und Volkswagen wieder an.

Der Widerstand gegen das Tempolimit, der Verzicht auf ehrgeizige Spritverbrauchsgrenzwerte, der Fortbestand des Dienstwagenprivilegs:

Die Beendigung aller dieser Anachronismen würde nach Überzeugung der DUH nicht nur direkt segensreich wirken, sondern darüber hinaus den Druck auf die Hersteller erhöhen, endlich Autos zu bauen, die in die heutige Zeit passen. „Die Bundesregierung muss dem Beispiel Kaliforniens und Japans folgen und sich in Brüssel für ehrgeizige Verbrauchsgrenzwerte einzusetzen – gerade und insbesondere, um die deutschen Hersteller zukunftsfähig zu machen. Nur unter dieser Perspektive werden die seit Jahren bei Umwelt-Pressekonferenzen vorgeführten deutschen Konzept-Cars auch tatsächlich in Serie gebaut“, sagte Resch.

Die Deutsche Umwelthilfe wird auch im Jahr 2008 einen Schwerpunkt beim Schutz der Erdatmosphäre setzen, ohne allerdings andere wichtige Felder zu vernachlässigen. „Wir sind uns bewusst, dass Deutschland und Europa den Klimawandel nicht allein verzögern oder gar aufhalten können. Wir sind aber auch der festen Überzeugung, dass erfolgreicher Klimaschutz in einem reichen und industriell hoch entwickelten Industrieland wie Deutschland beispielgebend und weit über das physikalische Gewicht seiner Emissionen hinaus wirken kann und wird.

Gerade deshalb war der kollektive Aufschrei gegen die Vorschläge aus Brüssel ein verheerendes Zeichen gegenüber jenen, die in Bali für oder gegen die deutschen Vorstellungen gekämpft haben“, erklärten Resch und Baake.

Die Hoffnung sei, dass sich die deutsche Politik besinnt und im Jahr 2008 nach außen und innen die Rolle annimmt, die sie sich im Jahr 2007 in vollem Bewusstsein erstritten hat. „Viele Reaktionen, wie die auf die Beschlüsse der EU-Kommission in der vergangenen Woche, wird die klimapolitisch sensible Weltpolitik den Deutschen nicht mehr durchgehen lassen“, erklärten die DUH-Bundesgeschäftsführer.

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Jürgen Resch presseportal

Weitere Informationen:

http://www.duh.de

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