Wettbewerb schiebt in Netzwerken das Wachstum an

Eine einzige neue Verbindung kann die Größe eines Netzwerkes dramatisch erhöhen – ganz gleich, ob es sich bei dieser Verbindung um einen zusätzlichen Link im Internet, eine neue Bekanntschaft im Freundeskreis oder eine weitere Verknüpfung zwischen zwei Nervenzellen im Gehirn handelt.

Zu diesem Ergebnis kommen Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Dynamik und Selbstorganisation (MPIDS), des Bernstein Center for Computational Neuroscience Göttingen und der Universität Göttingen. In der Fachzeitschrift Nature Physics legen die Forscher jetzt eine theoretische Studie vor, die erstmals den Einfluss einzelner zusätzlicher Verknüpfungen in einem Netzwerk mathematisch beschreibt. (Nature Physics, online veröffentlicht am 16.1.11)

Im Sportverein lernt man einen neuen Mitspieler kennen und verabredet sich am nächsten Wochenende zum gemeinsamen Kinobesuch. Der neue Spieler bringt drei Freunde zur Verabredung mit – und schon hat sich der eigene Bekanntenkreis durch nur einen neuen Kontakt um vier Personen vergrößert. Wachstumsprozesse dieser Art treten in vielen Netzwerken auf: Nervenzellen im Gehirn knüpfen ständig neue Verbindungen, Webseiten verlinken aufeinander und ein Flugreisender mit Grippe baut durch seine Zwischenstopps nach und nach ein Netzwerk infizierter Orte auf. Aus Sicht der Wissenschaft sind solche Vergrößerungsprozesse noch recht unerforscht: Wie verändert sich ein Netzwerk, wenn einzelne Verbindungen dazukommen? Und wie schnell kann ein Netzwerk dadurch an Größe zulegen?

Um diese Fragen zu beantworten, haben die Göttinger Wissenschaftler das Wachstum von Netzwerken Verbindung für Verbindung verfolgt. Eine neue Verknüpfung kann dabei jedoch nicht nur ein einzelnes neues Element ins Spiel bringen, sondern auch (wie im Beispiel des neuen Mitspielers im Sportverein) das Ausgangsnetzwerk mit einem weiteren vereinen. Zudem konzentrierten sich die Forscher auf eine spezielle Form des Wachstums, die eine Art Konkurrenz zwischen möglichen Verbindungen ins Spiel bringt: Stehen mehrere neue Verbindungen zur Auswahl, kommt nur diejenige zustande, die insgesamt das kleinste Netzwerk erzeugt (siehe Abbildung 1). „Es gibt Hinweise darauf, dass sich wachsende Netzwerke aus Nervenzellen bevorzugt zunächst zu kleinen Gruppen zusammenschließen und somit grob dem Wachstumsprozess folgen, den wir betrachtet haben“, sagt Jan Nagler von der Universität Göttingen und vom MPIDS.

Die Situation ist vergleichbar mit der in einem Feriencamp für Kinder, dessen Teilnehmer sich zu Beginn der Ferien alle untereinander nicht kennen. Typischerweise werden sich die Kinder zunächst in kleinen Gruppen und Paaren zusammenschließen. Will ein solches Paar nun das Netzwerk seiner Freundschaften innerhalb des Systems „Feriencamp“ vergrößern, wird es mit hoher Wahrscheinlichkeit wiederum zurückhaltend vorgehen: Es wird zunächst ein weiteres Paar oder eine kleine Gruppe ansprechen, nicht aber auf eine große Clique zusteuern. Zu Beginn der Ferien wachsen die einzelnen Netzwerke auf diese Weise zunächst nur langsam. Gegen Ende kennen sich dann alle Kinder: Das Netzwerk hat seine maximal mögliche Größe erreicht und verbindet alle Elemente des Systems.

„In unserer Studie haben wir vor allem die Übergangsphase untersucht, also die Wachstumsphase zwischen den vereinzelt verknüpften Elementen zu Beginn und dem vollständig verbundenen Gesamtsystem am Ende“, erklärt Marc Timme, Leiter der Max-Planck-Forschergruppe „Netzwerk-Dynamik“ am MPIDS. Wie schließen sich die zahlreichen kleinen Netzwerke zu einem zusammen? Entstehen mehrere große Netzwerke parallel oder entwickelt sich ein dominantes Netzwerk, das alle anderen überragt? Neben Computersimulationen gelang es den Göttinger Wissenschaftlern erstmals, mathematische Formeln herzuleiten, welche die Netzwerkentwicklung in dieser Übergangsphase Verbindung für Verbindung beschreiben.

Die Forscher fanden, dass ab einer bestimmten Anzahl neuer Verbindungen ein plötzlicher Wachstumsschub auftritt: Die Größe des größten Netzwerkes im System nimmt dramatisch zu. „Bezogen auf die Systemgröße ist dieser Sprung in kleinen Systemen dramatischer als in großen“, erklärt Nagler. Doch selbst bei Systemen, die sich aus einer gewaltigen Anzahl von Elementen zusammensetzen – vergleichbar etwa mit der Anzahl der Neuronen im Gehirn – kann sich die Größe des größten Netzwerkes sogar verdoppeln. „Auf diese Weise entstehen innerhalb eines Systems zunächst viele Netzwerke etwa derselben Größe“, so Timme. Erst spät entsteht so ein dominantes allumspannendes Netzwerk.

In einem nächsten Schritt wollen die Forscher nun identifizieren, welche Formen des Wettbewerbs zwischen möglichen Links in natürlichen Systemen aus Biologie und Physik ein solch schnelles Wachstum ermöglichen, und versuchen zu klären, welche Auswirkungen die Wachstumsschübe haben.

Media Contact

Dr. Birgit Krummheuer Max-Planck-Institut

Weitere Informationen:

http://www.mpg.de/

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