Welche Schwangere braucht eine Rhesus-Prophylaxe?

EU-geförderte Studie: Forscher der Universitätsmedizin Göttingen haben Labormethoden getestet, die in der Schwangerschaft das tatsächliche Risiko einer Rhesus-Unverträglichkeit vorhersagen können.

Die Ergebnisse sind jetzt in der online-Ausgabe der renommierten Zeitschrift „TRANSFUSION“ erschienen.

Rhesusfaktor D-positiv oder D-negativ – welche Blutgruppe hat mein Kind? Die Antwort auf diese Frage hat für Schwangere mit „Rh-negativ“, die selbst keinen Rhesusfaktor D auf den roten Blutkörperchen haben, eine besondere Bedeutung: Hat ihr Kind einen anderen Rhesusfaktor-Status als sie selbst, dann besteht Lebensgefahr für das Kind. Hier hilft eine vorbeugende Behandlung mit einer so genannten Anti-D-Prophylaxe.

In Deutschland wird sie für alle Schwangeren mit dem Rhesusfaktor D-negativ empfohlen. In vielen Fällen könnte jedoch auf eine solche Behandlung verzichtet werden. Voraussetzung ist: Der Rhesusfaktor des kindlichen Blutes müsste sicher vorausgesagt werden können. Eine sehr zuverlässige Methode dafür haben jetzt Prof. Dr. Tobias Legler von der Abteilung Transfusionsmedizin der Universitätsmedizin Göttingen und seine Arbeitsgruppe in Zusammenarbeit mit den europäischen Spezialisten im EU-Exzellenzwerk SAFE („The Special Non-Invasive Advances in Fetal and Neonatal Evaluation Network) gefunden. In der von der EU geförderten Studie kamen sie zu dem Ergebnis: Wenn ein Magnetspitzen-Roboter eingesetzt wird, um die DNA des Feten aus dem Blut der Mutter zu isolieren, dann fallen die Vorhersage-Ergebnisse äußerst zuverlässig aus. In fast allen Rhesus positiven Fällen (Feten) stimmte der so durchgeführte vorgeburtliche Test mit der Untersuchung beim Neugeborenen überein. Die Ergebnisse sind jetzt in der online-Ausgabe der renommierten Zeitschrift „TRANSFUSION“ erschienen.

„Wir wollten wissen, mit welcher Sicherheit die Untersuchung fetaler DNA in mütterlichem Blut vorhersagen kann, ob eine Anti-D-Prophylaxe vor der Geburt benötigt wird. Wir wollten auch wissen, wie sicher die jetzige Rhesusfaktor-Bestimmung bei Neugeborenen ist“, sagt Prof. Legler. Seine Arbeitsgruppe und Forscherkollegen aus der Abt. Gynäkologie und Geburtshilfe und der Abt. Humangenetik der Universitätsmedizin Göttingen haben 1.113 Blutproben von Schwangeren aus ganz Deutschland untersucht. Für die bisher größte Untersuchung dieser Art in Deutschland verwendeten die Forscher Blutproben, die im Rahmen der Schwangerschaftsvorsorge entnommen wurden.

Das Ergebnis: Die von den Göttinger Forschern untersuchte Methode zur Nukleinsäure-Extraktion ist sehr zuverlässig: In 99,8 Prozent aller Rhesus positiven Fälle stimmte der vorgeburtliche Test mit dem Test beim Neugeborenen überein. Damit ist die Methode vergleichbar gut wie die seit Jahrzehnten etablierte Blutgruppenbestimmung: Nach der Geburt wurden mit der herkömmlichen Blutgruppenbestimmung 99,5 Prozent aller Rh-positiven Fälle korrekt nachgewiesen.

Ein weiteres Ergebnis der Studie: 35 Prozent aller Kinder von Frauen mit Rhesusfaktor D negativ hatten selbst Blut mit Rhesusfaktor D-negativ (Rh-negativ). „Diese Mütter hätten keine Anti-D-Prophylaxe gebraucht“, sagt Legler. „Hochgerechnet sind das auf Deutschland bezogen rund 46.000 Frauen pro Jahr, die eine Rhesus-Prophylaxe bekommen, obwohl sie diese nicht benötigen.“

Angewandt wird die von den Göttinger Forscher jetzt untersuchte Methode zur Nukleinsäure-Extraktion bereits bei Schwangeren, die nachweisbar Anti-D-Antikörper haben. „Unser Labor an der Universitätsmedizin Göttingen ist das einzige bundesweit, das dieses nicht-invasive Verfahren bei solchen Risiko-Schwangeren routinemäßig durchführt“, sagt Professor Legler. „Das untersuchte Nachweisverfahren können wir allerdings noch nicht für alle Schwangeren mit Rhesusfaktor negativ anbieten. Dazu müssten erst die entsprechenden Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen und der Bundesärztekammer angepasst werden.“

HINTERGRUNDINFORMATIONEN
Bei etwa 17 Prozent der Bevölkerung in Deutschland fehlt der Rhesusfaktor D (Rh-Faktor D) auf den roten Blutkörperchen. Diese Blutgruppe wird als „Rh-negativ“ bezeichnet. Wird das Immunsystem dieser Menschen mit roten Blutkörperchen konfrontiert, die den Rh-Faktor D tragen (=“Rh-positiv“) kommt es zu einer Abwehrreaktion. Es werden so genannte Anti-D Antikörper gebildet. Schwerwiegende Komplikationen sind die Folge. Die Gabe von Anti-D Antikörpern (Anti-D-Prophylaxe) nach der Geburt führte seit Ende der 60iger Jahre zu einem deutlichen Rückgang des Krankheitsbildes. Seit Anfang der 90iger Jahre erhält in Deutschland jede Schwangere mit Rhesusfaktor D negativ eine Anti-D-Prophylaxe in der 28. bis 30. Schwangerschaftswoche. Seitdem sank die Zahl der Neugeborenen mit Rhesusunverträglichkeiten weiter ab.

Originalveröffentlichung: „The determination of the fetal D status from maternal plasma for decision on Rh prophylaxis is feasible“ by Sina P. Müller, Iris Bartels, Werner Stein, Günther Emons, Kai Gutensohn, Michael Köhler and Tobias J. Legler, Transfusion, August 2008 (Epub ahead of print: http://www3.interscience.wiley.com/journal/121372676/abstract

WEITERE INFORMATIONEN:
Universitätsmedizin Göttingen, Georg-August-Universität, Abt. Transfusionsmedizin
Prof. Dr. Tobias Legler, Telefon 0551/39-22750, tlegler@med.uni-goettingen.de
Robert-Koch-Straße 40, 37073 Göttingen
Infos zum EU-Exzellenznetzwerk SAFE: http://www.safenoe.org/

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