Ungeahnte Freiheiten für ausländische Firmen

– Umfrage unter 385 überwiegend deutschen Unternehmen in Japan widerlegt Klischee fehlender Flexibilität

– Zwei Drittel der Teilnehmer hat in den letzten zehn Jahren restrukturiert, 98% davon haben Ziele „voll“ oder „mehrheitlich“ erreicht

– 30 Prozent, sagen, es sei leichter gewesen als zuvor gedacht, 25 Prozent sogar, es sei leichter gewesen als in Deutschland

– Zwei Drittel der Befragten glauben, bei der Restrukturierung größere Freiheiten zu haben als japanische Firmen

– Über den Erfolg entscheiden Kommunikation und Rücksicht auf das Prinzip der Solidargemeinschaft

Trotz der unaufhaltsamen Globalisierung hat sich die japanische Wirtschaft einige landestypische Besonderheiten bewahrt: etwa die lebenslange Beschäftigung der Kernbelegschaft oder die langfristige Bindung an Lieferanten. Ausländische Firmen haben im Zug von Übernahmen oder Zusammenschlüssen mit den japanischen Tochterfirmen auch die dortigen Strukturen und Traditionen übernommen.

Gerade in Zeiten einer heftigen globalen Rezession steigt jedoch auch in Japan die Notwendigkeit, zu restrukturieren. Roland Berger Strategy Consultants und die Deutsche Industrie- und Handelskammer in Japan (DIHKJ) haben Topmanager von 385 deutschen Unternehmen in Japan zu ihren Erfahrungen mit Restrukturierungsprogrammen in Japan befragt. Das Ergebnis überrascht: Die meisten Unternehmen haben in Japan bereits restrukturiert – fast ausschließlich mit Erfolg. Mehr noch: Die Mehrheit glaubt, dabei in Japan deutlich größere Freiheiten zu haben als einheimische Firmen. Und: Die „japanischen Besonderheiten“ müssen nicht hinderlich sein, sondern können bei Restrukturierung sogar helfen – nötig ist dafür Fingerspitzengefühl, aber keine übertriebene Selbstbeschränkung.

„Viele ausländische Unternehmen halten Restrukturierungsmaßnahmen in Japan wegen der Eigenheiten des dortigen Wirtschaftssystems immer noch für sehr schwierig“, sagt Dr. Dirk Vaubel, Studienautor und Partner bei Roland Berger Strategy Consultants in Tokio.

„Andererseits gaben aber zwei Drittel der von uns befragten deutschen Firmen an, in den letzten zehn Jahren restrukturiert zu haben – und 98 Prozent sagten, sie hätten ihre Ziele voll oder mehrheitlich erreicht.“

Lebenslange Jobgarantie – ein schwindendes Privileg

In der aktuellen Studie von Roland Berger und DIHKJ nannten die Teilnehmer die Hindernisse bei Entlassungen durch das Arbeitsrecht als größtes externes Problem für Restrukturierungen. Laut Statistics Bureau sind immer noch nicht einmal zehn Prozent der japanischen Angestellten daran interessiert, in ihrem Leben den Arbeitgeber zu wechseln. In Sachen Flexibilität hat also scheinbar kein grundlegender Systemwechsel stattgefunden. Was hat sich also geändert? Die Antwort heißt hier „Randbelegschaften“. Der Anteil von weiblichen Beschäftigten, Zeitarbeitern und Teilzeitkräften wurde stark ausgebaut, sie dienen bei wirtschaftlichen Schwierigkeiten als Flexibilitätspuffer. Ihr Anteil stieg zwischen 1984 und 2008 von 15 auf 34 Prozent. „Privilegien wie lebenslange Beschäftigung werden in Japan zwar immer noch als Normalfall angesehen, gelten aber faktisch für eine immer kleiner werdende Kernarbeitnehmerschaft“, sagt Martin Gottschlich, Projektmanager bei Roland Berger und Co-Autor der Studie.

Japanische Besonderheiten beim Abbau von Personalkosten

Um ihrer Kernbelegschaft weiterhin Vorteile wie eine Jobgarantie bieten zu können, bauen japanische Unternehmen Personalkosten über eine Vielzahl anderer Maßnahmen ab: Sie reduzieren Überstunden, Boni und Neueinstellungen, versetzen Mitarbeiter zu anderen Unternehmen oder innerhalb des Unternehmens und ersetzen Stammarbeitnehmer durch flexible Randbelegschaften. „Versetzungen zu anderen Unternehmen, meist Lieferanten oder Tochterunternehmen, finden sowohl temporär als auch permanent statt“, sagt Dr. Carsten Herbes, Co-Autor und Roland Berger Alumnus. „Der Wechsel von einem sicheren Arbeitsplatz im Großunternehmen zu einem schlechter bezahlten Job bei einem Lieferanten verhindert die Arbeitslosigkeit aber oft nicht, sondern verzögert sie nur.“ Typische Mittel sind auch „freiwillige“ Frühpensionierungen“. Diese treffen schon Mitte 30-Jährige und sind oft nur eine Beschönigung für Entlassungen. „Die Abfindungen sind oft weit davon entfernt, eine echte Pension zu ersetzen“, ergänzt Gottschlich.

Mitsubishi und Nissan – Global Player mit globalen Zulieferketten

Mitsubishi Motors und Nissan haben gezeigt, dass sich Unternehmen in Japan mit ausländischer Beteiligung im Bereich Beschaffung den globalen Bedingungen inzwischen stark angepasst haben. Seit Mitte der 90er Jahre drängten sie ihre Zulieferer, Personal abzubauen, die Fertigung ins Ausland zu verlagern und ihrerseits bei den Zulieferern zu sparen. Das Ergebnis waren drastische Kostensenkungen von bis zu 15 Prozent. „Dieser Trend gilt auch für rein japanische Firmen ohne ausländische Beteiligung. Das Ausmaß des Wandels in Japan wird von ausländischen Firmen oft noch unterschätzt“, sagt Vaubel.

Ungeahnte Freiheiten für ausländische Firmen

In Japan hat die Bereitschaft deutlich zugenommen, in der Praxis einheimische Besonderheiten aufzugeben. Besonders viel Verständnis wird dafür ausländischen Firmen entgegengebracht. Fast zwei Drittel der Studienteilnehmer gaben an, bei Restrukturierungen mehr Freiheit zu haben als einheimische Unternehmen. Nur 17 Prozent glauben, stärkeren Beschränkungen unterworfen zu sein als ihre japanischen Wettbewerber. „Auf ausländische Unternehmen lauern aber auch typische Gefahren“, sagt Gottschlich. „Oft wertet die deutsche Seite das Fehlen offener Konflikte als Einverständnis der japanischen Mitarbeiter und erwartet eine reibungslose Umsetzung. Häufig werden Maßnahmen dann aber verschleppt, ,Missverständnisse' vorgeschoben oder Veränderungen ,ausgesessen'“. Besonders wichtig für den Erfolg ist daher eine konsequente Kontrolle aller Maßnahmen.

Restrukturieren mit Fingerspitzengefühl

„Restrukturieren in Japan ist nicht schwieriger als in Deutschland oder Europa – im Gegenteil“, sagt Vaubel. „Etwa 25 Prozent der Befragten gaben sogar an, es sei leichter als in Deutschland, weitere 30 Prozent sagten, es sei leichter gewesen als zuvor gedacht.“

Wichtig ist dabei das Fingerspitzengefühl. Damit lassen sich Japan-typische Handlungsmuster sogar kreativ für Restrukturierungen nutzen. Einer der wichtigsten Erfolgsfaktoren ist die Kommunikation: „Werden etwa notwendige Entlassungen der Belegschaft als ,Frühpensionierungen' erklärt, stoßen sie auf deutlich weniger Widerstand und beide Seiten wahren ihr Gesicht.“ Ernsthafte Bekenntnisse zum Standort helfen, dauerhaft Vertrauen aufzubauen. Das kann soweit gehen, dass Mitarbeiter und Gewerkschaften Rationalisierungsziele im Rahmen von Joint-Venture-Verhandlungen mit eigenen Ideen unterstützen – wenn das Unternehmen sich prinzipiell dauerhaft zum japanischen Standort und den dortigen Mitarbeitern bekennt. „Das Prinzip der Solidargemeinschaft gilt dann auch im Verhältnis zur neuen Muttergesellschaft“, sagt Vaubel.

Die Studie können Sie kostenfrei downloaden unter: www.rolandberger.com/pressreleases / www.japan.ahk.de

Roland Berger Strategy Consultants, 1967 gegründet, ist eine der weltweit führenden Strategieberatungen. Mit 36 Büros in 25 Ländern ist das Unternehmen erfolgreich auf dem Weltmarkt aktiv. 2.000 Mitarbeiter haben im Jahr 2007 einen Honorarumsatz von mehr als 600 Mio. Euro erwirtschaftet. Die Strategieberatung ist eine unabhängige Partnerschaft im ausschließlichen Eigentum von rund 180 Partnern.

Die Deutsche Industrie- und Handelskammer in Japan (DIHKJ) ist zentrale Anlaufstelle für deutsche Unternehmen bei der Erschließung des japanischen Marktes. Als Teil des weltweiten AHK-Netzes von 110 Büros in 80 Ländern unterstützt sie insbesondere mittelständische Unternehmen bei Aufbau und Ausbau ihres Japan-Geschäfts.

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Sebastian Deck presseportal

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