Die meisten Landwirte der EU kommen glimpflich durch die Finanzkrise

Die europäischen Volkswirtschaften und die Europäische Union befinden sich derzeit in einer tiefen Krise. Welche Folgen dies für den Agrarsektor hat, haben PD Dr. Martin Petrick und Mathias Kloss, Wissenschaftler am Leibniz-Institut für Agrarentwicklung in Mittel- und Osteuropa (IAMO), untersucht. Die Ergebnisse wurden kürzlich in der Zeitschrift Choices – The magazine of food, farm, and resource issues (Vol. 28.) veröffentlicht.

Betrachtet man die Entwicklung der Finanzkrise seit ihrem Beginn im Frühjahr 2007, so lassen sich drei mögliche Einflusskanäle auf den Agrarsektor unterscheiden. Erstens könnte sich eine Kredit-klemme für Agrarunternehmer einstellen, zweitens fragen die Verbraucher in Krisenzeiten möglicherweise weniger Agrarprodukte nach, und drittens könnten die durch die Krise hervor-gerufenen Belastungen der öffentlichen Haushalte zu Einsparungen in der Agrarförderung führen.

Finanzielle Situation der Landwirte

“Die am schwersten von der Finanzkrise betroffenen Länder sind nicht unbedingt identisch mit denen, deren Agrarbetriebe besonders unter der Krise leiden. Insbesondere in Griechenland, Irland, Italien und Spanien wird die Agrarwirtschaft von kleinen Betrieben mit einer niedrigen Investitionsquote dominiert,“ fasst Petrick ein Ergebnis der Studie zusammen. In nahezu allen Ländern der EU sind Landwirte nur wenig verschuldet.

Eine Ausnahme bildet Dänemark. Hier sind Agrarunternehmer, verstärkt durch das sehr liberale Finanzsystem, besonders investitions- und risikofreudig. In 2009 waren hier die Investitionen auf Grund der Finanzkrise rückläufig. Für Griechenland und Italien belegen die Zahlen, dass Landwirte über immer weniger Eigenkapital verfügen. Mit den zunehmenden Turbulenzen auf den Finanzmärkten seit Mitte der 2000-er Jahre stiegen die Zinsen für Darlehen. Mit Lockerung der Geldpolitik fielen die Darlehenszinsen jedoch wieder deutlich.

In den meisten Ländern, so die Studie von Petrick und Kloss, zahlen Agrarbetriebe keine geringeren Zinsen als Unternehmen in der übrigen Wirtschaft, es gibt also keine besondere „Agrarprämie“. Einzig in Portugal werden Agrarunternehmern günstigere Konditionen eingeräumt. Im Gegensatz dazu müssen Landwirte in Griechenland extrem hohe Darlehenszinsen zahlen. Was die Höhe des Kapitalgewinns betrifft, weist Kloss darauf hin:

“In allen Ländern, die wir untersucht haben, liegt die betriebsinterne Verzinsung des Anlagevermögens weit unter dem für Umlaufmittel. Um genau zu sein, ist diese typischerweise negativ. In der Agrarwirtschaft besteht also eher eine Überkapitalisierung, als dass man von einem Mangel an Krediten sprechen könnte.“

Auswirkungen der Krise auf Warenabsatzmärkte und Maßnahmen der Politik
Betrachtet man die Folgen der Krise für die Warenabsatzmärkte, so lässt sich feststellen, dass die europäische Lebensmittelindustrie relativ unbeschadet durch die Krise gekommen ist. Lediglich auf dem Milchmarkt führte die weltweite Finanzkrise zu einem drastischen Rückgang der Nachfrage nach Milchprodukten. Die Preise lagen über den Vorstellungen der Endverbraucher.

Während die weiter-verarbeitende Industrie und der Einzelhandel ihre Gewinnmargen erhöhten, stieg die Nachfrage der Konsumenten nicht so weit an, als dass diese die von Industrie und Handel an die Landwirte durchgereichten Preissenkungen ausgeglichen hätte. Dies führte zu massiven Protesten der Milchbauern. „Die Politik reagierte darauf nicht nur mit einem Milliardenrettungspaket,“ führt Petrick aus, „am Ende beschloss die Europäische Kommission eine Umstrukturierung der Milchmärkte, einschließlich neuer Vorgaben für Vermarktungsverträge.“

Für die Mehrzahl der EU-Landwirte ist die Krise folgenlos geblieben
Nach Ausbruch der Finanzkrise, das belegt die Studie von Petrick und Kloss, hatten einige der europäischen Landwirte Schwierigkeiten, einen Kredit zu bekommen. Die Mehrzahl der Landwirte war nur wenig unmittelbar betroffen. Eine geringe Verschuldung und niedrige Zinsen bewahrte die meisten Agrarunternehmer vor zu hohen Risiken. Die Wissenschaftler weisen jedoch darauf hin, dass das, was sich im Zuge der Finanzkrise als vorteilhaft erwiesen hat, sich für die Zukunft als Entwicklungs-hemmnis erweisen könnte. Institutionelle Schwächen im Bankwesen könnten strukturelle Veränderungsprozesse verlangsamen und weiterführende Modernisierungen blockieren. Gleichzeitig ist jedoch auch in Zukunft mit einer andauernden agrarpolitischen Stützung des Agrarsektors zu rechnen. Diese Maßnahmen werden Agrarunternehmer voraussichtlich auch künftig vor den gravierendsten Folgen der Krise schützen helfen.
Weitere Informationen finden Sie in der Veröffentlichung:
Petrick, M., Kloss, M. (2013): Exposure of EU Farmers to the Financial Crisis, Choices – The magazine of food, farm, and resource issues, Vol. 28, No. 2, pp. 1-6.
Über das IAMO
Das Leibniz-Institut für Agrarentwicklung in Mittel- und Osteuropa (IAMO) widmet sich der Analyse von wirtschaftlichen, sozialen und politischen Veränderungsprozessen in der Agrar- und Ernährungswirtschaft sowie in den ländlichen Räumen. Sein Untersuchungsgebiet erstreckt sich von der sich erweiternden EU über die Transformationsregionen Mittel-, Ost- und Südosteuropas bis nach Zentral- und Ostasien. Das IAMO leistet dabei einen Beitrag zum besseren Verständnis des institutionellen, strukturellen und technologischen Wandels. Darüber hinaus untersucht es die daraus resultierenden Auswirkungen auf den Agrar- und Ernährungssektor sowie die Lebensumstände der ländlichen Bevölkerung. Für deren Bewältigung werden Strategien und Optionen für Unternehmen, Agrarmärkte und Politik abgeleitet und analysiert. Seit seiner Gründung im Jahr 1994 gehört das IAMO als außeruniversitäre Forschungseinrichtung der Leibniz-Gemeinschaft an.
Ansprechpartner
Martin Petrick
Stellvertretender Abteilungsleiter Agrarpolitik
Leibniz-Institut für Agrarentwicklung in Mittel- und Osteuropa (IAMO)
Tel. +49 (0)345 2928-120
E-Mail petrick@iamo.de
Ansprechpartnerin für die Medien
Britta Paasche
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Leibniz-Institut für Agrarentwicklung in Mittel- und Osteuropa (IAMO)
Tel. +49 (0)345 2928-329
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