Mehr Kinder im Osten – weniger im Westen

Das ist eins der Ergebnisse der neuen Studie „Die demografische Lage der Nation – Was freiwilliges Engagement für die Regionen leistet“, die das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung heute veröffentlicht hat.

Seit 2008 übersteigt die durchschnittliche Kinderzahl je Frau in den ostdeutschen Bundesländern die der westdeutschen. Damit endeten fast zwei Jahrzehnte eines Geburtenrückstandes, der in Ostdeutschland mit dem Systemumbruch begonnen hatte. Durch die wirtschaftliche Verunsicherung und die neuen Optionen für junge Menschen waren Mitte der 1990er Jahre zwischen Rügen und dem Erzgebirge nur noch halb so viele Kinder zur Welt gekommen wie 1989.

Doch im Jahr 2009 bekamen die ostdeutschen Frauen immerhin durchschnittlich 1,40 Kinder im Vergleich zu nur 1,36 im Westen. Die demografischen Probleme Ostdeutschlands löst dies freilich nicht – wie in ganz Deutschland wird auch bei einer höheren Kinderzahl je Frau die Gesamtzahl der Geborenen langfristig zurückgehen, weil die Zahl junger Menschen, die überhaupt Eltern werden könnten, immer weiter abnimmt. In den ostdeutschen Bundesländern steht eine halbierte Nachwendegeneration vor dem Erwachsenwerden.

Auf Ebene der Kreise und kreisfreien Städte gab es erhebliche Veränderungen. 2008 ist nur noch ein einziger Kreis aus den neuen Bundesländern unter den zehn geburtenärmsten zu finden: die Universitätsstadt Greifswald mit einer durchschnittlichen Kinderzahl von 1,14. Der mecklenburg-vorpommerische Landkreis Demmin hat mit 1,70 Kindern je Frau sogar das lange Jahre führende niedersächsische Cloppenburg als geburtenstärksten Landkreis der Republik abgelöst. Mit den Kreisen Sömmerda, Gotha und Weimarer Land (Thüringen), dem Erzgebirgskreis und den Kreisen Görlitz, Bautzen und Sächsische Schweiz-Osterzgebirge (Sachsen) sowie Nordwestmecklenburg und Mecklenburg-Strelitz (Mecklenburg-Vorpommern) schaffen es weitere neun ostdeutsche Kreise unter die geburtenstärksten 50 Landkreise.

In Westdeutschland erreichen neben Cloppenburg vor allem nordrhein-westfälische und niedersächsische Landkreise eine vergleichsweise hohe Kinderzahl je Frau. Die wenigsten Kinder je Frau (weniger als 1,2) kommen nach wie vor in Universitätsstädten wie Heidelberg, Freiburg, Münster oder Greifswald zur Welt. Dort leben zwar viele junge Frauen, sie bekommen aber als Studentinnen nur selten Kinder. Doch auch strukturschwache ländliche Kreise des Westens wie die Südwestpfalz (Rheinland-Pfalz), der Vogelsbergkreis (Hessen) oder Wunsiedel (Bayern) finden sich unter den geburtenärmsten Kreisen. Jene Zeiten, in denen vor allem ländliche Regionen Westdeutschlands hohe und die urbanen Zentren sowie ganz Ostdeutschland sehr niedrige Kinderzahlen aufwiesen, gehen offenbar zu Ende. Gerade auf dem Lande in Westdeutschland, wo bis vor wenigen Jahren unter eher traditionellen Familienverhältnissen höhere Kinderzahlen die Norm waren, sind diese zurückgegangen. In Ostdeutschland und in städtischen Regionen mit einem hohen Anteil qualifizierter, erwerbstätiger Frauen ist die Fertilität hingegen vielerorts gestiegen.

Zum einen erlebten die ostdeutschen Bundesländer nach den extrem kinderarmen 1990er Jahren einen Nachholeffekt in Sachen Familiengründung – aufgeschobene Kinderwünsche wurden mittlerweile verwirklicht. Zum anderen scheinen auch in den ländlichen Regionen des Westens traditionelle Familienverhältnisse – Mann im Erwerbsleben, Frau daheim – langsam aber sicher an Bedeutung zu verlieren. Auch in diesen Regionen sind junge Frauen immer häufiger erwerbstätig, die Betreuungsangebote für Kinder sind aber längst noch nicht ausreichend – was zu einem Sinken der Fertilität beitragen dürfte.

Insgesamt sind die Kinderzahlen je Frau dort leicht gestiegen, wo mehr Frauen berufstätig sind – also tendenziell in den Städten und eher in Ost- als in Westdeutschland. Die neue deutsche Familienpolitik mit dem Elterngeld und langfristig besseren Betreuungsbedingungen entfaltet somit offenbar vor allem unter besser qualifizierten, erwerbstätigen Frauen ihre Wirkung.

Dennoch bleibt die Kinderzahl je Frau in Deutschland insgesamt und nahezu unbeeinflusst von familienpolitischen Bemühungen auf einem sehr niedrigen Niveau. 2009 gab es innerhalb der Europäischen Union nur in Lettland, Ungarn und Portugal noch weniger Nachwuchs. Wirksame Familienpolitik braucht deshalb einen langen Atem. Erst in einigen Jahren wird sich zeigen, ob es gelingt, junge Menschen in Deutschland häufiger zur Familiengründung zu motivieren.

In jedem Fall bleibt es unerlässlich, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf durch qualitativ hochwertige Kinderbetreuung wie auch Ganztagsschulen zu verbessern. Denn der Arbeitsmarkt kann angesichts des demografischen Wandels auf qualifizierte Frauen nicht verzichten. In einem zunehmend sozial polarisierten und ethnisch gemischten Land tragen diese Bildungseinrichtungen zudem zu einer besseren Chancengleichheit von Kindern bei.

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