Die Mechanismen eines Risikos

Nach dem Reaktorunfall in Japan werden unter anderem in der Medienberichterstattung die Reaktionen nicht nur der deutschen Bevölkerung auf diesen Vorfall diskutiert. Dennoch liegen bislang keine wissenschaftlichen Befunde vor, wie stark und wie nachhaltig eine solche Katastrophe tatsächlich die Risikowahrnehmung von Menschen beeinflusst.

Eine aktuelle psychologische Studie der Universität Konstanz ergründet nun anlässlich des Reaktorunglücks von Fukushima systematisch die Wahrnehmung von Risiken – und untersucht ambivalente Einstellungen, die sich ergeben können, wenn eine Technologie zugleich erhebliche Risiken birgt, aber auch umfassende Chancen bietet.

Die Forschungsgruppe um die Konstanzer Psychologin Prof. Dr. Britta Renner erforscht in ihrer Studie „Risiken und Chancen für die Gesundheit“, welche Technologien, Umwelteinflüsse und Verhaltensweisen als die größten Gefahrenquellen eingeschätzt werden und wie sich die Rangfolge der wahrgenommenen Risiken aufgrund aktueller Ereignisse verändert. Von besonderem Interesse ist dabei für die Forscherinnen, wie stark und wie nachhaltig gesellschaftliche Einschnitte und Debatten die allgemeine Risikowahrnehmung beeinflussen – wie lange sich also eine erhöhte Sensibilität für ein Risiko in den persönlichen Einschätzungen wiederfinden lässt. Die Studie startet aktuell; Teilnehmerinnen und Teilnehmer an der Studie werden noch gesucht.

„Die tatsächlichen Zahlen stehen oft den persönlichen Einschätzungen eines Risikos eklatant entgegen. Numerisch werden Risiken dramatisch überschätzt“, zeigt Britta Renner anhand ihrer vorausgehenden Studien auf: Die Psychologin ergründete in ihren Forschungsprojekten die Mechanismen des Risikobewusstseins anhand der Schweinegrippe und des HI-Virus'. Als eines ihrer Ergebnisse konnte sie nachweisen, dass die Risikowahrnehmung von Experten und Laien anderen Kriterien unterliegt: Experten definieren ein Risiko rein statistisch anhand der Wahrscheinlichkeit seines Eintretens und der angenommenen Schadensbilanz. Für Laien, erklärt Renner, sind hingegen ganz andere Faktoren maßgeblich: Gefahrenquellen erscheinen dann als besonders bedrohlich, wenn der Betroffene sie nicht selbst in der Hand hat, sie also für ihn unkontrollierbar sind, wenn ihnen ein Schleier der Unbekanntheit anhängt und wenn die Ausmaße bei ihrem Eintreten besonders gravierend sind – selbst wenn statistisch gesehen durch andere Gefahrenquellen weitaus mehr Menschen sterben. „Wenn diese Faktoren zusammenkommen, reagieren die meisten Menschen sehr aversiv“, erklärt Britta Renner. Bei Technologien wie der Atomkraft oder der Gentechnik sind jene Merkmale besonders auffällig. Daher werden solche Technologien häufig im persönlichen Empfinden als höhere Risiken eingeschätzt als verhaltensabhängige Gefahrenquellen, die statistisch gesehen jährlich mehr Todesopfer fordern: beispielsweise die Einnahme gesundheitsschädigender Genussmittel oder Autofahren.

„Uns geht es darum, die dynamischen Veränderungen sichtbar zu machen, die sich in der Einschätzung von Risiken und Chancen unter dem Einfluss aktueller Ereignisse wie der Reaktorkatastrophe in Japan zeigen“, erklärt Dr. Verena Klusmann. Gemeinsam mit Dr. Tabea Reuter und Prof. Dr. Britta Renner führt sie die Studie „Risiken und Chancen für die Gesundheit“ durch. Ziel der Forscherinnen ist es, die Risikowahrnehmung im zeitlichen Prozess zu untersuchen, um zu ergründen, ob aktuelle Ereignisse und Mediendebatten nur einen temporären Einfluss auf die Risikowahrnehmung haben oder sich dauerhaft im Gefahrenbewusstsein der Menschen verankern. Die Studie steht somit im Zusammenhang mit Folgestudien, die zusammen ein Bild der Varianz menschlicher Risikowahrnehmung ergeben.

Hinweis an die Redaktionen:
Interessenten können auf der Website http://www.uni-konstanz.de/risiken-chancen an der Umfrage teilnehmen und zur Klärung dieser Fragestellungen beitragen. Alle Angaben bleiben anonym und werden ausschließlich zu wissenschaftlichen Zwecken verwendet.
Kontakt:
Universität Konstanz
Kommunikation und Marketing
Telefon: 07531 / 88-3603
E-Mail: kum@uni-konstanz.de
Prof. Dr. Britta Renner
Universität Konstanz
Psychologische Diagnostik und Gesundheitspsychologie
Universitätsstraße 10
78464 Konstanz
Telefon: 07531 / 88-4679
E-Mail: Britta.Renner@uni-konstanz.de

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Julia Wandt idw

Weitere Informationen:

http://www.uni-konstanz.de

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