Kinder mit Migrationshintergrund: Geringe Kenntnisse in Politik und Demokratie

Zeigen die Migrantenkinder zudem eine geringe Sprachkompetenz, wirkt sich das zusätzlich negativ auf das politische Wissen aus. Dies sind die zentralen Ergebnisse einer neuen Studie von Bildungsforschern der Universität Würzburg.

539 Grundschulkinder der zweiten Klassen haben die Würzburger Bildungsforscher im Rahmen des Bayerischen Forschungsverbunds „Migration und Wissen“ zu ihrem Wissen über Politik und Demokratie, ihrem Medienverhalten und den Sprachkompetenzen befragt. Die Ergebnisse werfen nach Meinung des Projektleiters, Professor Heinz Reinders, ein neues Licht auf die Integrationsdebatte: „Die Studie macht deutlich, dass die Integration von Migranten nicht mit Sanktionen zu bewerkstelligen ist. Da müssen ganz konkrete Fördermaßnahmen in politischer Bildung entwickelt werden“, so Reinders, der an der Universität Würzburg den Lehrstuhl für Empirische Bildungsforschung inne hat.

Nur knapp die Hälfte erkennt Angela Merkel

So erkannten knapp 85 Prozent der deutschen Kinder Angela Merkel auf einem Bild, aber nur etwa 58 Prozent der Kinder mit Migrationshintergrund. Auf die Frage, ob in Deutschland ein Bundeskanzler, ein Bürgermeister oder ein König am meisten bestimmt, antworteten 41 Prozent der deutschen und 27 Prozent der nicht-deutschen Kinder korrekt. Was Politiker hauptsächlich machen, wusste immerhin knapp die Hälfte der Migrantenkinder. Aber auch hier wurden sie von den Kindern deutscher Herkunft mit knapp 70 Prozent deutlich überflügelt. Grund hierfür ist unter anderem, dass weniger als die Hälfte der Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund überhaupt schon einmal den Begriff „Politiker“ gehört haben. In der Vergleichsgruppe deutscher Herkunft lag der Anteil mit 68 Prozent deutlich höher.

Deutliche Wissenslücken über Demokratie

Ebenfalls stark ausgeprägt sind die Unterschiede beim Wissen über Demokratie. Etwas darüber gehört haben Kinder mit Migrationshintergrund zwar ebenso selten wie deutsche Kinder (31 im Vergleich zu 38 Prozent). Auch die Frage, was Demokratie im Kern bedeutet, konnten Migrantenkinder genauso selten richtig beantworten wie deutsche Kinder. Jeweils etwa ein Viertel lag hier mit ihrer Antwort richtig.

Deutliche Wissenslücken offenbaren sich allerdings hinsichtlich der Funktionsmechanismen von Demokratie. Wie man ein „Bestimmer“ wird, wussten fast doppelt so viele deutsche im Vergleich zu nicht-deutschen Kindern. 72 Prozent der Schüler ohne Migrationshintergrund konnten hier die richtige Antwort geben, aber nur 38 Prozent der Grundschüler nicht-deutscher Herkunft. Auch glaubte nur ein Viertel der Migrantenkinder, dass man in Deutschland die „Bestimmer“ wählen kann, gegenüber 40 Prozent in der Stichprobe deutscher Kinder.

Der Einfluss der Eltern ist wichtig

„Besonders deutlich ist die Systematik der Unterschiede“, fasst Reinders die Ergebnisse zusammen. „In allen Bereichen wissen Migrantenkinder weniger als Kinder deutscher Herkunft. Etwas geringer werden die Unterschiede nur, wenn ein Elternteil deutscher Herkunftssprache ist“.

Die Studie zeigt dabei auf, dass vor allem Kinder, bei denen beide Elternteile nicht-deutscher Herkunft sind, besonders wenig wissen. „Das ist auch eine Frage der Sprachkompetenz“, ergänzt Reinders. „Selbst wenn man Kinder mit und ohne Migrationshintergrund betrachtet, die über vergleichbare Sprachkompetenzen verfügen, ist das Wissen der Migrantenkinder immer noch geringer vorhanden“.

Grundschüler, die bei einem Sprachkompetenztest gut abschneiden, wissen häufiger, was Politiker machen, was eine Demokratie ausmacht und wie Entscheidungsträger gewählt werden. Interessant sei dabei, so Reinders, dass die befragten bayerischen Kinder unabhängig von Herkunft oder Sprachkompetenz je zur Hälfte Kindernachrichten schauen würden.

Ursachen für die Unterschiede sieht der Projektleiter im familialen und schulischen Umfeld. Wenn Eltern die deutsche Staatsbürgerschaft nicht haben, interessieren sie sich vermutlich auch weniger für deutsche Tagespolitik, was sich auch auf das Wissen der Kinder niederschlagen dürfte, vermutet Reinders.

Mehr politische Themen in der Schule

Und die Schule sieht Reinders in der Pflicht, bereits in der Primarstufe mehr politische Bildungsinhalte zu vermitteln, um auch Migrantenkinder frühzeitig mit politischen Themen vertraut zu machen. „Der Lehrplan in Bayern sieht so etwas nicht direkt vor“, kritisiert Reinders. Die Befunde der Studie seien deshalb Anlass genug, über einen möglichen Einbezug demokratischer Bildung nachzudenken. Es sei durchaus pädagogisch sinnvoll und didaktisch möglich, mit Kinder die Prinzipien einer Demokratie zu erarbeiten. Ansonsten bestünde laut Reinders die Gefahr, Migrantenkinder nicht nur bei schulischen Leistungen und Arbeitsmarktchancen, sondern auch als Mitglieder eines demokratischen Systems abzuhängen.

Kontakt: Prof. Dr. Heinz Reinders, T: (0931) 31-85566 /-63, heinz.reinders@uni-wuerzburg.de

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Gunnar Bartsch idw

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