Junge Türkinnen: Selbstbewusst und gut integriert

Die Würzburger Studie zeichnet das Bild einer jungen, selbstbewussten Generation. Türkische Mädchen haben klare Vorstellungen darüber, wie sie ihre Freizeit verbringen und ihre Zukunft gestalten wollen.

„Erstaunlich dabei ist, dass die Mädchen ihren türkischen Altersgenossen teilweise weit voraus sind“, sagt Studienleiter Professor Heinz Reinders, Inhaber des Lehrstuhls Empirische Bildungsforschung an der Universität Würzburg. Junge Türkinnen fordern gegenüber ihren Eltern fast durchweg mehr Selbstständigkeit ein als die Jungen. In einigen Bereichen, etwa bei der Freizeitgestaltung, sind die Unterschiede weniger deutlich, in anderen hingegen sind sie vergleichsweise groß, zum Beispiel in Sachen Berufswahl.

Freunde und Freizeit bestimmen

Knapp 77 Prozent der türkischen Mädchen geben an, ihre Freunde selbst wählen zu wollen. Bei den türkischen Jungen sagen das etwa 72 Prozent. Auch bei der Freizeitgestaltung lassen sich die Mädchen ungern hineinreden: Rund 67 Prozent pochen hier auf Unabhängigkeit von den Eltern; bei den Jungen sind es knapp 59 Prozent.

Noch deutlicher wird die geringere Autonomie der Jungen bei Fragen nach dem Zusammensein mit der Familie. 65 Prozent der Jungen möchten selbst darüber bestimmen, ob sie an Familienfeiern teilnehmen. Die Mädchen treten da selbstbewusster auf: 75 Prozent von ihnen geben an, diese Entscheidung selbst treffen zu wollen.

Mädchen streben stärker nach Unabhängigkeit

„Mit diesen Wünschen ist natürlich noch nichts über die tatsächliche Unabhängigkeit gesagt“, kommentiert Heinz Reinders. „Allerdings wird deutlich, dass türkische Mädchen stärker nach Unabhängigkeit streben als die Jungen. Da findet eine kleine Revolution statt“.

Diese „kleine Revolution“ zeige sich insbesondere im Gespräch mit den Eltern. 85 Prozent der Mädchen geben an, dass sie sich gegenüber den Eltern das Recht herausnehmen, eine eigene Meinung zu vertreten. Mit 76 Prozent sind die türkischen Jungen hier nicht ganz so mutig. Auch bringen die Mädchen häufiger Vorschläge ins Familienleben ein als die Jungen (81 gegenüber 74 Prozent).

Überraschend sei dabei, so Reinders, dass türkische Mädchen genau so häufig über Konflikte mit den Eltern berichten wie Jungen. „Wer aber glaubt, die Mädchen hätten deswegen mehr Zoff mit den Eltern, der irrt sich. Denn offenbar können die Mädchen ihre Autonomievorstellungen besser mit den Eltern aushandeln. Dadurch vermeiden sie größere Konflikte.“

Berufswahl: Eltern sollen nicht reinreden

Selbstbewusster sind türkische Mädchen auch, wenn es um die Wahl des Berufs geht: 77 Prozent wollen sich beim Thema Traumberuf nicht von den Eltern reinreden lassen. Bei den Jungen sagen das nur 62 Prozent. Streit um die Berufswahl scheint es allerdings gleichermaßen selten zu geben. Nur jeweils zwölf Prozent der Mädchen und Jungen berichten, wegen dieses Themas sehr häufig mit den Eltern zu streiten.

Ablösung von den Eltern

„Beim Ablöseprozess von den Eltern unterscheiden sich türkische und deutsche Mädchen gar nicht mehr so stark voneinander. Auch in deutschen Familien haben die Mädchen gegenüber den Jungen die Nase vorn“, sagt Heinz Reinders.

Der Würzburger Erziehungswissenschaftler sieht hier Zusammenhänge zur Integration, die bei türkischen Mädchen offenbar größer ist als bei Jungen. Der Wunsch, ins Herkunftsland zurückzukehren, sei bei den Mädchen mit elf Prozent geringer ausgeprägt als bei den Jungen (15 Prozent). Auch scheinen die Mädchen im Umgang mit Menschen aus anderen Kulturen lockerer zu sein: 78 Prozent von ihnen sprechen sich eine hohe interkulturelle Offenheit zu, bei den Jungen tun das nur 69 Prozent.

Fazit des Projektleiters Heinz Reinders

„Das Erstaunliche an den Ergebnissen ist die Normalität. Türkische Jungen brauchen ebenso wie deutsche Jungen generell etwas länger, um sich von der Familie zu lösen. Mädchen sind offenbar besser integriert, was ihre Abnabelung leicht zu beschleunigen scheint“, so Professor Reinders. Sein Fazit: „Wenn sie denn jemals in der Mehrheit waren, dann sind zurückhaltende türkische Mädchen deutlich seltener anzutreffen als selbstbewusste und gut integrierte junge Türkinnen.“

Fakten zur Studie

Für die Studie wurden 400 Mädchen und 430 Jungen türkischer Herkunft im Alter von 12 bis 17 Jahren befragt. Durchgeführt wurde die Erhebung in den Jahren 2005 bis 2008 unter Hauptschülern im Rhein-Neckar-Gebiet.

Kontakt

Prof. Dr. Heinz Reinders, Lehrstuhl Empirische Bildungsforschung, Universität Würzburg, T (0931) 31-85563, heinz.reinders@uni-wuerzburg.de

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Robert Emmerich idw

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