Jährlich 65 Milliarden Franken für das Bauwerk Schweiz

Auf knapp 2400 Milliarden Franken beläuft sich der heutige Wiederbeschaffungswert der Infrastrukturen und der Wohnbauten der Schweiz. Unter Berücksichtigung der geplanten und absehbaren Erweiterungen erfordert das Bauwerk Schweiz in den kommenden zwei Jahrzehnten jährliche Investitionen von 65 Milliarden Franken oder 12 Prozent des Bruttoinlandprodukts.

Sofern am heutigen Ausbau und den geplanten Erweiterungen festgehalten wird, bestehen vor allem bei der Strassen- und Schieneninfrastruktur klare Lücken bei der Erneuerungsfinanzierung, zeigt eine Fokusstudie des Nationalen Forschungsprogramms «Nachhaltige Siedlungs- und Infrastrukturentwicklung» (NFP 54) erstmals in einer Gesamtschau.

Im Hinblick auf eine nachhaltige Entwicklung sind bei Bauinvestitionen nicht nur Planungs- und Erstellungskosten, sondern auch die jährlich anfallenden Betriebs- und Instandhaltungskosten sowie die unregelmässig auftretenden Instandsetzungskosten in Rechnung zu ziehen. Mit der Fokusstudie «Was kostet das Bauwerk Schweiz in Zukunft – und wer bezahlt dafür?» legt das NFP 54 erstmals eine Gesamtübersicht über den Erneuerungsbedarf von Infrastrukturen und Wohnbauten in der Schweiz vor und unterzieht die aktuellen Finanzierungsmechanismen für die Erhaltung und die Erweiterung der Infrastrukturanlagen und des Wohnungsbaus einer kritischen Bewertung.

19 Milliarden Franken pro Jahr für die technische Infrastruktur
Der Wiederbeschaffungswert (Preisstand 2008) der technischen Infrastruktur der Schweiz (Ver- und Entsorgung, Verkehr, Kommunikation und Schutzbauten) beträgt rund 830 Milliarden Franken. Dies entspricht dem eineinhalbfachen des jährlichen Bruttoinlandprodukts (BIP) oder 108‘000 Franken je Einwohner. Für die Erhaltung der technischen Infrastruktur sind jährlich rund 19 Milliarden Franken (3,5% des BIP; 2500 CHF/Einwohner) aufzuwenden.

Der Wert der reinen Wohnbauten beläuft sich auf 1550 Milliarden Franken (290% des BIP; 200‘000 CHF/Einwohner). Für die Erhaltung der Wohnbauten beträgt der jährliche Aufwand aktuell rund 10,5 Milliarden Franken (1,9% des BIP; 1350 CHF/Einwohner). Er wird bis 2030 auf knapp 15 Milliarden Franken ansteigen. Hinzu kommen im Wohnungsbau wertvermehrende Investitionen von knapp 8 Milliarden Franken pro Jahr (1,4% des BIP; 1000 CHF/Einwohner), wovon 5,4 Milliarden auf energetische Sanierungen der Gebäudehüllen und Heizanlagen entfallen.

Zu den bestehenden Infrastruktur- und Wohnbauten werden in den kommenden zwei Jahrzehnten neue hinzukommen. So sind in diesem Zeitraum Erweiterungen der technischen Infrastruktur von jährlich rund 12,5 Milliarden Franken (2,3% des BIP; 1600 CHF/Einwohner) bereits geplant oder absehbar. Aufgrund der demografischen Entwicklung besteht ein jährlicher Bedarf an 26‘000 Neuwohnungen mit einer Bausumme von rund 13 Milliarden Franken pro Jahr (2,4% des BIP; 1700 CHF/Einwohner).

Finanzierungslücken im Verkehrsbereich
Je nach Bereich ist die Finanzierung der Erhaltung bzw. der Erweiterung in unterschiedlichem Masse gesichert. Bei der Stromversorgung oder bei der Siedlungsentwässerung bestehen zweckmässige Finanzierungsmechanismen, die mittels verursachergerechten Gebühren eine nachhaltige Finanzierung ermöglichen. Dies ist vor allem im Verkehrsbereich nicht der Fall; hier stammen die Mittel mehrheitlich aus zweckgebundenen Fonds und allgemeinen Steuermitteln. Sofern am heutigen Ausbau und den geplanten Erweiterungen festgehalten wird, bestehen bei der Strassen- und der Schieneninfrastruktur Lücken bei der Erneuerungsfinanzierung. Hier sind kurz- bis mittelfristig zusätzliche Finanzierungsquellen zu suchen.
Kein Sanierungsstau bei Wohnbauten
Beim Mietwohnungsbau werden die Erneuerungsinvestitionen in erster Linie vom Markt bestimmt. Wenn der Markt werterhaltende oder wertvermehrende Investitionen verlangt, werden solche auch getätigt. In diesem Fall ist die Finanzierung in der Regel gesichert. Anders liegen die Dinge beim Wohneigentum, wo primär die Bewohnerinnen und Bewohner über den Umfang und den Zeitpunkt von Erneuerungsmassnahmen entscheiden. Massgebend sind dabei weniger die technische Notwendigkeit oder die Wirtschaftlichkeit als die Liquidität, der persönliche Lebensstil oder individuelle Komfortansprüche. Insgesamt besteht beim Wohnbau kein Sanierungsstau.
Gesamtheitliche Sicht gefordert
Anreize für die Wohnbauerneuerung setzen unter anderem auch gesetzliche Vorschriften im Energiebereich und staatliche Förderprogramme. Um die Wirkung dieser Massnahmen zu steigern, wäre jedoch vermehrt auch ein ganzheitlicher Ansatz zu verfolgen, der anstelle der bisherigen Ausrichtung auf einzelne Bau- und Anlageteile, die Gesamtsanierung ganzer Gebäude anvisiert. Im Sinne einer nachhaltigen Siedlungsentwicklung drängt sich eine Betrachtung auf, die ganze Siedlungen oder gar Quartiere einbezieht.
Grenzen der volkswirtschaftlichen Tragbarkeit
Obwohl die bestehenden Finanzierungsmechanismen mehrheitlich als zweckmässig und nachhaltig zu beurteilen sind, bleibt die Frage nach der Tragbarkeit der enormen finanziellen Aufwendungen für das Bauwerk Schweiz. Die öffentliche Hand ist mit anderen, mindestens ebenso wichtigen Finanzierungsproblemen konfrontiert, während bei den privaten Haushalten die Kosten bezüglich Infrastruktur (Verkehr, Kommunikation, Strom usw.) und Wohnen in zunehmender Konkurrenz zu Herausforderungen wie Altersvorsorge, Krankenversicherung, Freizeit, Arbeitslosigkeit usw. stehen. In diesem Spannungsfeld entscheiden die volkswirtschaftliche Tragbarkeit und die individuelle Zahlungsbereitschaft letztlich über die Finanzierbarkeit.

(*) Hans-Rudolf Schalcher, Hans-Jakob Boesch, Kathrin Bertschy, Heini Sommer, Dominik Matter, Johanna Gerum und Martin Jakob: «Was kostet das Bauwerk Schweiz in Zukunft – und wer bezahlt dafür?», Fokusstudie des NFP 54, ISBN 978-3-7281-3397-7 (open access ISBN 978-3-7281-3398-4), vdf Zürich, 2011

Kontakt:
Prof. em. Dr. Hans-Rudolf Schalcher
Mitglied der Leitungsgruppe des NFP 54
Departement Bau, Umwelt und Geomatik
ETH Zürich
8093 Zürich
Tel.: +41 (0)79 354 85 57
E-Mail: schalcher@ibi.baug.ethz.ch
Urs Steiger
Umsetzungsbeauftragter des NFP 54
Pilatusstrasse 30
6003 Luzern
Tel: +41 (0)79 667 62 53
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