Höhere Mathematik in der Mutter-Kind-Beziehung

Das mathematische Verfahren zum Auffinden der so genannten Synchronisationsepochen könnte dazu eingesetzt werden, Komplikationen während der Schwangerschaft frühzeitig zu erkennen. Es lässt sich ebenso auf die Analyse weiterer komplexer Muster anwenden, wie sie etwa im Klimasystem auftreten.

„Das häufiger beschriebene Gefühl einer Mutter für den Zustand ihres ungeborenen Kinds könnte zum Teil auf der Synchronisation des Herzschlags beruhen“, sagt Jürgen Kurths, Koautor der Studie, vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK). Das Forscherteam um Kurths und Peter van Leeuwen aus dem Lehrstuhl für Radiologie und Mikrotherapie von Dietrich Grönemeyer der Universität Witten/Herdecke hat einen Algorithmus entwickelt, um das synchrone Verhalten in den Messdaten identifizieren zu können.

Die Wissenschaftler haben damit einen mathematischen Ansatz gefunden, diese bislang wenig erforschte Wechselwirkung zwischen teils eng verbundenen, teils aber unabhängigen physiologischen Systemen zu untersuchen. „Dieses spannende Ergebnis zeigt die Bedeutung von interdisziplinären Teams in der Medizin“, betont der Lehrstuhlinhaber Grönemeyer, der seit Jahren die fachübergreifende Zusammenarbeit von Ärzten, Ingenieuren, Mathematikern sowie Natur- und Geisteswissenschaftlern in seinem Lehrstuhl praktiziert.

Für die aktuelle Studie wurden sechs in der 34. bis 40. Woche Schwangere mit einem Magnetokardiographen untersucht. Mit diesem Verfahren können die magnetischen Felder aufgezeichnet werden, die bei der Aktivierung der Herzmuskel entstehen. Der Herzschlag wird von spezialisierten Herzmuskelzellen gesteuert, die so genannte Aktionspotenziale auslösen. Weitere spezialisierte Herzmuskelfasern leiten diese schwach elektrischen Impulse an die Arbeitsmuskulatur weiter. Dabei entstehen schwache Magnetfelder, die mit dem Magnetokardiographen berührungslos und stressfrei für Mutter und Ungeborenes gemessen werden können.

Die Probandinnen folgten für jeweils fünf Minuten einem vorgegebenen Atemrhythmus von 10, 12, 15 und 20 Atemzügen pro Minute. Wie die Forscher nun berichten, treten die Synchronisationsepochen des Herzschlags von Mutter und Ungeborenem deutlich häufiger auf, wenn die Mutter einem schnellen Atemrhythmus folgt. „Wir konnten zeigen, dass sich die Herz-Kreislaufsysteme von Mutter und Kind gegenseitig beeinflussen“, sagt Kurths. Das synchrone Verhalten besteht in diesen Fällen nicht in einem gleichen Herzrhythmus (eins zu eins), sondern einem festen Verhältnis der Herzfrequenz des Kindes zur Herzfrequenz der Mutter von beispielsweise vier zu drei oder drei zu zwei (siehe Abbildung).

Nachweisen konnten die Forscher diese versteckte Verbindung mit einer innovativen Analysetechnik, genannt „Twin Surrogates“. Nach dieser Methode werden zunächst unabhängige Kopien des zugrunde liegenden Systems erzeugt. Mithilfe dieser Ersatzdaten können die Synchronisationsepochen statistisch identifiziert werden.

„Das Verfahren kann Aufschluss über die vorgeburtliche Entwicklung des Herz-Kreislauf- und möglicherweise auch des Nervensystems des Ungeborenen geben“, sagt Peter van Leeuwen. Die Untersuchung der Herzschlag-Synchronisation könne vielleicht auch eingesetzt werden, um mögliche Erkrankungen des Ungeborenen schon frühzeitig zu erkennen.

„Im Klimasystem können wir nach diesen Ansatz zum Beispiel so genannte Teleconnections untersuchen“, sagt Kurths. Das sind meist schwache, aber räumlich und zeitlich weit reichende Wechselwirkungen wie sie zum Beispiel zwischen dem Klimaphänomen El Niño im östlichen Pazifik und dem Monsun in Indien auftreten. Die Suche nach Synchronisation zwischen diesen Phänomenen liefert Aufschluss über die Art ihrer Kopplung.

„Synchronisation kann überall auftreten, wo zwei komplexe Systeme miteinander verbunden sind“, sagt Kurths. Das Phänomen könne als „Gefühl“ eines dynamischen Systems für die Anwesenheit eines anderen beschrieben werden. Synchronisation bestimme, wie die Systeme aufeinander und auf äußere Einflüsse reagieren. „Ein weiteres Anwendungsfeld ist zum Beispiel der Biodiversitätsverlust durch Landnutzung“, sagt Kurths. Der Forscher hofft, dass die Analyse-Methode auch aufzeigen kann, warum oder ab wann die Fragmentierung natürlicher Lebensräume etwa durch Straßen oder Plantagen sich so negativ auf den Artenreichtum eines Ökosystems auswirkt.

Media Contact

Patrick Eickemeier idw

Weitere Informationen:

http://www.pik-potsdam.de

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