Gletscherschmelze: Geringer Einfluss auf die Schweizer Wasserenergie

Karte mit den Grossregionen der Schweiz, welche die Wasserkraftanlagen speisen, mit Angabe des Beitrags der Gletscher (hellblau). © Bettina Schaefli / Unil

Seit Jahrzehnten liefert die klimatisch bedingte Gletscherschmelze zusätzliches Wasser für die Dammanlagen in der Schweiz. In der glaziologischen Forschung wird angenommen, dass sich dieser Vorgang noch beschleunigen könnte. Dieses zusätzliche Wasser wird aber nicht längerfristig verfügbar sein, wenn es gelingt, den Klimawandel zu verlangsamen.

Die Befürchtung, dass die Verlangsamung der Schmelze die Stromproduktion gefährden könnte, ist jedoch unbegründet. Das zeigt eine Studie von Bettina Schaefli, Förderungsprofessorin des Schweizerischen Nationalfonds an der Universität Lausanne, in der Zeitschrift Renewable Energy(*).

Ein detailliertes Modell der Wasserflüsse, welche die Schweizer Wasserkraftwerke speisen, quantifiziert erstmals den Beitrag aus der klimatisch bedingten Gletscherschmelze: Seit 1980 beläuft sich dieser auf durchschnittlich 1,4 TWh pro Jahr oder 4% der gesamten Wasserkraftproduktion des Landes. Dieser zusätzliche Strom entsteht dadurch, dass die Gletscher bei ihrem Rückzug mehr Wasser abgeben, als sie durch Niederschläge erhalten.

Die Entwicklung des Gletscherrückzugs im 21. Jahrhundert – ausgehend von den Prognosen des Weltklimarats – ist ungewiss; er sollte sich aber bis zum Zeitraum von 2070 bis 2090 deutlich verlangsamt haben, sofern wirksame Massnahmen gegen die Erderwärmung ergriffen werden. Der neuen Studie zufolge dürfte die Stromproduktion durch das Schmelzwasser der Gletscher jährlich auf rund 0,4 TWh zurückgehen. Die erwartete Abnahme um rund 1 TWh entspricht 2,5% der gesamten Wasserkraft, die in der Energiestrategie 2050 des Bundes vorgesehen ist.

„Unsere Arbeiten liefern nun konkrete Zahlen zu dieser Entwicklung“, erklärt Bettina Schaefli. „Manche Kraftwerksbetreiber befürchten, dass ihre Produktion beeinträchtigt werden könnte. Unser Modell kann ihnen helfen, die künftige Situation besser einzuschätzen, insbesondere dank regionaler Prognosen. Sie zeigen zum Beispiel, dass die Kraftwerke im Wallis 9% ihres Stroms aus der Gletscherschmelze beziehen. Dieser Wert wird sich vermutlich halbieren, allerdings später als in anderen Regionen, weil die Talsperren höher liegen und die Gletscher grösser sind. Schliesslich zeichnet unser Modell erstmals ein umfassendes Bild der Faktoren, die in der Schweiz einen Einfluss auf die Wassermenge für die Stromproduktion haben.“

93% der Landfläche speisen die Stauanlagen

Die Forschenden haben eine detaillierte Karte aller Einzugsgebiete (Flächen, welche die Wasserläufe speisen) in der Schweiz angefertigt: Das fängt an bei Wasserflächen, die bis zu einem Quadratkilometer gross sind, und geht bis zu 1000-mal grösseren Regionen. Die Karte zeigt, dass die Niederschläge, die auf 93% der Schweizer Fläche fallen, mindestens einmal ein einheimisches Wasserkraftwerk passieren. Einige im Berner Oberland entspringende Wasserläufe fliessen durch 30 Werke, bevor sie die Schweiz mit dem Rhein in Basel verlassen. „Das ist eine extrem effiziente Nutzung dieser erneuerbaren Energiequelle“, sagt Bettina Schaefli.

Ihre Studie kombiniert zahlreiche Quellen: Historische Daten über den Gletscherschwund in der Schweiz und eine Simulation der künftigen Entwicklung (Matthias Huss von der Universität Fribourg und der ETH Zürich), Abflussdaten von allen Flüssen der Schweiz (BAFU), die jährliche Statistik der Wasserkraft (BFE) sowie die geographische Datenbank HydroGIS der Wasserkraftanlagen des Landes.

Das Forschungsteam hat ausserdem ein sehr anwenderfreundliches Modell erarbeitet, das auch nicht spezialisierte Personen nutzen können. Es basiert auf der durchschnittlichen Produktivität (Strommenge, die pro Kubikmeter Wasser erzeugt wird) der sechs Grossregionen der Schweiz, welche die Kraftwerke speisen. Diese ist proportional zur durchschnittlichen Höhe der Regionen. Daraus lässt sich die Produktivität der Kraftwerke ableiten, die durch Gletscher gespiesen werden, und somit der Beitrag der Gletscherschmelze, die durch die glaziologische Forschung dokumentiert ist. Dieser Ansatz wurde durch das detaillierte Modell validiert, das jedes Einzugsgebiet und Kraftwerk des Landes berücksichtigt.

„Neben der langsameren Gletscherschmelze werden weitere Faktoren erwartet, die zu Produktionsverlusten führen könnten, beispielsweise die Anwendung des Gewässerschutzgesetzes bei der Erneuerung der Konzessionen für Betreiber von Stauanlagen“, erklärt die Hydrologin weiter. „Unsere Studie zeigt, dass die Einbussen durch diese zwei Faktoren etwa in derselben Grössenordnung liegen und durch die in der Energiestrategie 2050 geplante Erweiterung der Wasserkraftkapazität kompensiert werden sollten.“

Die Studie ist eine Zusammenarbeit der Universitäten Lausanne, Fribourg und Zürich, der EPFL, der ETH Zürich und der WSL. Finanziert wurde sie durch den SNF (SNF-Förderungsprofessur und Ambizione-Energie-Beitrag) sowie das Swiss Competence Centre for Energy Research – Supply of Electricity (SCCER-SoE) unter der Leitung von Innosuisse.

Energieforschung in der Schweiz

In nächster Zeit sollen umfangreiche Initiativen die Fakten und Kenntnisse bereitstellen, welche Politik und Gesellschaft benötigen, um energiepolitische Entscheidungen für das Land zu treffen. Die SCCER bauen Kompetenzzentren zu konkreten Energiefragen auf; die Nationalen Forschungsprogramme (NFP) 70 und 71 des SNF unterstützen transdisziplinäre Forschung zu wissenschaftlichen, technologischen und sozioökonomischen Aspekten der Energiewende; Ambizione Energy und Assistant Professor Energy Grants des SNF fördern mit Subventionsbeiträgen den akademischen Nachwuchs in allen Bereichen der Energieforschung.

Prof. Bettina Schaefli
Faculté des géosciences et de l'environnement
Institut des dynamiques de la surface terrestre
Université de Lausanne
CH-1015 Lausanne
Tel.: + 41 21 692 35 60
E-Mail: bettina.schaefli@unil.ch

(*)B. Schaefli, P. Manso, M. Fischer, M. Huss, D. Farinotti: The role of glacier retreat for Swiss hydropower production. Renewable Energy (2018). Doi: 10.1016/j.renene.2018.07.104
0960-1481; preprint > https://eartharxiv.org/7z96d/

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