Gleichstellung der Geschlechter: Von Anfang an diskriminiert

Gleicher Lohn für gleiche Arbeit: Dieser Grundsatz ist zwar in der Bundesverfassung verankert, aber nach wie vor nicht umgesetzt. Noch immer verdienen Frauen – bei gleichen Qualifikationen, gleich langer Erfahrung und für dieselbe Tätigkeit – deutlich weniger als Männer.

Zu welchem Zeitpunkt im Erwerbsleben die Lohnunterschiede entstehen, war bislang nicht bekannt. Nun haben Forschende um den Ökonomen Michael Marti vom Forschungs- und Beratungsunternehmen Ecoplan in Bern herausgefunden, dass Frauen bereits beim Einstieg ins Berufsleben weniger Lohn erhalten als Männer.

Die Wissenschaftler werteten Daten von rund 6000 Jugendlichen aus, die seit dem Jahr 2000 an einer Langzeitstudie zum Übergang von der Schule in den Beruf teilgenommen hatten. Sie verglichen den Einstiegslohn der jungen Frauen mit jenem der jungen Männer. Dabei berücksichtigten sie eine Vielzahl von Faktoren, die Lohnunterschiede erklären könnten: unter anderem die Ausbildung, die Abschlussnoten in Schule und Lehre, aber auch die Kompetenzen der Jugendlichen, die den Pisa-Test absolvierten, die Berufstätigkeit, die Herkunft, die Firmengrösse, ja sogar die Werthaltung eines Jugendlichen und den sozioökonomischen Status der Eltern.

Tiefere Einstiegslöhne für Frauen

Nach Berücksichtigung aller dieser Faktoren blieb ein Lohnunterschied von 7 Prozent oder 278 Franken pro Monat zwischen Frauen und Männern, für den die Forschenden keine Erklärung fanden. „Diesen Betrag müssten Frauen beim Berufseinstieg mehr verdienen, um gleich wie Männer entlöhnt zu werden“, sagt Marti. Die Wahrscheinlichkeit sei gering, dass es zusätzliche, nicht in Betracht gezogene Faktoren gebe, die die Lohndifferenz erklären. „Der Unterschied kann wohl nicht anders als mit Lohndiskriminierung erklärt werden.“

Besonders grosse Unterschiede in durchmischten Berufen

Überrascht hat die Forschenden, dass die Unterschiede besonders gross sind in Berufen mit einem ausgewogenen Geschlechterverhältnis – also dort, wo sich die Geschlechterfrage scheinbar nicht aufdrängt. Gerade in diesen Branchen scheint es an Sensibilität hinsichtlich Lohngleichheit zu mangeln. Doch auch in männertypischen und frauentypischen Berufen kommen die Frauen lohnmässig schlechter weg. Sie übernehmen oft – ob frei gewählt oder zugeteilt – Tätigkeiten und Arbeiten, die schlechter entlohnt werden. Für junge Männer in Frauenberufen gilt das Gegenteil: Sie übernehmen Tätigkeiten, die besser bezahlt sind. Auch die Lohnentwicklung verläuft laut den Forschenden ungleich: Die Löhne der Männer steigen schneller an – die Lohnschere öffnet sich also in den ersten Berufsjahren noch weiter.

Die Gründe für die frühe Lohndiskriminierung sind laut den Forschenden vielschichtig. Es ist nicht auszuschliessen, dass junge Männer bewusst oder unbewusst Firmen wählen, in denen höhere Löhne bezahlt werden – oder bei Lohnverhandlungen fordernder auftreten. Auch scheint die frühe Berufswahl im Schweizer Berufsbildungssystem für junge Frauen nachteilig zu sein; sie wählen häufiger frauentypische Berufe im Gesundheitsbereich oder als Coiffeusen oder Floristinnen, in denen das Lohnniveau generell bereits tief ist. Diskriminierende Lohnunterschiede als solche führen die Forschenden aber eher darauf zurück, dass Arbeitgebende Frauen benachteiligen, sie also weniger fördern und ihnen tiefere Löhne anbieten. Der Grund für diese Diskriminierung könnte darin liegen, dass Arbeitgebende bewusst oder unbewusst davon ausgehen, dass Frauen der Firma weniger lang erhalten bleiben, weil sie später eine Familie gründen und daher ihr Pensum reduzieren oder die Unternehmung verlassen.

Mehr Lohntransparenz

Welche Massnahmen könnten helfen, die beim Berufseinstieg beobachtete Lohnungleichheit zu korrigieren? Zentral seien eine Erhöhung der Lohntransparenz und eine weitere Sensibilisierung der Arbeitgeber für Lohngleichheit, sagt die Ökonomin Kathrin Bertschy. Doch das reiche nicht: Wichtige Weichenstellungen für die Lohnunterschiede entstünden bereits bei der Ausbildungswahl und verstärkten sich später bei einer Familiengründung. Frauen sollten sich in ihrer Berufswahl weniger an traditionellen Rollen, sondern verstärkt am Fachkräftebedarf orientieren können, sagt Bertschy. Hier seien die Berufsberatungen vermehrt gefragt. Zudem laste das „Risiko“ der Erwerbsunterbrüche einseitig auf den Frauen. Sie sind es, die einen Mutterschaftsurlaub beziehen – und dann den Grossteil der Kinderbetreuung und Hausarbeit übernehmen, auch weil sich ihre Erwerbstätigkeit im Vergleich weniger „lohnt“. Eine Art Elternurlaub, wie ihn skandinavische Länder kennen, könnte deshalb laut den Forschenden ein Mittel sein, um Lohnungleichheiten zu mildern – weil Arbeitgebende dann auch bei männlichen Angestellten damit rechnen müssen, dass sie für die Gründung einer Familie ihr Berufsleben unterbrechen.

Kontakte
Kathrin Bertschy
Universität Basel
Institut für Soziologie
CH-4051 Basel
+41 78 667 68 85
kathrin.bertschy@unibas.ch
Dr. Michael Marti
Ecoplan
Monbijoustrasse 14
CH-3011 Bern
+41 31 356 61 61
marti@ecoplan.ch
Die Zusammenfassung der Studie ist auf der Website des NFP 60 abrufbar: www.nfp60.ch > Projekte > Cluster 2: Bildung + Karriere

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